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STANDPUNKT/975: "Damit Gewehre schießen" (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 1. Dezember 2020
german-foreign-policy.com

"Damit Gewehre schießen"

Grünen-Vorsitzende spricht sich für Aufrüstung aus. Berlin erhöht Militärhaushalt - auch mit Geld aus dem Corona-Konjunkturpaket.


BERLIN/BRÜSSEL - Mit Blick auf eine mögliche schwarz-grüne Koalition in Berlin plädiert die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock für die Fortsetzung der Aufrüstung und zieht Kriege ohne UN-Mandat in Betracht. Sollte der UN-Sicherheitsrat "blockiert" sein, müsse man gegebenenfalls einer "internationalen Schutzverantwortung" entsprechen, legt Baerbock nahe; mit dem Begriff wurden in der Vergangenheit Kriege ohne oder unter Bruch eines UN-Mandats legitimiert - etwa der Krieg in Libyen. Während die Grünen-Vorsitzende fordert, man müsse "mehr investieren, damit Gewehre schießen", stockt der Bundestag den deutschen Militärhaushalt weiter auf - auch mit Mitteln aus dem Corona-Konjunkturpaket, aus dem Berlin 3,2 Milliarden Euro für die Aufrüstung abzweigt. Zu den 46,9 Milliarden Euro, die 2021 offiziell für die Bundeswehr vorgesehen sind, kommen inoffiziell mehrere Milliarden Euro hinzu, die in andere Budgetposten verschoben, aber intern gegenüber der NATO als Wehrausgaben klassifiziert werden. Lediglich auf EU-Ebene schreitet die Aufrüstung weniger rasch als von Berlin gewünscht voran.

Offizieller und inoffizieller Militärhaushalt

Der offizielle Verteidigungshaushalt der Bundeswehr wird im nächsten Jahr um zwei Milliarden Euro auf rund 46,9 Milliarden Euro steigen. Das hat der Haushaltsausschuss des Bundestags in der vergangenen Woche beschlossen. War im vergangenen Jahr in der mittelfristigen Finanzplanung noch vorgesehen, den Wehretat ab 2021 wieder zu senken (von 44,9 Milliarden Euro im Jahr 2020 auf rund 44,3 Milliarden Euro), so wird er nun nicht nur angehoben, sondern auch noch um einen Milliardenzuschuss aus dem Corona-Konjunkturpaket der Bundesregierung aufgestockt, woraus sich letztlich die 46,9 Milliarden Euro ergeben.[1] Dabei liegen die tatsächlichen Militärausgaben, die die Bundesregierung im kommenden Jahr tätigen wird, noch um mehrere Milliarden höher. Ursache ist, dass verschiedene einschlägige Ausgaben - darunter zum Beispiel diejenigen für die militärische "Ertüchtigung von Partnerstaaten" oder für den "Aufenthalt ausländischer Streitkräfte" - in anderen Haushaltsposten verborgen werden. Augenfälligster Beleg ist, dass die Wehrausgaben, die die Bundesregierung jährlich an die NATO meldet, stets deutlich höher als das Volumen des offiziellen Verteidigungshaushalts sind; dieses Jahr sind es laut dem FDP-Bundestagsabgeordneten Christian Sauter 51,5 Milliarden Euro, über 6,5 Milliarden Euro mehr als das offizielle Budget.[2] Von einer ähnlichen Differenz ist auch für 2021 auszugehen.

Kampfschiffe, Kampfpanzer, Kampfjets

Wie das Bundesverteidigungsministerium bestätigt, ist in der Planung die Finanzierung zahlreicher kostspieliger Rüstungsprojekte vorgesehen. Dazu zählt etwa die Beschaffung von vier Exemplaren des neuen Mehrzweckkampfschiffs MKS 180, deren Preis sich letztlich auf rund 5,3 Milliarden Euro belaufen soll.[3] Vorgesehen sind auch Mittel für eine erste Tranche von insgesamt 90 Eurofightern - ebenfalls ein Milliardenprojekt.[4] Geld wird zudem für neue Helikopter NH-90 sowie für die Eurodrohne bereitgestellt; auch sollen die Arbeiten an dem deutsch-französischen Kampfjet der nächsten Generation (Future Combat Air System, FCAS) und an dem neuen deutsch-französischen Kampfpanzer (Main Ground Combat System, MGCS) vorangetrieben werden. Für beide ist ein Einsatz im Verbund mit unbemannten Kampfsystemen geplant, etwa mit Robotern, Drohnen und Drohnenschwärmen.[5] Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat kurzfristig 114 Millionen Euro zusätzlich locker gemacht, damit die Bundeswehr neue Munition kaufen kann.[6] Mittel aus dem Corona-Konjunkturpaket der Bundesregierung hingegen verwendet die Truppe, um neue Transportfahrzeuge zu erwerben. So werden allein 389 Millionen Euro aufgewandt, um 150 Fahrzeuge mit einer Zuladung von 5 und 850 Fahrzeuge mit einer Zuladung von 15 Tonnen zu bezahlen. Geliefert werden sollen sie in den Jahren 2021 und 2022.[7]

Kritik an PESCO

Während Berlin die Aufrüstung energisch forciert, klagen Spezialisten über Rückschläge bei der Militarisierung auf EU-Ebene. Dies gilt zunächst für den EU-Haushalt. So hat Brüssel nach lange anhaltenden Auseinandersetzungen um den Unionsetat letztlich nicht - wie ursprünglich geplant - 13, sondern nur knapp acht Milliarden Euro für den Europäischen Verteidigungsfonds zur Verfügung gestellt, davon mehr als 2,6 Milliarden für Rüstungsforschung sowie 5,3 Milliarden für die Entwicklung von Kriegsgerät. Zur Verbesserung der "militärischen Mobilität" werden - anders als zunächst vorgesehen - nicht sechs, sondern lediglich 1,5 Milliarden Euro eingeplant; die "Europäische Friedensfazilität" wiederum, aus der EU-Operationen finanziert werden, wird fünf Milliarden Euro erhalten.[8] Als unzureichend stufen Militärkreise nicht nur die EU-Finanzmittel, sondern auch den realen Zustand der Aufrüstung ein. So verläuft das Projekt PESCO nicht wie gewünscht; nach herber Kritik haben die EU-Verteidigungsminister bei ihrem jüngsten Treffen am 20. November beschlossen, von den 47 aktuell laufenden PESCO-Teilvorhaben lediglich 26 "mit Priorität" zu verfolgen - eine euphemistische Formulierung dafür, dass die übrigen 21 vermutlich eingestellt werden. Mit Blick auf das als unzureichend eingestufte Militarisierungsniveau heißt es im jüngsten CARD-Bericht (Coordinated Annual Review on Defence), das erklärte Ziel der EU, "strategische Autonomie" zu erreichen, sei in Gefahr.[9]

Schwerpunkt Weltraum

Um die Aufrüstung zu beschleunigen, schlägt der CARD-Bericht die Fokussierung auf insgesamt sechs Schwerpunktfelder vor. So soll spezielles Gewicht auf die Entwicklung eines Kampfpanzers der nächsten Generation gelegt werden; Deutschland und Frankreich sind damit schon befasst. Einen weiteren Schwerpunkt soll die Herstellung eines neuen Überwasserschiffes der Patrol Class bilden, wobei "ein EU-weites Konzept für modulare Marineplattformen" geschaffen werden soll.[10] Im Mittelpunkt stehen zudem die Modernisierung der Infanteriesysteme und Maßnahmen zur "Abwehr unbemannter Luftfahrzeuge"; letzteren kommt große Bedeutung mit Blick auf künftige Drohnenkriege zu: Als exemplarischer Testlauf für Kriege dieser Art gilt Aserbaidschans Krieg gegen Armenien, den die aserbaidschanischen Streitkräfte vor allem dank ihrer von der Türkei und von Israel gelieferten Drohnen gewannen. Neben verstärkten Schritten zur Verbesserung der militärischen Mobilität empfiehlt der CARD-Bericht auch "die Entwicklung eines europäischen Konzepts für die Verteidigung im Weltraum". Die Kriegführung im All rückt seit einiger Zeit nicht nur zunehmend in den Blick der NATO [11], sondern auch der Bundeswehr, die erst kürzlich ihre neue Operationszentrale für militärische Einsätze im Weltraum in Dienst gestellt hat [12].

"Auch über Auslandseinsätze sprechen"

Dass die Aufrüstung auch bei einem möglichen Regierungswechsel nach der Wahl im kommenden Jahr - weg von der Großen Koalition hin zu Schwarz-Grün - umstandslos fortgesetzt werden kann, geht aus einem aktuellen Interview mit Annalena Baerbock, einer der beiden Vorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, hervor. Baerbock bekennt sich zu konsequenter Aufrüstung: "In manchen Bereichen muss man mehr investieren, damit Gewehre schießen und Nachtsichtgeräte funktionieren."[13] Für die NATO müssten in Zukunft "flexible, schnell verlegbare Einheiten im Bündnisgebiet" eine herausgehobene Rolle spielen, zudem "Gefährdungslagen wie Cyberattacken, eine neue Form der Kriegführung". Kampfeinsätzen ("robuste Militäreinsätze") könnten sich die Grünen keinesfalls prinzipiell verweigern; man müsse "auch über Auslandseinsätze ... sprechen": "Einfach wird das nicht", erklärt Baerbock mit Blick auf die Vergangenheit mancher "Grüner" im Umfeld der Friedensbewegung, "aber wir dürfen uns nicht wegducken". Baerbocks Äußerungen deuten nicht zuletzt auf eine prinzipielle Bereitschaft zu Kriegen ohne UN-Mandat hin. Befragt zu dem hypothetischen Fall, ein Genozid finde statt, und der UN-Sicherheitsrat sei "blockiert", äußert die Grünen-Vorsitzende: "Es gibt eine internationale Schutzverantwortung." Das Konzept der "Schutzverantwortung" (Responsibility to Protect, R2P) soll Kriegen ohne UN-Mandat Legitimität verleihen. Als Beispiel gilt der Krieg des Westens gegen Libyen im Jahr 2011. Die Folgen dieses Krieges sind bekannt.


Anmerkungen:

[1] Bundeswehr erhält mehr Geld aus dem Bundeshaushalt. bmvg.de 27.11.2020.

[2] Deutschland steigert die NATO-Quote. csauter.abgeordnete.fdpbt.de 25.10.2020.

[3] S. dazu Ein "nationaler Champion" im Kriegsschiffbau
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8280/

[4] S. dazu Kampfjets statt Masken
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8251/

[5] S. dazu Führungskampf in der EU-Rüstungsindustrie
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8075/

[6] Thomas Wiegold: Verteidigungshaushalt 2021: 120 Mio mehr, jetzt 46,93 Milliarden Euro. augengeradeaus.net 27.11.2020.

[7] Moderne Transportfahrzeuge für die Bundeswehr. bmvg.de 26.11.2020.

[8] Hans-Uwe Mergener: Brüsseler Spitzen - EU auf der Suche nach dem richtigen Weg. esut.de 28.10.2020.

[9] Alexandra Brzozowski: EU lacks defence capabilities to meet 'strategic autonomy' goals. euractiv.com 23.11.2020.
S. auch Die strategische Autonomie der EU https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8446/

[10] Ministern werden neue Möglichkeiten für gemeinsame militärische Fähigkeiten zur Überwindung der fragmentierten europäischen Verteidigungslandschaft vorgestellt. Pressemitteilung der European Defence Agency. Brüssel, 20.11.2020.

[11] S. dazu Ein militärischer "Kompetenzcluster Weltraum"
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8420/

[12] S. dazu Bundeswehroperationen im Weltraum
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8390/

[13] Daniel Brössler, Constanze von Bullion: Baerbock will Bundeswehr stärken. sueddeutsche.de 30.11.2020.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2020

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