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LAIRE/1232: Hunger in den USA - Befriedungsspende von Supermarktkette (SB)


"Generöse" Verwertung von angeschlagenem Obst und kaum noch haltbaren Lebensmitteln

Größte Supermarktkette der USA spendet laut Zeitungsbericht jedem Empfänger von Lebensmittelmarken rechnerisch fünf Mahlzeiten pro Jahr


In den USA hat die Verarmung bislang unerreichte Ausmaße angenommen. Bereits zur Ära Präsident Bill Clintons wurde eine Austeritätspolitik betrieben, die sich hauptsächlich gegen diejenigen richtete, die über ein geringes Einkommen verfügten. Dadurch daß die Regierung die Sozialprogramme stark beschnitt, wuchs ein Heer von Geringverdienern und Arbeitslosen heran. Die Betroffenen hielten sich irgendwie mit mies bezahlten Jobs über Wasser und mußten immer häufiger die Essensausgaben der kirchlich oder privat organisierten Suppenküchen und Food Banks in Anspruch nehmen.

Unter George W. Bush setzte sich der Verarmungstrend ungebremst fort, gleichzeitig zog die Einkommenklasse der Höchstverdienenden nach oben hin davon. Diese eklatante soziale Kluft führte jedoch zu keinem gesellschaftlichen Bruch, da nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die Regierung, nun vollkommen enthemmt, zwei lange vorher angelegte Befriedungsmittel ausspielte: Patriotismus und Repressionen. Unter dem Vorwand, die USA seien angegriffen worden und müßten sich nun gegenüber dem Feind - al-Qaida und Taliban - behaupten, schränkte die Bush-Administration via Patriot Acts und präsidiale Executive Orders die Bürgerrechte bis tief in ihre verfassungsrechtlich "geschützten" Bereiche ein.

Im Hintergrund des weithin ausgerufenen Globalen Kriegs gegen den Terror (GWOT - Global War on Terror) wurden die Schlangen vor den Suppenküchen lang und länger.

Für "Amerika" bleiben die patriotisch dauerberieselten US-Bürger auch heute noch bei der Stange, selbst wenn dieses Amerika für sie nur ein elendes Dasein am Existenzminimum bereithält. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird nach wie vor durch die uralten Herrschaftsmittel Zuckerbrot und Peitsche sichergestellt, obgleich doch die Finanz- und Wirtschaftskrise die Armut nochmals beträchtlich verschärft hat. Vor zwei, drei Jahren berichteten selbst die Mainstream-Medien über "tent cities", Zeltstädte, die in städtischen Grünanlagen, am Rande von Parkplätzen, auf unbenutzten Grundstücken oder in urbanen Bebauungsnischen wie Pilze aus dem Boden schossen. Hier siedelten sich Bürger an, die häufig ihr Haus verloren hatten, da sie die Hypotheken nicht bezahlen konnten, und ansonsten oftmals kein geeigneteres Obdach fanden als ihre vier Zeltwände.

In Afrika würde man solche Menschen als Binnenflüchtlinge bezeichnen, und die für die Verarmung Verantwortlichen in Washington und an der Wallstreet als Warlords. Sie haben sich an der Krise bereichert, zu Lasten der Bevölkerungsmehrheit. Wäre es in einem zum "Schurkenstaat" erklärten Land wie Simbabwe geschehen, daß ein gut bezahlter Bankmanager zum Finanzminister erklärt wird und dieser in seiner neuen Funktion eine Politik betreibt, durch die seiner Bank Milliardenbeträge zugeschanzt werden, würde das glasklar als Korruption bezeichnet. In den USA hingegen ging die Ernennung des Goldman Sachs-Managers Henry Paulson zum Finanzminister glatt durch.

Mit Barack Obama trat im vergangenen Jahr ein Mann an die Spitze der USA, der mit seinem Hoffnung verheißenden Wahlspruch "Yes we can" und seinem Mantra vom "Change" erheblich zur Befriedung einer Bevölkerung beitrug, die unruhig zu werden begann. Auch wenn nicht konkret abzusehen war, daß es in den USA 2009 tatsächlich zu größeren Unruhen gekommen wäre, wenn nicht Obama, sondern ein Kriegsherr vom Schlage Bushs - beispielsweise der offensichtlich vietnamkriegs-traumatisierte John McCain - das Zepter in die Hand bekommen hätte, so lag doch Spannung in der Luft. In den Jahren 2007, 2008 war es in mehreren Dutzend Ländern der Erde zu Armuts- und Hungeraufständen gekommen. Im Zuge dessen wurde die Regierung Haitis gestürzt, und andere Regierungen gerieten massiv unter Druck oder wurden entmachtet. Die US-Regierung ist zwar um vieles stärker in der Gesellschaft verankert als andere Staatsführungen, aber das auf zwei sich sehr ähnelnden Parteien gestützte Establishment in Washington zog sicherheitshalber die Obama-Karte, um das Volk bei der Stange zu halten.

Inzwischen ist der vielversprechende, aber letztlich nichtssagende Säuselsingsang Obamas vom "Ja, wir können" verklungen. Weitere Befriedungsmaßnahmen müssen her zur Stabilisierung des Systems, also zur Sicherung einer staatlichen Ordnung, die den angehäuften Reichtum und, um vieles wichtiger, den gesellschaftlichen Einfluß des Establishments zukunftsfähig macht.

Da kommt Wal-Mart ins Spiel, die größte Supermarktkette der USA. Am Mittwoch kündigte das Unternehmen an, daß es insgesamt zwei Milliarden Dollar, verteilt über die nächsten fünf Jahre, zur Unterstützung der nationalen Food Banks aufbringen werde. Das sei mehr als eine Verdoppelung seines bisherigen Spendenaufkommens, berichtete die Online-Zeitung "Christian Science Monitor" (12. Mai 2010).

Wal-Mart selbst sieht in der Spende einen Beweis dafür, daß es soziale Verantwortung übernimmt. Ein Unternehmen muß wohl so denken und dabei ausblenden, daß es das Geld, das es heute spendet (bar oder als Sachleistung) in der Vergangenheit seiner Kundschaft abgeknöpft hat. Man könnte deshalb sagen, daß Wal-Mart einen Teil des Gewinns an die Kundschaft abtritt. Daß es dafür in den Medien gelobt wird und allgemein Erwähnung findet, verkehrt den vermeintlichen Verlust durch die Spende sogar zu einem Verdienst - von steuerlichen Vorteilen gar nicht erst zu reden.

Bei näherem Betrachten der angeblich generösen Spende fällt auf, daß sie sich zum größten Teil aus Lebensmitteln zusammensetzt, die nicht mehr verkauft werden oder unverkäuflich sind, weil zum Beispiel das Haltbarkeitsdatum in Kürze ablaufen wird. Und für den raschen Abtransport dieser Ware - Obst, Gemüse, Fleisch und Milchprodukte, die die Hälfte der Spenden ausmachen - stellt Wal-Mart Kühlwagen zur Verfügung. Auch deren Wert ist in der Spendensumme von zwei Mrd. Dollar über fünf Jahre enthalten. Ob der Konzern auch Kosten für die Beratungszeit seiner Angestellten, die den Food Banks bei der Organisation der Lebensmittelverteilung unter die Arme greifen sollen, in die Gesamtsumme eingerechnet hat, ist nicht bekannt.

Wenn ein hungriger Mensch etwas zu essen erhält, ist das gut. Ein Unternehmen, das Lebensmittel spendet, ist besser als ein Unternehmen, das dies nicht tut. Zwei Aussagen, die sicherlich auf allgemeine Zustimmung stoßen. Da allerdings das Unternehmen, von dem hier die Rede ist, mehr als die Hälfte seiner Spende höchstwahrscheinlich sowieso nicht mehr verkaufen kann und abschreiben muß, wird aus der vermeintlich generösen Geste eine Form von Abfallentsorgung. Sicherlich, dieser Abfall dürfte sich sehr von dem Abfall unterscheiden, der auf den Müllkippen von Ländern wie Indien, Brasilien oder Nigeria landet und von Heerscharen an Müllsuchern nach Eßbarem durchwühlt wird.

In den USA wie auch in Deutschland und anderen Industriestaaten werden inzwischen zig Millionen Menschen durch die Tafeln oder Food Banks mit Essen zweiter Wahl versorgt, das jedoch nicht schlecht sein und keine Krankheiten verursachen muß. Der positive Nimbus der Wal-Mart-Spende wird jedoch in Frage gestellt, sobald man grundsätzlich wird und feststellt, daß die Voraussetzung einer solchen Spende (oder die von Milliardären wie Bill Gates, Warren Buffett, etc.) eine extreme Ungleichheit produzierende Gesellschaft ist. Nur derjenige kann eine Millionenspende abtreten, dem es ermöglicht wurde, die Millionen zuvor zu scheffeln. Der Weltkonzern Wal-Mart verdient ja nicht schlecht daran, daß er Lebensmittel von Erzeugern oder Zwischenhändlern auf- und in seinen Läden zu einem höheren Preis wieder verkauft. 2008 betrug sein Jahresumsatz über 400 Milliarden Dollar, der Gewinn lag bei 13,4 Milliarden Dollar.

Im Durchschnitt 0,4 Mrd. Dollar jährlich will das Unternehmen in den nächsten fünf Jahren spenden. Der Betrag schrumpft auf unter 0,2 Mrd. Dollar, wenn man nicht mehr zu verkaufende, also normalerweise der Abfallverwertung zuzuführende Waren abzieht.

Man müßte die größte Supermarktkette der USA und den zugleich zweitgrößten Konzern der Welt, der über zwei Millionen Angestellte hat, die jedoch durch keine Gewerkschaft vertreten werden und von denen sich einige schon mal ihre Mittagspause von 30 Minuten gerichtlich erstreiten mußten, den Vorwurf des Etikettenschwindels machen, wenn er seine Spende als besonders zu lobende Konzerneigenschaft darstellt.

In den USA waren im Februar dieses Jahres 39,7 Millionen Einwohner anspruchsberechtigte Empfänger von Lebensmittelmarken des Supplemental Nutrition Assistance Program (SNAP) - ein Zuwachs um 22 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Die Wal-Mart-Spende würde gerade mal ausreichen, um jeden Food-stamps-Empfänger rund fünf Mahlzeiten pro Jahr(!) zu geben, rechnete der "Christian Science Monitor" vor.

Bis jetzt ist nicht erkennbar, daß aus dem Konflikt zwischen der verarmten Bevölkerung und den Superreichen, deren Bankeinlagen von der Regierung mit Milliardenbeträgen geschützt werden, eine gesellschaftliche Spannung erwächst, deren Potential sich irgendwann gegen die Herrschenden entladen könnte. Damit es auch in Zukunft nicht dazu kommt, lassen Konzerne wie Wal-Mart durch ihre Spenden etwas Dampf aus dem Kessel. Ein wenig erinnert das Vorgehen an die Viehwirtschaft: Eine Kuh, ihrer Hörner frühzeitig durch Wegätzen beraubt und hormonell dauerhaft sediert, muß gefüttert werden, damit sie Milch gibt. Dem Volk, wenn man so will, muß ein Teil der Beute, die man ihm zuvor weggenommen hat, wieder zwecks Befriedigung zurückgegeben werden, sonst rottet es sich zusammen und fegt die Räuberbande weg.

14. Mai 2010