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LAIRE/1302: EU will militärisch gegen Fluchthelfer vorgehen (SB)


"Mare Nostrum" - das Meer gehört uns

Wird die Europäische Union die Souveränitätsrechte anderer Länder verletzen, um Flüchtlinge abzuwehren?


Nachdem binnen weniger Tage mehr als 1000 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken sind, hat die EU-Kommission einen Zehn-Punkte-Plan "erarbeitet", wie das Problem behoben werden soll. Am Donnerstag wollen die Staats- und Regierungschefs der EU auf einem Sondergipfel darüber beraten.

Der Plan sieht nicht etwa die Einrichtung eines Fährverkehrs von Afrika nach Europa vor, wie von der Flüchtlingshilfsorganisation Watch the Med gefordert, so daß der Transfer relativ gefahrlos vonstatten gehen könnte. Vielmehr lautet einer der zehn Vorschläge der EU-Kommission, daß mutmaßliche "Schlepperboote" beschlagnahmt und zerstört werden. Menschen sollen also aktiv an der Flucht gehindert werden - das grenzt an Menschenrechtsverletzung.

Konkret würde das darauf hinauslaufen, daß die EU als Antwort auf das Massensterben militärisch in den Ländern Nordafrikas interveniert und sich am Eigentum beispielsweise der Einwohner Libyens, von wo aus gegenwärtig besonders viele Flüchtlinge aufbrechen, vergreift. Und was machen die EU-Soldaten oder gegebenenfalls ihre örtlichen Askari, wenn sich der Besitzer eines Boots weigert, es abzugeben? Wird dann Zwang ausgeübt? Sind somit Gewalt und Krieg die Antwort der EU auf Gewalt und Krieg, die zur Zeit die Einwohner besonders des Nahen und Mittleren Ostens zur Flucht treiben?

Die EU-Staaten tragen eine nicht zu verleugnende Mitverantwortung für die Fluchtbewegung aus Afrika und dem arabischen Raum: Die gewaltsame Beseitigung Saddam Husseins auf der Basis falscher Beschuldigungen und der Sturz des libyschen Machthabers Muammar Gaddafi markieren zwei entscheidende Weichenstellungen, nach der sich ganze Regionen in Bürgerkriegsgebiete verwandelt haben.

Noch vor wenigen Jahren besaß Libyen ein hervorragendes Gesundheits- und Sozialsystem, der Lebensstandard in dem Land war so hoch, daß es viele Menschen aus den Subsaharastaaten auf der Suche nach Arbeit angelockt hat. Doch Gaddafi wurde zu einem Zeitpunkt zum "Schurken" erklärt, nachdem er einerseits den Europäern wirtschaftlich und politisch entgegengekommen war, unter anderem durch die Unterzeichnung der UN-Chemiewaffenkonvention, andererseits aber eine Politik betrieb, um die Abhängigkeit Afrikas von Europa abzustreifen. Eine direkte Folge der NATO-Militärintervention in Libyen ist die Destabilisierung Malis.

Es war damit zu rechnen, daß sich in diesem Frühjahr wieder vermehrt Flüchtlinge nach Europa in Bewegung setzen werden. Das Mindeste wäre also gewesen, vorausschauend die im vergangenen Jahr von Italien betriebene Flüchtlingsinitiative "Mare Nostrum" auf gesamteuropäischer Ebene fortzusetzen. Dem hat sich nicht zuletzt die Bundesregierung verweigert.

Im übrigen bräuchte kein Flüchtlingsboot tagelang auf dem Mittelmeer umherzuirren. Die Satellitenbeobachtungstechnik existiert, um das gesamte Meeresgebiet Tag und Nacht zu erfassen, wird aber bislang nicht vollumfänglich zu diesem humanitären Zweck eingesetzt. Das könnte sich nun auf äußerst zynische Weise ändern, nämlich dann, wenn von oben herab mutmaßliche "Schlepperboote" gesucht und zerstört werden.

Die Zeiten, als die Schlepper noch Fluchthelfer hießen und hohes Ansehen genossen, sind vorbei. Wie wurde es gefeiert, wenn wieder einmal ein oder mehrere Flüchtlinge dem ideologischen Feind im Osten entrissen und über die deutsch-deutsche Grenze geschmuggelt werden konnten! Den Flüchtenden sei der Erfolg gegönnt - damals, aber dann konsequenterweise auch heute.

22. April 2015


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