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LAIRE/1336: CO2 - zwischen Pest und Cholera ... (SB)



Der Chef der IG Metall, Jörg Hofmann, sieht die EU-Reduktionsziele für CO₂-Emissionen von Autos kritisch und bezeichnet den geforderten Umstieg auf Elektromobilität als "Vabanquespiel". 200.000 Jobs könnten in der deutschen Autoindustrie wegfallen, warnt er [1].

Diese Prognose ist sicherlich nicht übertrieben, zumal zeitgleich die Automatisierung der Produktionstechniken vor dem nächsten Schub steht und Massenentlassungen nicht nur in der Automobilbranche zu erwarten sind. Dennoch werden hier sehr verengte Interessen eines Lobbyisten vorgebracht, die weit an den unmittelbar bevorstehenden gesellschaftlichen Umbrüchen vorbeigehen. Die Elektromobilität sollte aus einem anderen Grund als dem der Jobverluste abgelehnt werden, denn sie wird den Ressourcenverbrauch nicht verringern, sondern im Gegenteil noch erhöhen. Darüberhinaus würde jede Verzögerung beim existentiell notwendigen Ausstieg aus der fossilen Energiewirtschaft den unter anderem durch Verbrennungsmotoren befeuerten Klimawandel verstärken und damit die Überlebensvoraussetzungen der Mehrheit der Menschen gefährden.

Die Europäische Union hat beschlossen, daß in der EU verkaufte Neuwagen bis zum Jahr 2030 deutlich weniger CO₂ emittieren dürfen als bisher. Der Flottenausstoß soll dann 37,5 Prozent niedriger sein als im Jahr 2021, und bis dahin muß das Treibhausgas ebenfalls reduziert werden. Das zwingt die Autohersteller, den Anteil der Elektroautos an ihrer Fahrzeugflotte deutlich zu erhöhen. So kündigte VW-Chef Herbert Diess an, daß Volkswagen den Anteil von Elektroautos am Gesamtabsatz auf über 40 Prozent steigern muß. Auch Diess und andere Manager der Autoindustrie warnen vor Arbeitsplatzverlusten in sechsstelliger Höhe.

Vordergründig tut sich was in Sachen Klimaschutz, könnte man meinen. Wird nicht eine Branche an die Kandare genommen, die sich seit Jahren erfolgreich gegen allzu strenge Umweltauflagen zur Wehr gesetzt hat? In der Regel war es die deutsche Regierung, die in Brüssel die Interessen der deutschen Autokonzerne, die vor allem im Premiumsegment der Fahrzeuge führend sind, durchgesetzt hat. Von einem Konzern wie VW werden nun drastische Umstrukturierungen seiner Unternehmen erwartet.

Doch nur weil die Automobilindustrie jammert, bedeutet das nicht, daß mit dem Umbau der fossilen Energiewirtschaft zur E-Mobilität dringend notwendiger Klimaschutz betrieben wird. Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren sind zwar komplexer als Elektroautos, aber sie sind bei gleicher Ausstattung nicht so schwer. Ein höheres Gewicht des Fahrzeugs läuft auf einen höheren Energieverbrauch hinaus, durch welchen Energieträger auch immer er gewonnen wird. Der energetische Mehraufwand bei der Herstellung von Elektroautos hat sich erst nach einigen Jahren amortisiert, und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem möglicherweise schon längst die Nachfolgegeneration auf den Markt gebracht wurde. Es könnte demnach sein, daß ein Teil der Elektroautos noch vor seiner energetischen Amortisierung durch neue, attraktivere Elektroautos ersetzt wird. Für die Gesamtemissionsbilanz der Bundesrepublik Deutschland würde das bedeuten, daß der Energieverbrauch mit der E-Mobilität steigt und nicht, wie erhofft, sinkt.

Das ist allerdings nur ein Teilproblem des Umstiegs von einem Energieträger auf einen anderen. Das größere Problem läßt der Gewerkschaftsfunktionär vollkommen unangetastet, nämlich daß der Individualverkehr für sich genommen gewaltige Ressourcen verschlingt. Neben der knappen Ressource der sauberen Luft auch die vielen Rohstoffe, die unter hohem Energieeinsatz abgebaut, transportiert, be- und verarbeitet werden. Der Umstieg auf Elektroautos erfordert eine fortgesetzte Flächenversiegelung und wird zu mehr Gummiabrieb aufgrund der schwereren Fahrzeuge und damit mehr Feinstaub und gesundheitlichen Schädigungen der Menschen insbesondere in den Ballungsräumen führen. Elektroautos sind nicht das Gegenmodell zu Autos mit Verbrennungsmotoren, sondern sie sind die Fortsetzung des Kriegs gegen Mensch und Umwelt mit anderen Mitteln.

Als Arbeiternehmervertreter hat Gewerkschaftsboß Hofmann selbstverständlich die unmittelbaren Interessen seiner Klientel im Sinn, wenn er im Zusammenhang mit den EU-Emissionsreduktionszielen von einem "Vabanquespiel mit ungewissem Ausgang" spricht. Hofmann weiß, daß die Konzerne den Umbau dazu nutzen werden, den Faktor "Personalkosten" in ihren Bilanzen zu senken, und Leute in großer Zahl entlassen werden. Er weiß ebenfalls, daß die Politik regelrecht dazu getreten werden muß, Ersatzarbeitsplätze zu schaffen. Das heißt, seine Warnung vor Jobverlusten großen Ausmaßes ist nicht übertrieben.

Dennoch erweist sich der Gewerkschaftler als Teil des Problems. Die Zeichen des Klimawandels stehen auf Sturm. Es sind nicht nur Verluste von Arbeitsplätzen zu erwarten, sondern von unverzichtbaren Lebensvoraussetzungen. Das betrifft eben nicht mehr "nur" die Menschen im Globalen Süden, sondern auch hierzulande, und es ist sehr kurzsichtig, das Auto als Fortbewegungsmittel weiter wie bisher zu favorisieren. Beispielsweise indem überall Straßen gebaut werden, damit die profitbringenden Produkte der Autokonzerne überhaupt fahren, oder Parkplätze und -häuser, um die Vehikel abstellen zu können.

Im übrigen ist der Preis für die hohe Verkehrsdichte blutig. Daran würde der Umstieg auf Elektroautos nichts ändern. Nicht wenige, als deren Interessenvertreter sich der Gewerkschaftsboß wähnt, bleiben auf der Strecke. Pro Jahr verzeichnet Deutschland über 3100 Straßenverkehrstote, rund 45.000 Tote in Folge der Feinstaubbelastung, die wiederum wesentlich auf den Straßenverkehr zurückgeführt wird, und rund 230.000 Opfer unter Wildtieren (Vögel und Kleintiere nicht mitgerechnet), die mit Autos kollidieren bzw. von ihnen überfahren werden. Es sprechen viele Argumente gegen die Elektromobilität als bloßen Ersatz für Benziner und Diesel.

Außerdem wird das Straßennetz weiter auf Kosten dringend gebrauchter landwirtschaftlicher Flächen ausgebaut. Dabei sollte die Gesellschaft in diesen Zeiten der allgemeinen Erderwärmung besser nicht darauf hoffen, auch in Zukunft ohne Einschränkungen weiterhin Nahrungs- und Futtermittel aus anderen Ländern oder gar aus Übersee kaufen zu können. Ein einziger trockener Sommer 2018 hat die Rheinschiffahrt und somit auch die Versorgung Süddeutschlands mit Treibstoffen massiv beeinträchtigt. Die Wissenschaft rechnet in Zukunft aber mit viel mehr und intensiveren Wetterextremen und darüber hinaus klimatischen Veränderungen.

Es sieht zur Zeit nicht so aus, als würde die menschliche Gesellschaft anders auf die Bedrohung reagieren, als sie es schon immer getan hat: Um des eigenen Vorteils willen wird ein Problem auf andere Menschen bzw. zukünftige Generationen abgewälzt. In diese Interessenlage fällt auch die Warnung des Gewerkschaftsbosses. Er spricht sich für den Erhalt oder zumindest schonenderen Umgang mit einer Industrie aus, die sich stets an der Schnittstelle von Extraktivismus und Konsumismus, also von Rohstoffabbau und Individualverkehr, bewegt.

Autos sind nicht alternativlos. Ein harter "Exit" kann noch vermieden werden. Die Klimawissenschaft sagt eindeutig: Hier und heute müssen rigide Maßnahmen zur Verringerung der CO₂-Emissionen wie auch des Ressourcenverbrauchs ergriffen werden. Je länger diese Schritte hinausgezögert werden, desto drastischer müssen sie und desto schmerzhafter werden sie sein. Laut dem im Oktober veröffentlichen Sonderbericht des Weltklimarats IPCC [2] bleiben gerade mal zwölf Jahre, um eine deutliche Trendwende zur Verringerung der CO₂-Emissionen einzuleiten. Um die Empfehlungen des Berichts zu erfüllen, sind selbst die jüngsten EU-Emissionsziele für Autos noch zu wenig ambitioniert. Genau das sollte die Sorge des Gewerkschaftsführers sein. Der Green New Deal der Autoindustrie ist ein Deal zuviel.


Fußnoten:

[1] https://www.n-tv.de/wirtschaft/IG-Metall-warnt-vor-schnellem-Elektro-Umbau-article20787683.html

[2] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0288.html

27. Dezember 2018


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