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LAIRE/1242: Verfassungsschutz-Pädagogik aus Hannover (SB)


Niedersächsischer Verfassungsschutz hat Unterrichtsmaterialien für alle Altersgruppen entwickelt


Die Politik habe sich vom Volk entfernt, lautet eine weit verbreitete Einschätzung. Sie kann ihre Machenschaften nicht mehr richtig vermitteln, wäre zu ergänzen. Entfremdung und Abgehobenheit - das sind sicherlich keine Kriterien, mit denen der Verfassungsschutz zu beschreiben wäre. Das Gegenteil trifft zu. In Niedersachsen rückt diese klandestine Behörde den Menschen sehr nah auf den Leib, nein, tiefer noch, sie sucht die Nähe zu den Hirnen und Herzen der Heranwachsenden und will etwas für ihre Bildung tun.

In Deutschland herrscht Schulzwang, was faktisch einem Zwang zur Bildung bedeutet, und den soll sich der Verfassungsschutz zunutze machen, indem er Unterrichtsmaterialien entwickelt. Das wünscht sich laut "junge Welt" [1] der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU). Auf Schüler der vierten Klasse wartet bereits eine Grundrechtefibel, in der ein Rabe und ein Dachs verfassungsmäßig voll gut drauf sind und den sechs- bis zehnjährigen Knirpsen alles erklären, was Recht ist und vor welchen Menschen sie sich gefälligst zu fürchten haben. Für die Mittelstufe gibt's dann schon Anspruchsvolleres: Extremismus-Comics - Wow! Und wahnsinnig spannende Spiele, die so mitreißende Titel tragen wie "Demokratie und Extremismus".

Nein, das ist kein Ballerspiel, bei dem gute Menschen die Demokratie verteidigen und Antifaschisten oder selbstmordgürteltragende Muselmanen - übrigens auf türkisch "müslüman", was irgendwie alternativ-harmlos klingt, aber in diesem Kontext nur ablenkt - wegpusten. Solche Spiele wären eher was fürs gehobene Niveau, altersmäßig gehoben, versteht sich, wie zum Beispiel für potentielle Rekruten der zukünftigen guttenbergschen Berufsarmee. Die werden bislang weniger vom Verfassungsschutz indoktriniert als vielmehr von der Bundeswehr, die aus selbigem Grund mit zahlreichen Schulen Kooperationsabkommen geschlossen hat und für den Dienst am Vaterland unter kriegsähnlichen Zuständen wirbt.

Ob ein Rollenspiel verfängt, bei dem Jugendliche in die Rolle eines Antifaschisten, Rechtsradikalen oder demokratietauglichen Beamten schlüpfen und schlaue Dinge sagen müssen, die dem zum "erwachsenen Demokratielotsen" [2] getrimmten Lehrer oder Planspielleiter vom Verfassungsschutz signalisieren, daß man verstanden hat? Nein und Ja. "Nein" deshalb, weil zu erwarten ist, daß die indoktrinären Erzeugnisse der Bürokratenpädagogen so was von uncool sein werden, daß sich die meisten Jugendlichen abwenden dürften, wenn man sie nicht mit Gewalt daran hinderte. "Ja" deshalb, weil das Triviale so häufig verfangen hat, wie es unterschätzt wurde, und seine tiefen Spuren hinterlassen hat.

Als herb-süßes Dessert noch drei Zitate:

"Unsere Schule hat die Aufgabe, den jungen Menschen unsere Ideologie, die wissenschaftlich begründete Ideologie der Arbeiterklasse zu vermitteln." (Margot Honecker, DDR-Volksbildungsministerin) [3]

"Die ideologische Erziehung gehörte zum Schulalltag in der DDR. Die 'sozialistische Persönlichkeit' sollte schon in der Krippe geformt werden. Vor allem die 'Staatsbürgerkunde' und der 'Wehrkundeunterricht' dienten der Indoktrination junger Menschen. Aber auch alle anderen Unterrichtsinhalte hatten sich streng an den Vorgaben der SED zu orientieren." [4]

"Die neuen Präventionsprojekte stehen somit auch für ein gewandeltes Selbstverständnis des Verfassungsschutzes. (...) Damit sollen allen Altersgruppen Angebote geliefert werden, sich mit den Grundwerten unseres demokratischen Staates zu befassen und sich letztlich aktiv dafür einzusetzen." [2]


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Anmerkungen:

[1] "Geheimdienst hat Schüler im Visier. Niedersächsischer Verfassungsschutz entwickelt Unterrichtsmaterialien", junge Welt, 14. September 2010
http://www.jungewelt.de/2010/09-14/051.php

[2] "Schünemann stellt neue Präventions-Projekte des Verfassungsschutzes vor", 13. September 2010
http://www.mi.niedersachsen.de/live/live.php?navigation_id=14797&article_id=90204&_psmand=33

[3] Zitat laut Ankündigung des Buchs "Kinder im Visier der SED" von Lars Knopke auf der Website des Verlags Dr. Kovac. Abgerufen am 15. September 2010
http://www.verlagdrkovac.de/3-8300-3083-5.htm

[4] "Schulen vor und nach der friedlichen Revolution", Artikel in "20 Jahre Friedliche Revolution", Magazin für Soziales, Bildung, Familien, Nr. 080, 10/2009
http://www.bundesregierung.de/nn_843800/Content/DE/Magazine/MagazinSozialesFamilieBildung/080/s-b-schulen-vor-und-nach-der-friedlichen-revolution.html

15. September 2010