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LAIRE/1100: Biosprit-Produktion und sklavereiähnliche Arbeit (SB)


Schwerwiegende soziale "Kollateralschäden" durch die Herstellung von Biosprit


Dem Schattenblick wird von Lobbyisten des Green New Deal häufiger die Behauptung angetragen, daß es übertrieben sei, im Zusammenhang mit dem Plantagenanbau von Pflanzen für Agrosprit von "sklavereiähnlicher Arbeit" zu sprechen. Mehr noch, der Redaktion wird unterstellt, sie habe keine Ahnung von der Materie und befleißige sich der Aufhetzung, wenn sie solche Behauptungen verbreite.

Aus diesem Grund wollen wir die Gelegenheit ergreifen und einige Stimmen, denen in der Regel nicht der Vorwurf der Einseitigkeit und Verunglimpfung zur Last gelegt wird, zu Wort kommen lassen. Unsere kleine Zusammenstellung an Studien, Tageszeitungsberichten und Einschätzungen selbst von Biospritbefürwortern sollte unseren Leserinnen und Lesern dann einen geeigneten Einblick in das Thema liefern, so daß sie sich eine eigene Meinung zu der Frage bilden können, ob und inwiefern die Biospritproduktion zu sklavereiähnlichen Arbeitsverhältnissen führen kann oder nicht.

Brasilien zählt mit seiner Jahresproduktion von 28 Milliarden Litern Ethanol (2008) zu den weltweit größten Produzenten von Biotreibstoff und gilt vielen Entwicklungsländern als Vorbild, da das südamerikanische Land hinsichtlich der Exportzahlen für Biosprit mit Abstand führend ist. Ausgerechnet Brasilien hat sich jedoch in anderer Hinsicht als Vorbild erwiesen, nämlich bei der Förderung sklavereiähnlicher Arbeit. Die International Labor Organization der Vereinten Nationen schätzt, daß im Jahr 2003 zwischen 25.000 und 40.000 Brasilianer in Schuldsklaverei lebten; und zwar insbesondere auf den Zuckerrohrplantagen, wo die Arbeiter so wenig Lohn erhalten, daß sie die extrem übersteigerten Kosten für Unterkunft und Lebensmittel auf der Plantage nicht bezahlen können. [1]

Fast schon verharmlosend wirkt demgegenüber der Bericht der von den katholischen Bischöfen Brasiliens gegründeten Hilfsorganisation Catholic Land Pastoral, wonach von 2007 auf 2008 die Fälle von Schuldversklavung um sechs Prozent auf 280 Fälle zugenommen haben; ein Drittel davon beträfe den Zuckerrohranbau. [2] Dabei handelt es sich um die registrierten Fälle, die Dunkelziffer dürfte um vieles höher liegen.

Das Magazin "Der Spiegel" schrieb, daß die Plantagenarbeiter bis zu 3000 mal pro Tag ihre Machete schwingen und durchschnittlich nach zwölf Jahren Zuckerrohrschneiden körperliche Wracks sind. Ein 43jähriger Plantagenarbeiter gilt bereits als Greis. [3] Das Konkurrenzmagazin "Focus" sieht das ähnlich. [4] Am Beispiel des von der Abholzung bedrohten Tanoé-Regenwalds im Süden der Elfenbeinküste, der einer Plantage für die Palmölgewinnung weichen soll, spricht Focus-Autor Michael Odenwald unter Berufung auf die Organisation "Rettet den Regenwald" davon, daß sich die Bewohner gegen die Vertreibung zur Wehr setzen: "Wird ihnen diese Lebensgrundlage genommen, können sie sich allenfalls als Plantagenarbeiter verdingen. Dann aber, fürchten die Naturschützer, ergehe es ihnen wie den Arbeitern in den Kaffee- und Kakaoplantagen der Elfenbeinküste, deren Früchte unter sklavereiähnlichen Verhältnissen geerntet werden."

Es ist hinlänglich bekannt, daß die brasilianische Regierung regelmäßig Menschen, die in Schuldknechtschaft gehalten werden, befreit. Im vergangenen Jahr waren es 4500 Personen, von denen die Hälfte auf Zuckerrohrplantagen arbeitete. [5] Wobei diejenigen, die sich glücklich schätzen dürfen, da sie einen geringen Lohn einstreichen können, nach Akkord bezahlt werden. Da die Arbeiter unmöglich wissen können, was sie geleistet haben, werden sie häufig betrogen. Manche Arbeiter schuften so hart, daß sie gar nicht erst den Umweg über eine Krankheit oder einen unheilbaren körperlichen Verschleiß gehen und aus der Arbeit ausscheiden, sondern bereits am Arbeitsplatz tot zusammenbrechen.

Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International stellte fest, daß auf brasilianischen Zuckerrohrplantagen sklavereiähnliche Arbeit geleistet wird. [6] Im März 2007 wurden 288 Personen, die auf sechs Plantagen im Bundesstaat Sao Paulo Zwangsarbeit verrichteten, und weitere 409 Personen aus einer Ethanol-Destillerie im Bundesstaat Mato Grosso do Sul befreit. Im November 2007 entdeckten Behördenvertreter 831 indigene Zuckerrohrschneider, die unter miesesten Bedingungen arbeiten mußten. Mehr als 1000 Personen wurden im Juni 2007 aus "Verhältnissen vergleichbar mit Sklaverei" von einer Zuckerrohrplantage im Bundesstaat Para befreit.

Das führende US-Wirtschaftsblatt "The Wall Street Journal" machte im vergangenen Jahr keinen Hehl daraus, daß der Biosprit-Boom nicht nur zum Anstieg der Lebensmittelpreise geführt hat, sondern daß er eine unbeabsichtigte Konsequenz besitzt: Sklaverei. Das Blatt beruft sich auf einen Bericht des US-Außenministeriums über Menschenhandel, wonach der Einsatz von erzwungener Arbeit auf Zuckerrohrplantagen einen "wachsenden Trend" verzeichnet. [7]

Knapp eine Woche darauf befaßte sich die "Los Angeles Times" mit dem gleichen Thema. [8] In den letzten vier Jahren seien mindestens 18 Zuckerrohrschneider an Dehydrierung oder Entkräftung gestorben, schrieb die Zeitung und gibt die Erklärung des Politikwissenschaftlers Leonardo Sakamoto, der eine nichtkommerzielle Arbeitsrechtsgruppe in Sao Paulo leitet, wieder, wonach die Konkurrenzfähigkeit Brasiliens beim Biosprit auf Ausbeutung der Arbeiter beruhe, angefangen von Sklavenarbeit bis hin zur schlechten Bezahlung. Die "Los Angeles Times" bezieht sich unter anderem auf den Jahresbericht von Amnesty International und läßt Tim Cahill, der für diese Menschenrechtsorganisation in Brasilien tätig ist, zu Wort kommen: "Die sklavereiähnlichen Fälle scheinen nicht die Norm zu sein. Aber sehr wohl gilt dies für lange Arbeitszeiten, die Zerstörung der Gesundheit der Arbeiter aufgrund extremer Bedingungen, den Mangel an Zugang zu qualitativer Nahrung, Probleme bei der Unterkunft und die Auswirkungen von Agro-Toxinen." Und der Arbeitsschutzpolizist Marcus Vinicius Goncalvers, der für die brasilianische Regierung arbeitet, ergänzt: "In der heutigen Zeit müssen Sklaven nicht notwendigerweise angekettet sein." [8]

"Palmöl muß nicht schlecht für die Umwelt sein", titelte die malaysische Internetseite mongabay.com, die dem Anbau von Pflanzen zur Biospritgewinnung gegenüber wohlgesonnen ist, solange Umweltstandards eingehalten werden. [9] Die Website stellte fest, daß die Kultivierung von Ölpalmen für umfangreiche Abholzungen verantwortlich ist, was die Biodiversität verringert, wichtige ökologische Aufgaben schmälert, den Klimawandel antreibt "und Arbeiter unerträglichen, sklavereiähnlichen Bedingungen aussetzt".

Grundsätzlich stellt sich doch die Frage, warum Politiker und Analysten überhaupt die Einhaltung von Sozialstandards bei der Biospritproduktion einfordern, wenn angeblich "sklavereiähnliche Arbeit" tatsächlich ein übertriebener Ausdruck sein sollte. Beispielhaft sei hier das Hintergrundpapier einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für "nachhaltige Biotreibstoffe" an der Universität Lausanne in der Schweiz genannt. [10] Unter Berufung auf die "Decent Work Agenda" der Internationalen Arbeitsorganisation ILO haben die Autoren des Papiers Mindestforderungen an eine aus ihrer Sicht akzeptable Arbeit aufgestellt. Unter den Punkten 4b) und 4c) heißt es, daß Biotreibstoff-Projekte sicherstellen sollen, daß es zu keiner "Sklavenarbeit" und "erzwungener Arbeit" sowie keiner "Kinderarbeit" kommt.

Selbstverständlich sind Arbeitsverhältnisse, denen Menschen nicht entkommen können, weil sie von Soldaten bewacht werden oder weil sie sich bei dem Plantagenbesitzer immer mehr verschulden, nicht mit Arbeiten gleichzusetzen, für die Menschen einen bescheidenen Lohn erhalten, so daß sie auf einem niedrigen Niveau sich und ihre Familie ernähren können. Das gilt für die Landwirtschaft, den Bergbau wie eigentlich für alle anderen Bereiche der Lohnarbeit auch. Der Übergang zwischen diesen Arbeitsformen ist zwar fließend, aber um Ausbeutung handelt es sich allemal. Der Unternehmer behält immer einen Teil dessen ein, was der Arbeiter eigentlich erwirtschaftet hat. Nur weil sich dieses System weltweit etabliert hat und akzeptiert wird, bedeutet das nicht, daß die Arbeiter deswegen nicht Zwängen und Unabänderlichkeiten unterworfen sind, die sie zu Sklaven der Produktionsverhältnisse macht. Hierdurch wird in der Regel die Gesundheit ruiniert, was die zugespitzteste Form von Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft bedeutet.

In Afrika findet derzeit ein Wettrennen globaler Akteure um die ertragreichsten landwirtschaftlich nutzbaren Flächen statt. Ob Ghana, Tansania oder Madagaskar - Menschen werden vertrieben, zwangsumgesiedelt oder in Arbeitsverhältnisse gedrängt, die langfristig für die jeweilige Gesellschaft von Nachteil sind, weil es nur darum geht, biologische Rohstoffe (Biotreibstoffe und Nahrung) außer Landes zu befördern. Dieser Boom zum Plantagenanbau wird sich strukturell auf die afrikanischen Ökonomien auswirken und die Länder stärker denn je an ihre Rolle als bloße Ressourcenstaaten, denen eine höhere Ebene in der sogenannten Wertschöpfungskette versagt wird, fesseln.

Wenn nun andere Staaten versuchen, auf dem Gebiet der Biospritproduktion in Konkurrenz zu Brasilien zu treten, steht da nicht zu befürchten, daß die Arbeit mindestens ebenso krasse Formen der Ausbeutung annehmen wird wie in dem südamerikanischen "Vorbildstaat"? Daß die afrikanischen Regierungen Vertreibungen zulassen oder aktiv betreiben, damit ausländische Pächter landwirtschaftliche Flächen aufbauen können, sollte als ausreichende Warnung gelten, daß die Regierung dann auch nicht gegen Arbeitsverhältnisse einschreiten wird, die an Sklaverei erinnern.


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Anmerkungen:

[1] "Debt slavery on the rise in Brazilian sugarcane plantations: report", 2. Juni 2009
http://www.biofuelsdigest.com/blog2/2009/06/02/debt-slavery-on-the- rise-in-brazilian-sugarcane-plantations-report/

[2] "Ethanol Industry Fuels Debt Slavery in Brazil", Tania Campbell, Juni 2009
http://www.ethicaltraveler.org/news_story.php?id=1133

[3] "Brasilien - Der grüne Tsunami", Spiegel Online, 19. Januar 2009
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-63637463.html

[4] "Palmöl Tank oder intakte Natur", Focus, 2. September 2008
http://www.focus.de/wissen/wissenschaft/artenschutz/tid-11596/ palmoel-von-den-toten-wiederauferstanden_aid_327455.html

[5] "Americas Program Report Migration and Mechanization in Brazil's Biofuel Cane Fields", Americas Program, Center for International Policy (CIP), 9. Februar 2009
http://americas.irc-online.org/am/5851

[6] "Slave ethanol? Amnesty International: forced labor in Brazil´s sugarcane fields", Tom Philpott, 30. Mai 2008
http://www.grist.org/article/slave-ethanol

[7] "Of Human Bondage", The Wall Street Journal, 10. Juni 2008
http://online.wsj.com/article/SB121305838908359421.html?mod=hps_us_at_glance_opinion

[8] "Human cost of Brazil's biofuels boom", Los Angeles Times, 16. Juni 2008
latimes.com/news/nationworld/world/la-fg-biofuels16-2008jun16,0, 2605521.story latimes.com

[9] "Palm oil doesn't have to be bad for the environment", mongabay.com, 4. April 2007
http://news.mongabay.com/2007/0404-oil_palm.html

[10] "Background paper on labour and human rights", Roundtable on Sustainable Biofuels, EPFL Energy Center, Mai 2008
http://cgse.epfl.ch/webdav/site/cgse/shared/Biofuels/Working%20Groups/SOC%20WG/Backgrounders/Background%20paper%20%20labour%20rights%20SOC%20WG.pdf

22. Oktober 2009