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LAIRE/1265: Tunesien, Ägypten ... Revolutionen unter Aufsicht des Militärs (SB)


Erhält die arabische Welt vom Militär gelenkte Demokratien?

Jahrelanger Einfluß der USA und EU durch Ausbildungsprogramme für Offiziere in Afrika und dem Mittleren Osten könnte sich rentieren


Wie ein Tsunami fegt die Demokratiebewegung durch die arabische Welt und läßt diktatorische Regime zusammenstürzen wie Kartenhäuser. Genährt durch viele Jahre der Unterdrückung, akut ausgelöst durch steigende Lebensmittelpreise, bricht sich der Zorn der Massen Bahn. "Die Masse", das ist ein ungenügender Begriff für die unterschiedlichsten Herkünfte der Protestierenden, so wie "Demokratie" nicht ausreichend zu beschreiben vermag, welches Ziel die uneinheitliche Bewegung anstrebt.

Ob Tunesien, Ägypten, Algerien, Bahrein, Jemen oder Libyen, gemeinsam ist den Bewegungen, daß sie "das Alte" beseitigen und sich davon befreien wollen. Wie weit die Menschen in ihrem Emanzipationsstreben zu gehen bereit sind, ist nicht absehbar und dürfte von Staat zu Staat verschieden sein. Während sich die Protestierenden in Libyen noch anschicken, das Regime um Revolutionsführer Muammar Gaddafi zu stürzen, droht die vermeintlich erfolgreiche Revolte in Ägypten bereits wieder vom Konter ausmanövriert zu werden. Dort hat das Militär die Macht übernommen. Ist Ägypten nun eine Militärdiktatur? Man möchte es nicht bestätigen, immerhin haben die Menschen eigenes Blut für ihre Freiheit vergossen, und doch hat das Militär eine Schlüsselrolle bei der Revolte gespielt. Indem es sich erklärtermaßen nicht gegen die Demonstranten stellte, gewann es das Vertrauen der Bevölkerung und übernahm die Funktion eines Mediators.

Die überstürzte Flucht des tunesischen Präsidenten im vergangenen Monat hatte ausgesprochen viel mit dem Verhalten des dortigen Militärs zu tun. Kurz vor der Flucht kamen Gerüchte auf, daß sich die Soldaten gegen Ben Ali wenden könnten. Deshalb ist er geflohen. Für einen Herrscher besteht die größte Gefahr darin, daß er die Kontrolle über den eigentlichen Garanten seiner Gewalt verliert, den Militärapparat. Den Demonstrationen und Revolten in Ländern wie Marokko, Algerien und Iran wird kein Erfolg beschieden sein, solange die Regierungen vom Militär geschützt werden.

In Libyen gilt die Lage zur Zeit als unübersichtlich. Auch dort sollen sich zumindest Teile des Militärs auf die Seite der Demonstranten geschlagen haben, lauten Gerüchte. Am Montagabend hingegen vermeldet die Presse, daß Kampfjets mehrere Plätze in Tripolis bombardiert und ein unvorstellbares Massaker angerichtet haben.

Normalerweise würde es als Staatsstreich bezeichnet, wenn sich, wie in Mauretanien (2005, 2008) oder Niger (2010), Militärs an die Spitze eines Staates stellen. Das Militär in Ägypten hat es verstanden, die Geschicke des Landes zu lenken, ohne sich derart zu exponieren. Ob es die gleiche Zurückhaltung an den Tag legen würde, sollten radikale Kräfte die Oberhand gewinnen, steht zu bezweifeln. Ägypten nähme vermutlich eine Entwicklung ähnlich wie Algerien vor zwanzig Jahren. 1991/92 hatte das algerische Militär die Parlamentswahlen abgebrochen, als sich ein Sieg der Islamischen Heilsfront (Front islamique du salut, FIS) abzeichnete. In Folge des Betrugs brach ein jahrelanger Bürgerkrieg aus, wobei Teile der Opposition radikalisiert wurden.

Ohne im mindesten in Frage stellen zu wollen, daß die sich jetzt in mehreren Ländern erhebenden Bevölkerungen gute, gewichtige Gründe haben, ihre Regierungen zu stürzen, und keineswegs behauptet werden soll, daß die Revolten vom Ausland gesteuert sind, sei dennoch auf eine nicht zu unterschätzende Einflußnahme des Westens auf diese Entwicklungen verwiesen: Die USA und auch die EU-Staaten betreiben regelmäßig Weiterbildungsprogramme für Offiziere aus Afrika. Jahr für Jahr werden Dutzende bis Hunderte Militärs entweder in die USA oder nach Europa geflogen, wo sie abgesehen von ihrer rein militärtechnischen Ausbildung selbstverständlich auch westliche Werte wie zum Beispiel Demokratieverständnis beigebracht bekommen, oder sie nehmen an einer der Übungen und Manöver teil, zu denen westliche Ausbilder nach Afrika reisen.

Wie im August vergangenen Jahres in Ghana bei"Africa Endeavor 2010". Dabei sollten die Teilnehmer aus 36 afrikanischen Staaten die militärischen Kommunikation "über Grenzen und kulturelle Hindernisse hinweg" zusammenschließen, um "Frieden und Stabilität" zu erlangen. Mehr als eintausend afrikanische Kommunikationsexperten aus mehreren Dutzend Ländern wurden bereits im Rahmen dieser Übung ausgebildet (2006 Südafrika, 2008 Nigeria, 2009 Gabun). Auch die EU nimmt sich in Übungen wie Amani Africa Command Post Exercise (CPX), die im Oktober 2010 im Hauptquartier der Afrikanischen Union in Addis Abeba durchgeführt wurde, der militärischen Ausbildung afrikanischer Offiziere an.

Man kann davon ausgehen, daß all die gemeinsamen Manöver und Übungen bei den afrikanischen Soldaten Eindruck hinterlassen und eine positive Grundeinstellung gegenüber dem Westen bewirken. Das bislang geschickte Taktieren der Militärs in Ägypten und Tunesien könnte durch solche Kontakte zum Westen beeinflußt worden sein. Trifft diese Annahme zu, so würden die Revolten in nächster Zeit auf sanfte Art in die vom Westen gewünschten Bahnen (zurück-)gelenkt.

Die Regierungen Bahrains und Libyens werden zwar von westlichen Politikern ermahnt, keine Gewalt gegen Demonstranten einzusetzen, aber daß auf der anderen Seite die dortigen Bevölkerungen Herrschaft grundsätzlich in Frage stellen, möchte man auch nicht. Berührte das doch die eigenen, sehr vielschichtigen Interessen in der Region. Demokratisierung lautet das Zauberwort, mit dem die Menschen daran gehindert werden sollen, weitergehende Fragen zu stellen. Es bedeutet, daß sich die Menschen nur so weit von ihren Traditionen befreien sollen, wie es für das Verwertungsinteresse nützlich erscheint.

Umgekehrt wäre es im Prinzip vorstellbar, daß die Revolutionsbewegungen auch jene vorherrschenden Strukturen in Angriff nehmen, denen die despotischen Regierungen ihrerseits verpflichtet waren. Beispielsweise das neoliberale Handelsregime, das den Ländern von der Welthandelsorganisation (WTO) aufgedrückt wird. Die WTO wiederum ist "nur" eine Institution innerhalb des globalen Beziehungsgeflechts und steht sinnbildlich für Produktionsverhältnisse, in denen Arbeit verwertet wird, um Mehrwert zu generieren und die Verfügungsgewalt zu etablieren.

Eine fortgesetzte Befreiung von Herrschaft dürfte nicht vor dem Militär stehen bleiben. Unter den gegebenen Umständen ist es allerdings nicht vorstellbar, daß sich einer der an den Revolten mal als "Schiedsrichter", mal als Akteur auftretenden militärischen Apparate freiwillig auflöst. Die Revolutionen werden jedoch in ihrer Bewegung stecken bleiben, stellen sie nicht der Frage der gesellschaftlichen Gewalt.

21. Februar 2011