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LAIRE/1260: Reduzierung der 1-Euro-Jobs - fragwürdige Alternativen (SB)


Bundesagentur für Arbeit kündigt Neuordnung der Armutsverwaltung an


Der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA), Heinrich Alt, hat angekündigt, daß im nächsten Jahr die Zahl der 1-Euro-Jobs verringert werden soll. Gegenüber der Zeitung "Die Welt" (28.12.2010) sagte er, daß ein zweiter "sozialer" Arbeitsmarkt geschaffen wird. Der sei für Langzeitarbeitslose vorgesehen, die nicht im ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden können.

Bekanntlich machen viele Langzeitarbeitslose seit langem die Erfahrung, daß sie nicht vermittelt werden. Die Aussage des BA-Vorsitzenden, daß sie demnächst intensiver betreut werden, ist eine nicht minder alte Erfahrung mit ähnlich unerfüllten Versprechungen. Die 200.000 bis 300.000 Arbeitslosen, die nicht vermittelbar sind, sollen in Zukunft ein Angebot erhalten, damit sie ebenfalls arbeiten. Weil, das wußte der BA-Manager zu berichten, viele Menschen "glücklich über eine einfache Tätigkeit" sind.

Das Beispiel der Behindertenwerkstätten zeige, daß es durchaus möglich sei, Menschen mit schweren Handicaps in die Arbeitswelt zu integrieren, zog Alt einen Vergleich, der recht deutlich die Sichtweise des Arbeitsvermittlungsfunktionärs widerspielt. In seiner Lesart tauchen Langzeitarbeitslose vor allem als schwer gehandicapt in Erscheinung. Daß die meisten von ihnen nicht be-hindert sind, sondern ge-hindert werden, und zwar an einem würdevollen, von Armut und aus Obdachlosigkeit geborener Existenznot befreiten Leben durch die Gesellschaft, in der ein Heer von Arbeitslosen den permanenten Leistungs- und Anpassungsdruck auf die Lohnarbeiter aufrechterhält, ignoriert Alt.

Nach dem Vorbild der Trainingszentren der Niederlande sollen sich die Langzeitarbeitslosen künftig jeden Morgen zum Rapport melden. Bei den Arbeitsagenturen wird darüber befunden, ob sie beispielsweise nach einer vier- bis sechswöchigen Schnellausbildung als Hilfskräfte in der Altenpflege eingesetzt oder andere Dienste am Gemeinwohl übernehmen sollen oder, in seltenen Fällen, eine Weiterbildung erhalten. Allerdings hat die Bundesregierung die Gelder für Weiterbildungsmaßnahmen reduziert, so daß die Erwartungen hierzu eher bescheiden ausfallen.

Bislang hält die Regierung die Aussicht aufrecht, daß Ein-Euro-Jobs eine Brücke für den Wiedereinstieg ins Erwerbsleben darstellen. Die Realität sieht dagegen anders aus, das hat der Bundesrechnungshof vor kurzem unmißverständlich klargestellt. Wenn also nun ein zweiter, sozialer Arbeitsmarkt geschaffen wird, dann verleiht die Regierung dem, was längst Realität wurde, einen offiziellen Rahmen und gibt den ursprünglichen Anspruch auf, alle Langzeitarbeitslosen vermitteln zu wollen.

Durch den sozialen Arbeitsmarkt wird eine neue gesellschaftliche Klasse geschaffen, in der Menschen letztlich Dienerfunktion für die übrige Gesellschaft übernehmen. An dieser Stelle nähert sich das In-Arbeit-Bringen bedenklich dem Gedankengut des Bestsellerautors Thilo Sarrazin, der Langzeitarbeitslosen vorrechnet, wie sie (nicht wie er) von vier Euro pro Tag gesund leben können, und der ein Menschenbild propagiert, in dem sich Eliten vom gemeinen Volk - sprich: die Herren von den Dienern - genetisch unterscheiden. In der vermeintlich abgemilderten Diskriminierungsform macht Sarrazin seine Unterscheidung auch an der Kultur fest.

Die von der Bundesagentur für Arbeit vorgenommene weitere Differenzierung am Sockel der Arbeitsverwertungsgesellschaft erfüllt die Funktion, die solcherart zugeordneten gesellschaftlichen Gruppen gegeneinander auszuspielen. Wer für einen Hungerlohn von einem Euro die Stunde arbeitet, darf sich glücklich schätzen, weil es Menschen gibt, denen es noch schlechter ergeht. Selbstverständlich läßt sich auf diese Weise auch die Verwertung der Lohnarbeit effizienter organisieren. Gäbe es keine hohe Arbeitslosigkeit, fiele die Position der Lohnarbeiter gegenüber den Eignern der Produktionsmittel sehr viel stärker aus.

"Im Aufschwung müssen wir alle unsere Kräfte auf eine Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt konzentrieren", sagte Alt, und es klingt beinahe wie eine Drohung: Wenn der erste Arbeitsmarkt die Langzeitarbeitslosen nicht aufnimmt, werden sie auf einem gewissen Niveau gehalten, damit sie keine Unruhe stiften. Die Priorität liegt auf denen, die zumindest potentiell für den ersten Arbeitsmarkt tauglich sind. Die Schwerpunktsetzung der BA soll offenbar dem Wirtschaftsstandort Deutschland einen zusätzlichen Konkurrenzvorteil gegenüber Ländern, auch innerhalb der Europäischen Union, sichern. In einer straff durchorganisierten Armutsbasis hat jeder den ihm zugewiesenen Platz einzunehmen. Dadurch soll verhindert werden, daß hier griechische Verhältnisse mit Generalstreiks, Dauermassendemonstrationen und Unruhen einkehren. Armut wird nicht abgeschafft, da sie strukturell verankert ist und als Stütze des Verwertungssystems benötigt wird.

28. Dezember 2010