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LAIRE/1345: KI - der maschinierte Mensch ... (SB)



Ein Zusammenschluß von Unternehmen und Instituten aus Robotik und KI-Forschung entwickelt ein Headset, mit dem laufend die Gehirnströme einer Person bei der Arbeit gemessen und an eine Zentrale gesendet werden. Beworben wird das "Projekt KAMeri" mit dem Motiv, die Sicherheit am Arbeitsplatz bei der in Zukunft vermehrten Kooperation von Mensch und Roboter verbessern zu können. [1] Über die Gehirnströme will man Daten zu Streßlevel, Ermüdung oder umgekehrt Konzentrationsfähigkeit der Person messen. Dementsprechend würde das Verhalten des Roboters, mit dem diese zusammenarbeitet, an ihren mentalen Zustand angepaßt. Gegebenenfalls würde das Gerät sogar vorschlagen, eine Pause einzulegen, heißt es. Wie zuvorkommend! Und wenn die betreffende Person gehirnwellenmäßig fit erscheint, wird dann umgekehrt der Takt erhöht?

Als einer von zehn Preisträgern des von der deutschen Regierung ausgerufenen Wettbewerbs "Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen" erlangte das Projekt KAMeri bei der feierlichen Preisverleihung am 14. Mai 2019 in Berlin überaus wohlwollende Aufmerksamkeit seitens Politik, Industrie und Banken. Das Projekt wird von der eemagine Medical Imaging Solutions GmbH, dem Robotics Innovation Center des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz GmbH, dem August-Wilhelm Scheer Institut für digitale Produkte und Prozesse (AWSi) gGmbH und der NEXT. robotics GmbH & Co. KG entwickelt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Vorhaben finanziell über den Zeitraum 01.08.2018 bis 31.07.2021.

An den Feierlichkeiten zur Preisverleihung nahmen Hubertus Heil (Bundesarbeitsminister), Dieter Kempf (BDI-Vorstandschef), Karl von Rohr (Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank), Janina Kugel (Vorstandsmitglied bei Siemens), Klaus Hurrelmann (Bildungsforscher, Hertie School of Governance Berlin), Sandra Maischberger (Journalistin) und Thomas Bachem (Gründer und Kanzler der CODE University of Applied Sciences in Berlin) teil. Sponsoren des Projekts dürften einander spätestens nach dieser Ehrung die Klinke in die Hand geben - sofern sie es nicht schon längst tun.

Die Cyborgisierung des Menschen setzt sicherlich nicht erst an der Stelle an, an der Arbeitskräfte so eng in die robotorisierte Arbeitswelt eingepaßt werden, daß sie als zur Zeit noch unverzichtbarer Bioorganismus für bestimmte Tätigkeiten über ein solches Headset mit ihrer Umgebung vernetzt werden. Vielleicht glauben diejenigen, die diese Mensch-Maschine-Schnittstelle entwickeln, tatsächlich daran, daß sie den Arbeitenden der Zukunft helfen, nicht verletzt zu werden.

Allerdings läßt es sich schwer begründen, warum aus Arbeitsschutzgründen eine Verbesserung der robotischen Tätigkeiten ausgerechnet mittels der Dauerüberwachung menschlicher Gehirnwellen vorgenommen werden soll, wo doch der Industrie dafür bereits diverse Möglichkeiten der Sensorik zur Verfügung stehen. Fast jedes moderne Auto bewertet die Müdigkeit des oder der Fahrenden nach bestimmten Kriterien und signalisiert gegebenenfalls Alarm. Die Zeiten, in denen Menschen schwenkenden Roboterarmen nicht in die Quere kommen durften, weil sie ansonsten k.o. gehauen würden, da die tumben Maschinen auf bestimmte Abläufe und nicht auf mutmaßlich "abnormes" Verhalten eines Menschen programmiert wurden, sollten in einer nicht mehr fernen Welt automatisch fahrender Autos, Lufttaxis und Drohnen für die Paketzustellung vorbei sein. Nicht der Mensch braucht ein Headset, sondern der Roboter, und das muß nicht mehr erfunden werden.

Wenn das Projekt dennoch in höchsten Tönen gelobt wird, dann vermutlich auch wegen dem, was in den offiziellen Verlautbarungen nicht dazu gesagt wird. So wie der Hai das Blut eines verletzten Tiers und der Wolf die Spur seiner Beute wittert, hat auch die Industrie ein ziemlich feines Gespür dafür, welche Möglichkeiten in der Innovation stecken, Menschen auf die hier vorgestellte Weise zu Cyborgs zu machen. Schon lange nicht mehr stellt sich die Frage, ob der Mensch die Maschine kontrolliert oder umgekehrt die Maschine den Menschen. Beide sind Produktionsmittel. So heißt es über dieses Projekt auf der Website "Deutschland - Land der Ideen": "Arbeitsunfälle können nicht nur für die Betroffenen schlimme Folgen haben, sondern auch für die Unternehmen." [2] Jeder Ausfall eines Produktionsmittels zählt ...

Das Headset steht beispielhaft für eine gesamtgesellschaftliche Zugriffsverdichtung. In der Welt von morgen, in der alle Lebensbereiche digitalisiert sind, alle Bewegungen von Menschen in Städten über 5G, die nächste Stufe des Funkstandards, erkannt, verfolgt und ausgewertet werden, kann mit so einem "intelligenten" Headset die Leistungsanforderung enorm gesteigert werden. Der maschinierte Mensch würde dazu gebracht, sich immer an der Grenze zum maximal Leistbaren zu bewegen. Mehr noch, es täten sich weitere Optionen auf, sollte es gelingen, aus dem neuronalen Gewitter verläßliche Daten zu generieren, anhand derer sich bestimmte Aspekte der Leistungsfähigkeit eines Menschen ableiten lassen. Zugleich würde eine Vergleichbarkeit geschaffen, die bereits bei der Bewerbung eines Menschen für einen Arbeitsplatz eingesetzt werden könnte und womöglich viel unbestechlicher Zeugnis seiner Belastbarkeit ablegt, als es eine schriftliche Bewertung je zu leisten im Stande ist.

Zugleich wird hier im Kontext von Technologien geforscht, die dazu beitragen sollen, Menschen nicht allein aus Gründen des Arbeitsschutzes und der maximalen Leistungsausbeutung neuronal zu überwachen, sondern die allgemein die gesellschaftliche Verfügungsgewalt qualifizieren. Wobei der tiefe Staat als Nutznießer der Innovationen nicht mehr an der Haustür klingelt, er hat sie schon vor langem überwunden und implementiert demnächst seine Trojaner ins Internet der Dinge. Der tiefe Staat von morgen hingegen rückt dem Menschen nicht nur dicht auf den Leib, sondern greift in dessen bislang unauslotbare Tiefen, indem er den neuronalen Signalen lauscht, die ein Mensch trotz der faltenreichen Lappen seines Gehirn nicht mehr vor ihm verbergen kann. Max Headroom war gestern.


Fußnoten:

[1] https://www.aws-institut.de/forschungsprojekte/kameri-kognitiver-arbeitsschutz-fuer-die-mensch-maschinen-interaktion/

[2] https://land-der-ideen.de/projekt/sicherheitssystem-fuer-mensch-maschine-ablaeufe-3904

17. Mai 2019


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