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LAIRE/1251: Islamophobie light - FAZ vergleicht Wulff mit Erdogan (SB)


Frankfurter Allgemeine Zeitung stellt Bundespräsident Wulff als Kämpfer für den Islam dar


Nicht zum ersten Mal droht die FAZ zur geistigen Brandstifterin zu werden, indem sie mit dem Finger auf die gesellschaftliche Minderheit der Muslime weist und sie pauschal ins schlechte Licht rückt. Wo Revolverblätter wie die BILD mit dumpfbackigen Aufreißern aufwarten und das Bild an die Wand malen, finstere Muselmanen könnten demnächst im Reichstag ihre Wasserpfeifen aufstellen oder die Christen gar dem Recht der Scharia unterwerfen, da führt das bürgerliche Mittelschichtsblatt eine feinere Klinge. Beides verfehlt nicht die gewünschte Wirkung. Der gegenwärtig in Deutschland aufkochenden Islamfeindlichkeit wäre nur halb so viel Erfolg beschieden, wenn sie sich nicht auf breiter Front in den unterschiedlichen Medien durchsetzte und nicht Vertreter aller gesellschaftlichen Zugehörigkeiten auf diesen Zug aufsprängen. Unter der Überschrift "Wulff und Erdogan - Die Islamfreunde" leitet FAZ-Schreiber Eckart Lohse einen längeren Vergleich dieser von ihrer Staatsfunktion her unterschiedlichen Politiker mit den Sätzen ein:

"Bundespräsident Wulff und der türkische Regierungschef Erdogan sind, was ihre Persönlichkeiten und ihre politischen Inhalte angeht, geradezu Sinnbilder des Umgangs mit dem Islam durch viele Türken und viele Deutsche. Beide kämpfen für Muslime." [1]

Es zeugt von keinen nennenswerten fachlichen Niveau, wenn hier das Staatsoberhaupt Christian Wulff, dem im wesentlichen repräsentative Aufgaben zukommen, mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan verglichen wird, dem die Lenkung eines Staates obliegt. Ungeachtet dessen werden die beiden miteinander verglichen, als ständen sie von ihrer politischen Bedeutung her auf einer Ebene. Auf diesem willkürlichen Vergleich aufbauend wird im obigen Zitat nahegelegt, ohne es so zu benennen, daß mit "dem" Islam ein Umgang gepflegt werden muß. Es wird nicht definiert, was mit Islam überhaupt gemeint sein soll. Allein das beweist den grundlegend islamfeindlichen Charakter des Vergleichs.

Die islamische Religion weist eine sehr große Differenziertheit auf, es gibt darin viele verschiedene Richtungen mit teils konträren Ansichten, die nebeneinander bestehen können. Das zur Kenntnis zu nehmen zeugt von keiner Anhängerschaft dieses Glaubens, sondern von der Bereitschaft, auch die Voraussetzungen des eigenen kulturellen oder gegebenenfalls religiösen Umfelds differenziert zu betrachten und nicht alle Christen über einen Kamm zu scheren.

Seit wann "kämpft" Wulff für Muslime? Mit diesem Begriff stellt Lohse "Islam" und "Kampf" in einen Kontext. Zwar behauptet er damit nicht, daß alle Anhänger des Islam als Islamisten bezeichnet werden sollten, da sie angeblich am Dschihad gegen die aus ihren Augen Ungläubigen teilnehmen, aber dennoch verfehlt er nicht, bei der Leserschaft den Eindruck zu erzeugen, daß "Islam" und "Kampf" irgendwie zusammengehören. Die tendenziöse Absicht allein schon hinter der engen räumlichen Positionierung beider Begriffe im Text wird daran deutlich, daß Lohse eine naheliegende, präzisere Aussage zum besagten Thema vermieden hat. Genausogut hätte er nämlich sagen können: Wulff und Erdogan setzen sich für die Rechte von Muslimen ein.

Daran ist nichts Ehrenrühriges, wohingegen für den Islam zu kämpfen eindeutig darauf abzielt, die Beteiligten auf unbestimmte Art ins Unrecht zu setzen. Hier wird Stimmung gegen den Islam gemacht, nicht so grob wie in den Revolverblättern, sondern eher auf schleichende Art. Nicht einmal Erdogan kämpft für Muslime. Wenn man das Wort "Kampf" unbedingt verwenden will, könnte man sagen, daß er für die Türkei kämpft. In dem streng laizistischen Staat wäre wohl kaum ein Kämpfer für den Islam in das Amt des Ministerpräsidenten gehoben worden.

Lohse behauptet, daß Wulff eine "Verneigung" vor dem Islam gemacht habe, als er in seiner Rede zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung sagte, daß das Christentum und das Judentum zweifelsfrei zu Deutschland gehören und daß das unsere christlich-jüdische Geschichte ist, aber daß der Islam inzwischen auch zu Deutschland zähle. Der FAZ-Schreiber phantasiert nun, daß Erdogan Wulffs "Verneigung" vor dem Islam auf seine Rede vom Februar 2008 in Köln zurückführen dürfte. Damals habe der türkische Ministerpräsident den in Deutschland lebenden Türken zugerufen, Assimilation sei ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit".

Lohse kennt offenbar den Unterschied zwischen Assimilation und Integration nicht, denn im Verlauf seiner Ausführungen, in denen er Bezug auf das Erdogan-Zitat nimmt, schreibt er nur noch über Integration. Damit unterstellt er, Erdogan habe den Türken zugerufen, sie sollten sich nicht integrieren, weil so etwas ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei. Das hat der Staatschef aber nicht, wie folgender Auszug aus Erdogans Rede, die von der "Welt" veröffentlicht wurde, beweist. Im übrigen, das sei vorweggeschickt, hat der türkische Ministerpräsident die Worte unter dem Eindruck, daß wenige Tage zuvor im nahen Ludwigshafen neun Türken, unter ihnen fünf Kinder, bei einem mysteriösen Brand ums Leben gekommen waren und ein Zusammenhang zu rechtsradikalen Angriffen gegen Türken nicht ausgeschlossen werden konnte, gehalten.

"Ich verstehe die Sensibilität, die Sie gegenüber Assimilation zeigen, sehr gut. Niemand kann von Ihnen erwarten, Assimilation zu tolerieren. Niemand kann von Ihnen erwarten, dass Sie sich einer Assimilation unterwerfen. Denn Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Sie sollten sich dessen bewusst sein. Wir müssen jedoch auch Folgendes zur Kenntnis nehmen: Sie können sich im heutigen Deutschland, in Europa von heute, in der heutigen Welt, nicht mehr als 'der Andere', als derjenige, der nur vorübergehend hier ist, betrachten, Sie dürfen sich nicht so betrachten." [2]

Assimilation bedeutet Anpassung an die neue Umgebung, bis man in sie aufgegangen ist. Das hieße Verlust der eigenen Sprache und kulturellen Eigenarten. Ein Beispiel für Assimilation ist die Germanisierung, mit der zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft fremde Kulturen der eigenen einverleibt werden sollten. Solche Bestrebungen forderten viele Opfer - ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit zweifelsohne. Integration wäre dagegen als Einbringen in die neue Umgebung zu verstehen. Dabei käme es ebenfalls zu Anpassungsprozessen, aber eben nicht zur vollständigen Auflösung der eigenen kulturellen Herkunft. In Deutschland decken Recht und Gesetz die Regeln des gesellschaftlichen Miteinanders weitreichend ab, welcher Religion auch immer eine Person anhängt. Es mag zwar Lücken im Gesetz geben, aber die könnten im Zweifelsfall vollkommen unaufgeregt geschlossen werden.

Erdogan weiß anscheinend sehr genau um den Unterschied zwischen Assimilation und Integration, wenn er zunächst begrüßt, daß die türkischen Kinder die Sprache ihrer Herkunft erlernen, dann aber seine Landsleute auffordert:

"Jedoch würden Sie, wenn Sie die Sprache des Landes erlernen, in dem Sie leben, oder sogar noch einige Sprachen dazu, in jeder Hinsicht davon profitieren. Schauen Sie, viele unserer Kinder hier lernen in frühem Alter keine Fremdsprachen. Diese Kinder werden mit Deutsch erst dann konfrontiert, wenn sie mit dem Schulbesuch beginnen. Und das führt dazu, dass diese Kinder im Vergleich zu den anderen Schülern die Schullaufbahn mit einem Nachteil von eins zu null beginnen müssen. Doch würde es für Sie und für Ihre Kinder in jeder Hinsicht vorteilhaft sein, wenn Sie die Möglichkeiten maximal ausschöpfen, die das hiesige gute Schulsystem Ihnen bietet." [2]

Lohse räumt ein, daß der türkische Ministerpräsident seine Landsleute auffordert, die deutsche Sprache zu erlernen. Dazu muß gefragt werden: Hätte er das, wenn er das Deutschlernen für ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit angesehen hätte? Der FAZ-Autor schreibt, daß Erdogans Worte wohl so gemeint waren, daß die Türken in Deutschland nicht die Interessen der Türken vergessen sollten. Doch schreibt er weiter: "Andererseits ist es unstrittig, dass Formulierungen wie 'Verbrechen gegen die Menschlichkeit' all diejenigen in Deutschland lebenden Türken, die ohnehin nichts von Integration und Anpassung halten, ermuntern müssen, bei ihrer Renitenz zu bleiben."

Hier muß sich der FAZ-Schreiber fragen lassen, ob diese Personen, falls es sie gibt, einer solchen Ermunterung bedürfen? Wohl kaum. Der entscheidende rhetorische Kniff Lohses besteht darin, vermeintlich abwägend, zielgenau darauf hinzuarbeiten, sich von Wulff, Erdogan und dem Islam pauschal abzugrenzen. Sollten jemals ein Thilo Sarrazin oder eine andere Figur von ähnlich rassistischem Charakter Kanzler werden, könnte man sich als Urheber eines solchen Erdogan-Wulff-Vergleichs bei der Regierung für einen Posten im dann vermutlich notwendig werdenden Propagandaministerium bewerben. Gewiß würde so jemand nicht auf die Liste derjenigen Autoren kommen, mit denen sich der dann rassistische Staat näher beschäftigen müßte ...

Der FAZ-Schreiber Lohse unterstellt, daß Wulff "ganz bewusst keine deutliche Abstufung zwischen Christentum und Islam vorgenommen hat". Wie hätte denn eine "deutliche" Abstufung aussehen müssen und warum hätte Wulff dies tun sollen? Warum überhaupt "abstufen", also eine Hierarchie einbringen? Geht es dem FAZ-Autor darum, daß sich der Islam dem Christentum unterordnet? Befinden wir uns in einem Glaubenskrieg, oder wird er nicht vielmehr mit solchen Auslassungen in einer überregional verbreiteten deutschen Tageszeitung herbeigeredet? War es nicht abgestuft genug, daß Wulff die christlich-jüdische Tradition Deutschlands vorangestellt und angemerkt hat, daß der Islam "inzwischen auch zu Deutschland" gehört? Erweisen sich nicht ausgerechnet die Kritiker an Wulffs Rede als Integrationsverweigerer, indem sie leugnen, daß Millionen Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland leben?

"Wulff, der Christ, kämpft für den Islam. Ganz so wie Erdogan." Damit endet Lohses Bericht. Zum Abschluß wird also noch einmal der Vergleich auf zwei kurze Sätze gebracht, in der die Begriffe Wulff, Christ, kämpfen, Islam und Erdogan in einen räumlich engen Zusammenhang gerückt werden. Mit diesem Mittel wird eine inhaltliche Verbindung angedeutet. Nicht der Holzhammer gehört zum Handwerkszeug des FAZ-Schreibers, sondern die spitze Feder. Islamophobie light.


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Anmerkungen:

[1] "Wulff und Erdogan - Die Islamfreunde", Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Oktober 2010
http://www.faz.net/s/Rub594835B672714A1DB1A121534F010EE1/Doc~E6F866518E7B641499EA77AC0E5468FB3~ATpl~Ecommon~Scontent.html

[2] "Dokumentation - Das sagte Ministerpräsident Erdogan in Köln", Welt online, 11. Februar 2008
http://www.welt.de/debatte/article1660510/Das_sagte_Ministerpraesident_Erdogan_in_Koeln.html

11. Oktober 2010