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LAIRE/1262: Die Challenger-Katastrophe - kein Bruch mit Entwicklung von Herrschaftstechnologien (SB)


Absturz des US Space Shuttles Challenger

Keine Beeinträchtigung des Raumfahrtprogramms


Am 28. Januar 1986 sollte die Raumfähre Challenger von Cape Canaveral aus ins All gebracht werden. Ein Symbol für die technologische und ideologische Überlegenheit der USA sollte der Start werden. Doch die Raumfähre brach 73 Sekunden nach dem Abheben auseinander, alle sieben Besatzungsmitglieder starben.

Nach einer Zeit zunehmenden Desinteresses der US-Öffentlichkeit an Shuttle-Flügen hatte ausgerechnet dieser Start eine besondere Medienaufmerksamkeit erlangt. Mit der Lehrerin Christa McAuliffe würde erstmals eine Zivilistin ins All fliegen. Zwei Unterrichtsstunden sollte sie aus dem All geben und, weit von den Schülerinnen und Schülern entfernt, diesen Vorteile und Nutzen der Raumfahrt nahebringen.

Der Challenger-Start samt Absturz wurde live in viele Schulklassen der USA übertragen. Noch bevor die üblichen Rationalisierungsmechanismen im Anschluß an solche Katastrophen zu greifen vermochten, hätten die Zuschauer für einen Moment realisieren können, daß Raumfahrt ein Symbol der Herrschaft ist, ist Sinnbild für die unbedingte Absicht, über Menschen zu verfügen und sie gegebenfalls für ein höheres Ziel zu opfern, und umgekehrt dafür, daß sich Menschen in die ihnen zugewiesene Rolle einfinden, sei es als Helden oder Bewunderer der selbigen. Zu jeder Herrschaft gehören Beherrschte.

Aus welchem anderen Grund sollten es Menschen als spannend empfinden, beim Start eines Raumschiffs zuzuschauen, wenn nicht deshalb, weil er schiefgehen könnte? (Warum stellen sich Zuschauer bei Auto- oder Radrennen vorzugsweise an die Plätze, die am gefährlichsten sind und an denen am ehesten mit einem Unfall zu rechnen ist?) Astronauten werden als Helden verehrt, weil sie bereit sind, sich für "ihr Land" zu opfern. Jeder weiß, daß es lebensgefährlich ist, sich auf einen überdimensionierten Feuerwerkskörper zu setzen und ins All schießen zu lassen. Die Tragik dieses Unfalls hat der Faszination Raumfahrt womöglich keinen geringeren Dienst erwiesen, als wenn die Lehrerin zwei Stunden Unterricht aus dem All gegeben hätte.

Bei der im Anschluß an den Challenger-Absturz anberaumten Untersuchung kam heraus, daß die US-Weltraumbehörde NASA auf den Hersteller der Feststoffraketen, Morton Thiokol, Druck ausgeübt und die Warnung von Ingenieuren in den Wind geschlagen hatte. Diesen zufolge waren die Dichtungsringe der beiden Feststoffraketen an der Außenseite des große Tanks bis dahin noch nicht bei tiefen Minusgraden getestet worden. Am Starttag herrschten zwei Grad Celsius, aber in der Nacht hatte es gefroren. Die Enteisungsteam bekamen eine Stunde zusätzlich, um die Rakete fit zu machen, dann erteilte die NASA dem Start entgegen der Warnung grünes Licht.

Der Tod der sieben Raumfahrer hat so wenig zur Einstellung des Shuttle-Programms geführt wie die vielen tausend Verkehrstoten zum Ende des motorisierten Individualverkehrs. 1986 standen die USA noch in Systemkonkurrenz zur Sowjetunion; Washington mußte seinen kulturellen Vorherrschaftanspruch unter Beweis stellen - nicht gegenüber der sowjetischen Regierung, sondern gegenüber dem eigenen Volk. Damit es nicht auf die Idee kommt, die Systemfrage aufzuwerfen, oder, mit einem noch strengeren Tabu belegt, grundsätzlich am Gesellschaftsmodell welcher Ausprägung auch immer zu zweifeln.

Als US-Präsident Barack Obama vor wenigen Tagen in seiner Rede zur Lage der Nation einen neuen Sputnik-Moment einforderte, da spielte er auf keinen Systemkonkurrenten an, sondern auf die innersystemische Kapitalkonkurrenz durch China, Indien und die übrigen BRICS-Schwellenländer. Er rief das Volk nicht (primär) an die Waffen und nicht an die Kirchenbänke, sondern an die Fließbänder, in die Forschungs- und Lehrinstitute, an die Bildungseinrichtungen. Raumfahrt gehört zu den prominentesten Spielarten der herrschaftsförmigen Technologieentwicklung. Die NASA läßt in diesem Jahr ihr Shuttle-Programm auslaufen. Die Raumfahrt als solche beeinträchtigt das nicht, auch wenn die USA eine Neuausrichtung zu weniger prestigeträchtigen, dafür verstärkt ihre globalhegemonialen Interessen bedienenden Weltraumtechnologien vornehmen.

28. Januar 2011