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STANDPUNKT/713: Von Barak bis Trump (Uri Avnery)


Von Barak bis Trump

von Uri Avnery, 9. Dezember 2017


EHUD BARAK hat "das Schweigen gebrochen". Er hat in der New York Times einen Artikel veröffentlicht, der unseren Ministerpräsidenten mit den aggressivsten Ausdrücken angreift, mit anderen Worten hat er genau dasselbe getan wie die Gruppe ehemaliger Soldaten, die sich selbst "Breaking the Silence" nennen und die beschuldigt werden, unsere schmutzige Wäsche im Ausland zu waschen. Sie decken Kriegsverbrechen auf, deren Zeugen sie waren oder an denen sie sogar selbst teilgenommen haben.

Doch abgesehen von dem Angriff auf Benjamin Netanjahu, hat Barak den Artikel dazu benützt, seinen Friedensplan zu veröffentlichen. Als früherer Stabschef der israelischen Armee und früherer Ministerpräsident ist Barak offensichtlich dabei, ein Comeback zu planen, und sein Friedensplan ist ein Teil seiner Bemühungen. Es scheint gerade mal wieder eine Saison für Friedenspläne in unserer Region zu sein.

Vor Baraks Intelligenz habe ich Respekt. Vor vielen Jahren, als er noch vertretender Stabschef war, lud er mich unerwartet zu einem Gespräch ein. Wir diskutierten über die Militärgeschichte des 17. Jahrhunderts (Militärgeschichte ist ein altes Hobby von mir), und mir wurde bald klar, dass er darin ein wirklicher Experte war. Ich freute mich sehr darüber.

An einem Frühlingsabend im Mai 1999 gehörte ich einer riesigen jubelnden Menschenmenge auf Tel Avivs Rabin-Platz an, nachdem Barak die Knesset-Wahlen gewonnen hatte und Ministerpräsident wurde. Er versprach uns den "Beginn eines neuen Tages". Insbesondere versprach er uns, mit den Palästinensern Frieden zu schließen.

Intellektuell ist Barak allen anderen Politikern der israelischen Szene überlegen. Bald danach schien es so, als sei das ein Handicap.

Intelligente Leute neigen dazu, arrogant zu sein. Sie verachten Leute mit weniger Verstand. Barak dachte, er wisse es besser als andere, und verlangte, dass Clinton zu einem Treffen mit Arafat aufrief.

Am folgenden Tag sprach ich mit Arafat und fand ihn tief verstört. Nichts ist vorbereitet worden, kein vorheriger Austausch von Ansichten, nichts. Er wollte nicht zu diesem Treffen gehen, von dem er dachte, dass es fehlschlagen würde. Er konnte aber eine Einladung des US-Präsidenten nicht ausschlagen.

Das Resultat war eine Katastrophe. Barak, selbstsicher wie immer, präsentierte seinen Friedensplan. Dieser war entgegenkommender als jeder frühere israelische Plan, aber noch immer weit entfernt vom palästinensischen Minimum. Das Treffen wurde abgebrochen.

Was tut ein Diplomat unter solchen Umständen? Er verkündet, dass man einen fruchtbaren Austausch von Ansichten hatte. Dass man noch kein vollkommenes Abkommen erreicht hat, aber die Verhandlung weitergehen werden und es weitere Treffen geben wird, bis wir ein Abkommen erreichen.

Barak sagte dies nicht. Er sagte auch nicht "Tut mir leid, aber ich wusste nichts von der palästinensischen Ansicht; ich werde diese ernsthaft studieren."

Stattdessen kam Barak nach Hause und verkündete, dass Israel die großzügigsten Bedingungen seit je gestellt habe und dass die Palästinenser alles abgewiesen hätten und dass die Palästinenser uns ins Meer werfen wollen, dass wir keinen "Partner für den Frieden haben".

Hätte dies ein rechter Politiker erklärt, hätte jeder mit den Schultern gezuckt. Da dies aber vom Führer des Friedenslagers kam, war es verheerend. Dies wirkt sich bis auf den heutigen Tag aus.


HIER KOMMT also Barak, der neue Barak mit einem brandneuen Friedensplan. Was sagt er? Er schreibt, das Ziel ist "Trennung" von den Palästinensern. Nicht Frieden, keine Zusammenarbeit, nur Trennung. Sie loswerden. "Frieden" ist zurzeit nicht populär.

Wie soll diese Trennung aussehen? Israel wird dann die neuen jüdischen Viertel in Ost-Jerusalem annektieren und die "Siedlungsblöcke" - die Häufung jüdischer Siedlungen zwar jenseits der Grünen Linie aber nahe dran. Er ist mit "Landtausch" einverstanden. Und dann kommt die Hauptsache: "Die umfassende Verantwortung für die Sicherheit in der Westbank wird so lange wie nötig in den Händen der Israelischen Verteidigungskräfte bleiben".

Und die traurige Schlussfolgerung: "Selbst wenn es nicht möglich ist, den israelisch-palästinensischen Konflikt in diesem Stadium zu lösen - und wahrscheinlich ist er wirklich unlösbar ..."

Wenn es nur einen Palästinenser gäbe, der diese Bedingungen akzeptieren würde, würde es mich sehr überraschen. Doch Barak kümmerte sich weder damals noch heute um die Ansichten und Gefühle der Palästinenser. Genau wie Netanjahu, der wenigstens den Anstand hat, keinen solchen "Friedensplan" vorzuschlagen. Barak ist genauso wie Trump.


DONALD TRUMP ist kein Genie wie Barak, er hat aber auch einen Friedensplan.

Eine Gruppe von Juden des rechten Flügels, darunter sein Schwiegersohn (auch er kein Genie), haben an diesem seit Monaten gearbeitet. Er hat ihn Mahmoud Abbas, Arafats Nachfolger, dem neuen saudischen Kronprinzen und anderen arabischen Prinzen vorgelegt. Er scheint einen palästinensischen Staat vorzusehen, der aus mehreren kleinen isolierten Teilen der Westbank besteht - ohne Jerusalem und ohne eine Armee.

Das ist reiner Wahnsinn. Kein einziger Palästinenser und kein einziger anderer Araber würde dies akzeptieren. Was noch schlimmer ist, jeder, der solch eine Karikatur eines Staates vorschlägt, verrät größte Ignoranz.

Hier liegt das wirkliche Problem: es ist viel schlimmer, als es nicht zu wissen. Es ist eine bodenlose Verachtung der Palästinenser und der Araber im Allgemeinen, eine grundsätzliche Überzeugung, dass ihre Gefühle, falls sie welche haben, überhaupt nicht interessieren. Dies ist ein Überbleibsel aus den kolonialen Zeiten.

Die Palästinenser und die Araber im Allgemeinen haben tiefe Gefühle und Überzeugungen. Sie sind ein stolzes Volk. Sie erinnern sich an Zeiten, als die Muslime unvergleichlich fortgeschrittener waren als die barbarischen Europäer. Vom US-Präsidenten und seinem jüdischen Gefolge wie Dreck behandelt zu werden, verletzt sie tief und kann zu einem Aufstand in unserer Region führen, den kein arabischer Prinz, der von den USA angeworben wurde, kontrollieren kann.


DIES BETRIFFT besonders Jerusalem. Für Muslime ist dies nicht nur eine Stadt. Es ist ihre drittheiligste Stätte, der Ort, von dem der Prophet - Friede sei mit ihm - gen Himmel aufgefahren ist. Jerusalem aufzugeben, ist für einen Muslim unvorstellbar.

Die letzten Entscheidungen von Trump, Jerusalem betreffend, sind - um es milde auszudrücken - idiotisch. Die Araber sind wütend; den Israelis ist es egal. Amerikas arabische Marionetten, Prinzen und alle übrigen, sind tief besorgt. Wenn Aufstände ausbrechen, können sie hinweggefegt werden.

Und wofür? Wegen einer Schlagzeile in den Abendzeitungen?

Es gibt kein Thema in unserer Region und vielleicht in der Welt, das heikler ist. Jerusalem ist drei Weltreligionen heilig und über Heiligkeit kann nicht diskutiert werden.

In der Vergangenheit habe ich diesem Projekt viele Gedanken gewidmet. Ich liebe Jerusalem (Im Gegensatz zum Gründer des Zionismus, Theodor Herzl, der vom damaligen Jerusalem angeekelt war und es in Eile nach einer Nacht verlassen hat). Die frühen Zionisten mochten die Stadt auch nicht - sie war ein Symbol für alles, was im Judentum falsch und widerlich war.

Vor etwa 20 Jahren verfasste ich zusammen mit meinem verstorbenen Freund Faisal al-Husseini, dem Führer der Jerusalemer Araber und Nachkommen der vornehmsten Familie Jerusalems ein Manifest. Hunderte von Israelis und Palästinensern unterzeichneten es.

Seine Titelzeile lautete "Unser Jerusalem". Es begann mit den Worten; "Jerusalem gehört uns, Israelis und Palästinensern, Muslimen, Christen und Juden."

Weiter: "Unser Jerusalem ist ein Mosaik aller Kulturen, aller Religionen und aller Perioden, die die Stadt bereicherten, vom frühesten Altertum bis zum heutigen Tag: Kanaaniter, Jebusiter und Israeliten, Juden und Hellenen, Römer und Byzantiner, Christen und Muslime, Araber und Mameluken, Osmanen und Briten, Palästinenser und Israelis.

Unser Jerusalem muss vereinigt bleiben, für alle offen sein und allen seinen Bewohnern gehören, ohne Grenzen und ohne Stacheldraht in seiner Mitte."

Und die praktische Schlussfolgerung: "Unser Jerusalem muss die Hauptstadt der beiden Staaten sein, die nebeneinander, Seite an Seite in diesem Land leben werden - West-Jerusalem, die Hauptstadt des Staates Israel und Ost-Jerusalem, die Hauptstadt von Palästina."

Ich wünschte, ich könnte dieses Manifest an die Tore des Weißen Hauses nageln.



Copyright 2017 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 09.12.2017
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2017

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