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STANDPUNKT/535: Zwischen Wales und Warschau - die NATO rüstet zum letzten Gefecht (Jürgen Heiducoff)


Zwischen Wales und Warschau - die NATO rüstet zum letzten Gefecht

Ist es ihnen zuzutrauen?
Yes they can!


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von Jürgen Heiducoff, 17. Januar 2016


Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Paktes schien der Auftrag des westlichen Verteidigungsbündnisses erfüllt zu sein. Eine Lockerung und Auflösung auch der westlichen Streitkräftestrukturen und eine nachhaltige Abrüstung hätten folgen können. Doch eine solche Entwicklung wurde nicht ernsthaft verfolgt. Im Rahmen ihrer nordatlantischen Verteidigung wirkten die NATO - Staaten weiter eng zusammen. Die Führungsrolle der USA wurde ausgebaut. Das widerspiegelte sich auch im Verlaufe von Verhandlungen, z.B. unter dem Dach der Organisation der Vereinten Nationen (VN) oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Die Strategien und Einsatzkonzepte der Streitkräfte der einzelnen Nationen des Bündnisses blieben aufeinander abgestimmt. Das gilt auch für den nuklearen Bereich. Im Verlaufe von Debatten und Verhandlungen zur weltweiten nuklearen Rüstungskontrolle gehen die nationalen Abordnungen der NATO - Staaten weitgehend koordiniert vor.

Fast zehn Jahre nach dem Ende des kalten Krieges verschaffte sich die NATO auf dem Balkan ihre erste Feuertaufe. Gegen einen weitaus schwächeren Feind lässt es sich leicht gewinnen. Aber man braucht keinen Krieg zu führen, um die Völker des Balkan zu gewinnen. Das ehemalige Jugoslawien jedenfalls wurde erfolgreich zersplittert und in Teilen in die Bedeutungslosigkeit gebombt. Abweichende russische Interessen wurden ignoriert. Als eine der Folgen dieser sinnlosen Sezession steigt die Zahl der Flüchtlinge auch aus dieser Region weiter an. Aber die Amerikaner haben mit Camp Bondsteel im Kosovo eine der größten Militärbasen in Europa erlangt - für die Ewigkeit wie immer nach gewonnenen Kriegen.

Vor anderthalb Jahrzehnten streckte das "Verteidigungsbündnis" seine Finger weit über die Grenzen ihres bisherigen Einsatzraumes aus. Als Anlass kamen die Terroranschläge von 9/11 in den USA gerade recht. Kriege gegen den Terror wurden generiert: in Afghanistan, im Irak, in Libyen, in Syrien. Nachdem Kontingente einzelner NATO - Staaten Stellung am Hindukusch bezogen und sich eingerichtet hatten, übernahm die NATO die Operationsführung von ISAF. Sie begann die Besetzung großer Teile des Riesenlandes. Die Operationen waren nach eigener Bewertung stets erfolgreich. Jedoch ist der Gesamtauftrag in Afghanistan verfehlt worden. Die Taliban sind präsenter denn je und erhalten Verstärkung durch den IS. Das gibt zu denken.

Die Fürsprecher der Gewalt fragen sich: Reichte der militärische Druck beim Kampf gegen den Terror nicht aus? Hätten effektivere Waffensysteme eingesetzt werden sollen?

Aber wer stellte die Frage, ob vielleicht Russland, das selbst auch gegen den Terrorismus zu kämpfen hat, enger einbezogen werden soll?

Doch statt mit Russland während des Krieges gegen den Terror eng zusammen zu arbeiten, wurde es immer mehr ausgegrenzt und provoziert. Die USA kündigten einseitig den ABM - Vertrag und begannen mit dem Aufbau eines Raketenabwehrsystems an Russlands Grenzen.

Mit der Abkühlung der Beziehungen zu Russland gewann für die NATO die Landes- und Bündnisverteidigung wieder an Bedeutung. Im Visier waren Streitkräfte eines Feindes, der über konventionelle und auch Kernwaffen verfügt.

Die NATO befindet sich in einem dualen Spannungsfeld zwischen den Kräften des internationalen Terrorismus und Russland. Dies belastet die NATO ebenso wie auch Russland.

Ungeachtet dieser Erschwernisse sind während des Gipfels in Wales durch die NATO strukturelle und operationelle Aktivitäten beschlossen worden, die sich gegen Russland als klar definierten Gegner richten. Die Stärke der schnellen Eingreiftruppe ist deutlich erhöht, Material Richtung Osten verlegt und eine flexible "Speerspitze" ist formiert worden. Die Verteidigungsanstrengungen der NATO - Staaten werden weiter verstärkt.

Im Vorfeld des NATO - Gipfels in Warschau gibt es seriöse Debatten einer Wiederbelebung der atomaren Abschreckung gegen Russland. [1] Der Einsatz von Kernwaffen soll wieder in Übungsszenarien eingebaut werden. Eine "nukleare Speerspitze" droht sich zu formieren. [2]

Dies sind unverantwortliche und abenteuerliche Pläne, die mit der Vernichtung der Lebensgrundlagen in Europas enden können. [3, 4, 5]

Dies würde zugleich das letzte Gefecht eines aggressiven Militärbündnisses sein.

Die realistische Androhung des Einsatzes von Kernwaffen zur Vereitelung konventionellen Vorgehens ist ein Spiel mit der eigenen Existenz.

Die Nuklearstrategie darf kein Experimentierfeld werden!

Diesen gefährlichen Plänen steht natürlich eine Debatte aller Staaten der Erde auf der Ebene der Vereinten Nationen über die Ächtung und das Verbot von Kernwaffen im Wege.
Vorsorglich werden deshalb durch die Delegationen der NATO-Staaten an der Verhandlungsfront der Vereinten Nationen alle Anstrengungen unternommen, um einen Durchbruch bei den diplomatischen Bemühungen um eine Ächtung und ein Verbot von Nuklearwaffen zu verzögern und Fortschritte zu verhindern. [6]

Auch die Bundesregierung hat sich weder in der Frage der nuklearen Abschreckung, noch der Verhandlungen über Kernwaffen endgültig positioniert. Es steht zu befürchten, dass sie sich an der von Washington vorgegebenen Linie orientiert.

Da werden übergeordnete Werte wie Menschlichkeit und Vernunft zugunsten strategischer Interessen und Aggressivität unterdrückt.
Da wird die öffentliche Meinung auch in Deutschland ignoriert.

Wer glaubt schon noch an das Märchen von Prag? Dort hat der US-Präsident seine Vision von einer Welt ohne Atomwaffen präsentiert.
Die Wahrheit ist, dass während seiner Präsidentschaft seine Kernwaffen modernisiert werden - auch die in Deutschland.
Das zeigt das wahre Gesicht eines Repräsentanten einer Kultur der Lüge und Hinterlist.

Hey - Es geht hier nicht um das letzte Gefecht der NATO, sondern um das letzte Gefecht zwischen Menschen überhaupt!

Die logische Konsequenz kann nur sein:
Austritt Deutschlands aus der NATO mit der Erwartung, dass andere Staaten folgen und dieses aggressive Kriegsbündnis auseinander fällt, bevor es Europa und die Welt in die Katastrophe stürzt.


Anmerkungen:
[1] https://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-die-zeitschrift/archiv/jahrgang-2016/januar- februar/abschreckung-neu-denken
[2] https://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-die-zeitschrift/archiv/jahrgang-2016/januar-februar/konventionell-und-nuklear
[3] Karl-Heinz Kamp: Das atomare Element im Russland-Ukraine-Konflikt. Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Arbeitspapier Sicherheitspolitik 3/2015
[4] http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/swp-aktuell-de/swp-aktuell-detail/article/nato_verteidigungsplanung_zwischen_wales_und_warschau.html
[5] http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/swp-aktuell-de/swp-aktuell-detail/article/deutschland_und_die_nukleare_abschreckung.html
[6] http://www.icanw.de/pressemeldungen/deutschland-stimmt-gegen-atomwaffenverbot/


Der Autor Jürgen Heiducoff, Oberstleutnant a.D., war fast 40 Jahre im Dienst deutscher Streitkräfte, zumeist auf dem Gebiet der Abrüstung, Rüstungskontrolle und Vertrauens- und Sicherheitsbildung tätig.

Zur Vita von Jürgen Heiducoff siehe auch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jürgen_Heiducoff

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Quelle:
© 2016 by Jürgen Heiducoff
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2016

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