Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 24. Februar 2025
german-foreign-policy.com
Transatlantische Widersprüche
Der AfD gelingt mit über 20 Prozent der Durchbruch zur zweitstärksten Kraft im Bundestag. Die Partei wurde offen von der US-Administration unterstützt. Dies stellt den mutmaßlichen künftigen Kanzler Merz vor ein Dilemma.
BERLIN/WASHINGTON - Die AfD hat als erste Partei der extremen Rechten in der Geschichte der Bundesrepublik bei einer Bundestagswahl über 20 Prozent erzielt und kann im neuen Parlament die zweitstärkste Fraktion stellen. Damit verschieben sich die politischen Gewichte nicht nur in Deutschland nach rechts, sondern auch in der EU, wo Parteien der extremen Rechten in weiteren Mitgliedstaaten inzwischen sogar stärkste Kraft geworden sind und in Italien die Ministerpräsidentin, in anderen EU-Ländern Minister stellen. Die extreme Rechte wird außerdem, auch dies erstmals seit 1949, sowohl in der EU insgesamt als auch speziell in Deutschland von der US-Administration unterstützt. Vizepräsident JD Vance stärkte der AfD vor zehn Tagen am Rand der Münchner Sicherheitskonferenz den Rücken; Elon Musk hat noch am Samstag öffentlich zu ihrer Wahl aufgerufen. Friedrich Merz (CDU), der als mutmaßlicher künftiger Bundeskanzler gilt, hat in US-Medien angekündigt, gegen Musks Einmischung in den deutschen Wahlkampf vorgehen zu wollen und auch sonst Konfrontationen mit der Trump-Administration nicht auszuschließen. Diese attackiert Berlin scharf und ist dabei, Deutschland und die EU weltpolitisch zu deklassieren.
Das einschneidendste Teilergebnis der Bundestagswahl vom gestrigen Sonntag ist der Durchbruch der Alternative für Deutschland (AfD), die als erste extrem rechte Partei in der Geschichte der Bundesrepublik auf etwa 20 Prozent der Stimmen kam und damit im neuen Bundestag die zweitstärkste Fraktion nach derjenigen von CDU und CSU stellt. Damit verschieben sich die Kräfteverhältnisse in ähnlicher Weise wie in diversen weiteren Staaten Europas, in denen die extreme Rechte ebenfalls erstarkt ist. In Österreich wurde die FPÖ in der jüngsten Nationalratswahl vom 29. September 2024 mit 28,9 Prozent stärkste Kraft. In Frankreich konnte sich der Rassemblement National (RN) im Sommer 2024 mit 29,3 Prozent im ersten, 32,1 Prozent im zweiten Wahlgang als stärkste Partei etablieren. In Italien regiert mit Ministerpräsidentin Giorgia Meloni die Führungsfigur der extrem rechten Fratelli d'Italia (FdI). In den Niederlanden wiederum ist die Partij voor de Vrijheid (PVV) stärkste Kraft in der Regierungskoalition. In Finnland ist die Partei Die Finnen an der Regierung beteiligt, während in Schweden die Schwedendemokraten die Regierung tolerieren. Dem Milieu extrem rechter Kräfte zugerechnet wird mittlerweile zudem die Partei Fidesz des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. In diese Entwicklung reiht sich der Wahlerfolg der AfD ein.
Neu ist, dass die extreme Rechte in Europa von der US-Regierung und ihrem unmittelbaren politischen Umfeld unterstützt wird. Wahlkampfhilfe für die AfD gab es noch am Samstag von Elon Musk, der, nachdem er sich mehrmals exponiert für die Partei eingesetzt hatte (german-foreign-policy.com berichtete [1]), unmittelbar vor der Wahl auf X postete: "AfD!" Musk repostete zudem den Aufruf eines rechten Aktivisten, der in Bezug auf den erwarteten Wahlerfolg der AfD schrieb: "Let's make the West great again."[2] Vizepräsident JD Vance, der vor zehn Tagen auf der Münchner Sicherheitskonferenz gefordert hatte, in Europa die "Brandmauern" zur extremen Rechten einzureißen, und sich anschließend zu einem rund 30-minütigen Gespräch mit AfD-Bundessprecherin Alice Weidel traf [3], sagte am Donnerstag auf der diesjährigen Conservative Political Action Conference (CPAC) der US-Republikaner, die seit Jahren von Trump-nahen Kräften dominiert wird, "Freundschaft" zwischen Staaten hänge "von gemeinsamen Werten" ab. Mit Blick auf den Cordon sanitaire gegenüber der extremen Rechten erklärte Vance, wer die "eigene Bevölkerung zum Schweigen" bringe, der teile nicht die Werte der USA.[4] Auf der CPAC, auf der diverse Vertreter der extremen Rechten aus Europa auftraten, sorgte Trumps Ex-Chefberater Steve Bannon mit einer Geste, die weithin als Hitlergruß verstanden wurde, für mediale Aufmerksamkeit.[5]
Der Druck seitens der Trump-Administration, das Berliner Polit-Establishment müsse sich endlich für die AfD und damit für die extreme Rechte öffnen, bringt den Kanzlerkandidaten von CDU und CSU, Friedrich Merz, in eine schwierige Lage. Merz, einstiger Vorsitzender der transatlantischen Lobbyorganisation Atlantik-Brücke, Ex-Aufsichtsratschef von BlackRock Asset Management Deutschland, der deutschen Filiale des US-Investmentfonds' BlackRock, ein ausgewiesener Transatlantiker, strebt das Amt des Bundeskanzlers in einer Zeit an, in der Washington begonnen hat, die EU inklusive ihrer deutschen Zentralmacht nicht nur heftig zu attackieren und schwer zu schädigen, sondern sie ostentativ in die zweite Reihe der internationalen Politik zu verbannen, sie also öffentlich zu deklassieren. Die US-Regierung droht der EU nicht nur mit empfindlichen Zöllen, sie hat sie aus den Gesprächen über eine Beendigung des Ukraine-Kriegs ausgegrenzt und droht, ein Teilterritorium ihres Mitgliedstaates Dänemark, nämlich dessen Autonomes Gebiet Grönland, zu annektieren. Es kommt die offene Wahlkampfeinmischung durch Musk und durch Vance hinzu. Nehmen Berlin und Brüssel dies widerstandslos hin, billigen sie faktisch ihre weltpolitische Deklassierung durch Washington. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sucht sich zur Zeit als Speerspitze des EU-Widerstands gegen die US-Dominanz zu profilieren.
Merz hat Ende Januar zum ersten Mal überhaupt einen Antrag im Bundestag mit Hilfe der AfD verabschieden lassen und damit den Cordon sanitaire gegenüber der extremen Rechten eingerissen.[6] Er hat zuletzt allerdings auch mehrmals erklärt, eine Koalition mit der AfD, der die Trump-Administration den Weg zu bahnen sucht, auszuschließen. Zudem hat er im konservativen Wall Street Journal angekündigt, er werde sich, sollte er Kanzler werden, die Attacken der Trump-Administration nicht bieten lassen. So werde er auf Musks Einmischung in den deutschen Wahlkampf reagieren; dies könne "politisch" oder "juristisch" geschehen. Merz wies außerdem darauf hin, dass die EU zwar im Warenhandel mit den USA einen großen Überschuss erziele, dass umgekehrt jedoch die USA im Dienstleistungshandel einen Überschuss erwirtschafte; in einem transatlantischen Wirtschaftskrieg könne Brüssel also den US-Dienstleistungssektor attackieren. Das beträfe möglicherweise die großen US-Tech-Konzerne, darunter Musks Plattform X.[7] Auf die Frage, ob Berlin und Brüssel auch Tesla aufs Korn nehmen könnten, Musks E-Auto-Konzern mit Produktionsstätte in Grünheide bei Berlin, bekräftigte Merz gegenüber dem Wall Street Journal: "Ich lasse die Konsequenzen vorläufig bewusst offen." Entscheidungen über die etwaige Eskalation der transatlantischen Rivalität werde er erst nach der Bundestagswahl fällen.
Die Bundestagswahl wurde auch dieses Mal von Unregelmäßigkeiten überschattet. Bereits die Wahl vom 26. September 2021 hatte in mehr als einem Fünftel der Hauptstadtwahlkreise wiederholt werden müssen, weil korrekte Stimmzettel und Wahlkabinen fehlten und es nicht Wahlberechtigten, darunter Minderjährigen, gelang, unerlaubt eine Stimme abzugeben.[8] Vor der diesjährigen Wahl waren die Behörden des selbsternannten Demokratielehrmeisters Deutschland in vielen Fällen nicht in der Lage, im Ausland lebenden Bürgern rechtzeitig die Wahlunterlagen zuzusenden, die man zur Teilnahme benötigt, weil die Bundesrepublik es - im Unterschied zu anderen Staaten - nicht für nötig hält, die Stimmabgabe in ihren diplomatischen Vertretungen weltweit zu ermöglichen. Weil nun allerdings die zuständigen Behörden in Deutschland den Versand der Wahlunterlagen in vielen Fällen verschleppten, kamen diese bei einer größeren Zahl der rund 213.000 im Ausland lebenden Deutschen, die sich zur Teilnahme an dem Urnengang registriert hatten, erst zu spät oder gar nicht an. Es gehe "um Tausende, wenn nicht Zehntausende", wurde etwa der Verfassungsrechtler Ulrich Battis zitiert, der darin eine "klare Beeinträchtigung" des Wahlvorgangs sah.[9] Man wird daran erinnern dürfen, wenn die Bundesregierung das nächste Mal einen fremden Staat wegen tatsächlicher oder angeblicher Wahlirregularitäten belehrt.
Anmerkungen:
[1] S. dazu Ein Oligarch für die AfD,
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9816
Ein Oligarch für die AfD (II)
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9826
und Die transatlantische extreme Rechte (II).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9860
[2] Conor Murray: Elon Musk Boosts Germany's Far-Right AfD Party Again Ahead Of Sunday's Election. forbes.com 22.02.2025.
[3] S. dazu Die transatlantische extreme Rechte (III).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9871
[4] Michael Gold: JD Vance, at CPAC, Defends His Munich Speech and Trump's Policy Barrage. nytimes.com 20.02.2025.
[5] Charles Homans, Emma Bubola, Michael Gold: Bannon Salute at Right-Wing Event Sparks Outcry, Even on French Right. nytimes.com 21.02.2025.
[6] S. dazu Der Höhenflug der Rechten.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9850
[7] Bertrand Benoit: Musk Will Face Consequences for Meddling in German Politics, Warns Likely Leader. wsj.com 13.02.2025.
[8] Was die Neuwahl in Berlin bedeutet. zdf.de 10.02.2024.
[9] Bleiben viele Deutsche im Ausland diesmal außen vor? tagesschau.de 21.02.2025.
Link zur Erstveröffentlichung:
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9879
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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 28. Februar 2025
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