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LAIRE/1065: Schweigende Zeugen der Folter - das Rote Kreuz (SB)


Gefoltert werden du und ich ...


Die "Washington Post" berichtete am 16. März unter der Überschrift "Red Cross Described 'Torture' at CIA Jails" über einen an die Öffentlichkeit gelangten Geheimbericht des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes über Folter in CIA-Gefängnissen. Zu diesem Bericht sei folgendes angemerkt:

Die weit verbreitete Vorstellung, Staaten ließen foltern, um Menschen zum Reden zu bringen, soll über das Grundverhältnis zwischen Vertretern des Staatsapparats und der Bevölkerung hinwegtäuschen. Die Befragung beispielsweise der Gefangenen des Käfiglagers Guantánamo Bay dient zwar der Beschaffung von Informationen, aber die beziehen sich viel weniger auf die ursprüngliche Herkunft und das soziale Umfeld der teils seit sieben Jahren einsitzenden Gefangenen als vielmehr auf die unmittelbare Antwort des geschundenen Körpers auf Folter. Der Mensch an sich, seine physiologischen und psychologischen Reaktionen, seine Belastbarkeit unter physischen und psychischem Streß, sind von herausragendem Interesse. Im Foltergefängnis Guantánamo werden Experimente mit Menschen durchgeführt. Die Behauptung, es handele sich bei den Insassen um Terroristen, dient dagegen einzig und allein dem Zweck, die Öffentlichkeit zu beruhigen und ihr zu verstehen zu geben: "Kümmert euch nicht um diese bösen Leute (feindliche Kämpfer), die gehören nicht zu uns, wir dürfen mit ihnen machen, was wir wollen. Mehr noch, sie zwingen uns dazu, ihnen all das anzutun, was wir ihnen antun. Das ist letztlich zu eurem eigenen Schutz."

Warum sollte der Öffentlichkeit das vorgespielt werden? Weil dort Menschen dem staatlichen Zugriffsversuch bis in die kleinste Körperzelle hinein ausgeliefert sind - Menschen, die ebenfalls einmal Öffentlichkeit waren. Das heißt, die sich nicht von den Einwohnern in den USA, Deutschland, Japan, Australien, etc. unterscheiden. Vielleicht hatte der eine oder andere eine Waffe in der Hand, als er abgegriffen wurde, vielleicht auch nicht. Das spielt keine Rolle, denn der Folterer fragt nicht nach Recht oder Unrecht, ebensowenig wie nach Herkunft oder Absichten seines Opfers. Gefoltert werden du und ich.

Guantánamo ist ein umfassendes biomedizinisch-psychologisches Experimentierfeld, auf dem die Herrschaft des Menschen über den Menschen verfeinert wird. Ein toter Mensch kann nicht mehr beherrscht werden. Deshalb werden die Folteropfer nicht ertränkt, sondern kurz vor dem Ertrinken zurückgeholt. Das macht sie nicht unbedingt geständig - wenn es überhaupt etwas zu gestehen gäbe seitens einer Person, der schlimmstenfalls vorgehalten werden könnte, daß sie ihre Heimat gegen Invasoren verteidigt hat -, aber es kann sie brechen.

Zu den in Guantánamo gewonnenen Erkenntnissen gehören, welche Auswirkungen Kälte, Hitze, Lärm, Mangelernährung, pharmakologische Substanzen, Entzug des Schlafes und der notwendigen medizinischen Behandlung, Verharren in unbequemen Stellungen, Dauerlicht, Verhöre und grobe physische Gewalt haben. Was führt zu Bündnissen unter den Gefangenen? Wie kann man sie gegeneinander ausspielen? Ab wann beginnt jemand, sich zu vernachlässigen oder sich selbst zu zerstören?

Die Menge an Fragen, die in Guantánamo gestellt werden und rein gar nichts mit der behaupteten Funktion des Menschenlagers zu tun haben, kann hier nicht mal annähernd ausreichend wiedergegeben werden. Guantánamo ist eine soziale Enklave, an der verschiedene gesellschaftliche bzw. Berufsgruppen beteiligt sind. Abgesehen von den stiernackigen Männern fürs Grobe sind dort auch Ärzte und Psychologen tätig ... und Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes. Sie beobachten das Geschehen aus sicherer Warte, dokumentieren beflissen die hochnotpeinlichen Verhöre und verkaufen sich durch ihr Schweigen an die Betreiber des Folterlagers. Das Rote Kreuz bildet keinen Gegenpart zum Foltersystem, sondern es ist ein Teil von ihm.

17. März 2009