Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

STANDPUNKT/295: Obamas "Abrüstungsinitiative" - ein "unprofessioneller Bluff" (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 26 vom 28. Juni 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Obamas "Abrüstungsinitiative" - ein "unprofessioneller Bluff"
Russische Reaktionen auf die Rede des US-Präsidenten in Berlin

von Willi Gerns



Nach dem START-III-Vertrag von 2010 wollen die USA und Russland bis 2017 ihre strategischen Atomwaffenbestände auf jeweils 1.550 Sprengköpfe und 800 Interkontinentalraketen abrüsten. In seiner Berliner Rede hat Präsident Obama nun vorgeschlagen, diese Waffen um ein weiteres Drittel zu kürzen. Eine auf den ersten Blick begrüßenswerte Initiative. Hängt die Gefahr eines die menschliche Zivilisation bedrohenden atomaren Weltinfernos seit dem ersten und bisher einzigen Einsatz von Atomwaffen in Hiroshima und Nagasaki durch die USA am Ende des zweiten Weltkrieges doch wie ein Damoklesschwert über der Menschheit. Der Kampf um die Abschaffung der Atom- und anderer Massenvernichtungswaffen wurde und bleibt die herausragende Aufgabe aller friedliebenden Menschen.

Bei näherer Betrachtung - d. unter h. Einbeziehung solcher neuer Faktoren wie der Umbrüche bei den modernsten Waffentechnologien sowie der Einkreisung Russlands durch den Aufbau des Raketen-Abwehrsystem von USA und NATO - werden jedoch die Pferdefüße der "Obama-Initiative" sichtbar. Hinzu kommt, dass die strategischen Atomwaffen Großbritanniens und Frankreichs, die zum Russland bedrohenden strategischen Atomwaffenpotential der NATO gehören, ebenso wie die etwa 200 einsatzbereiten taktischen Atomwaffen der USA, die in fünf europäischen Ländern stationiert sind, unerwähnt bleiben.

Obamas "Abrüstungsvorschlag" könnte in Verbindung mit diesen Faktoren das Gleichgewicht der strategischen Abschreckung zwischen den beiden atomaren Hauptmächten zerstören, das diese bisher vor einem mit Atomwaffen geführten Krieg bewahrt hat.

Natürlich konnte sich der US-Präsident nicht der Illusion hingeben, dass die russischen Politiker und Militärexperten die Pferdefüße übersehen würden. Der Hauptzweck der "Abrüstungsinitiative" scheint darum eher zu sein, die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Darin ist Obama bekanntlich ein Meister.


Russische Reaktionen

In Russland ist sein Vorschlag jedenfalls auf einhellige Ablehnung gestoßen. So erklärte der russische Präsident Wladimir Putin denn auch postwendend - ohne Obama und seinen Vorschlag zu erwähnen: "Wir können nicht zulassen, dass das Gleichgewicht im System der strategischen Abschreckung gestört und die Wirksamkeit unserer Atomwaffenkräfte gemindert wird."

Außenminister Lawrow betonte: "Die strategische Stabilität wird auch von den strategischen Raketenabwehrsystemen beeinflusst. Auch die Pläne der USA zur Schaffung von strategischen Waffen mit nicht-nuklearen Sprengsätzen haben Einfluss oder werden in absehbarer Zukunft Einfluss haben auf die strategische Stabilität." Bei Gesprächen über die strategische Stabilität seien alle Einflussfaktoren zu betrachten. Auch Vizeaußenminister Sergej Rybakow unterstrich: "Bevor wir darüber sprechen, ob wir die Zahl der Sprengköpfe weiter zurückfahren, müssen wir eine akzeptable Lösung für das Raketenabwehrproblem finden." Und Vizeministerpräsident Dmitri Rogosin erklärte in seiner nicht gerade diplomatischen Art, dass Obama entweder vom Wesen der Sache nichts verstehe, "blufft, heuchelt bzw. völlige Unprofessionalität demonstriert".

Nicht weniger deutlich als bei den Politikern ist auch bei den militärpolitischen Experten die Absage an die "Obama-Initiative". So stellte der Chefredakteur der Zeitschrift "Nazionalnaja Oborona" (Nationale Verteidigung) und Mitglied des Gesellschaftlichen Rates beim russischen Verteidigungsministerium, Igor Korotschenko, gegenüber der Agentur RIA Novosti fest, dass die Initiative von Obama für Russland "absolut unannehmbar" sei. Dies untermauerte er mit der Bedrohung durch den US-Raketenschild. Die USA bauten ihre potentiellen Möglichkeiten zum Abfangen der russischen ballistischen Interkontinentalraketen aus und versuchten parallel dazu, Russland eine "hastige Atom-Abrüstung aufzudrängen".Korotschenko zufolge könne dadurch eine Situation entstehen, in der sich ein bedeutender Teil des russischen Kernwaffenpotentials in den 2030er oder 2040er Jahren als wertlos herausstellt.

Nach einem Beitrag auf der Internetseite hakanune.ru geht auch Generaloberst d. R. Leonid Iwaschow, Präsident der Akademie für geopolitische Probleme, davon aus, dass eine weitere radikale Kürzung der atomaren Waffenpotentiale die Verteidigungsfähigkeit Russlands gegen eine US-Aggression unzulässig einschränken würde und sein Land sich darum unter keinen Umständen am Gängelband Washingtons führen lassen dürfe.

Iwaschow betont, dass sich die Militärstrategie der USA verändert habe. Sie hätten einen qualitativen Sprung bei anderen Waffenarten gemacht, vor allem bei den Flügelraketen. Deshalb sei es für Washington vorteilhaft, die weltweiten atomaren Waffenbestände, insbesondere die russischen, derart zu beschränken, dass die USA in die Lage versetzt würden, die verbleibenden Atomwaffen durch ihr Raketenabwehrsystem, einschließlich des europäischen, zu neutralisieren, sodass diese keine Gefahr mehr für die USA darstellen. Bei allen anderen Waffenarten aber seien die USA militärisch überlegen. Angesichts dessen empfiehlt Iwaschow der russischen Führung, den Vereinigten Staaten als erstes vorzuschlagen, das Problem des Raketenabwehrsystems zu erörtern und für den Fall, dass diese nicht bereit seien, dessen Entwicklung zu stoppen, die Frage des Austritts aus dem START-III-Vertrag zu stellen. Beim Abschluss dieses Vertrages sei von der russischen Seite ein Zusatz eingebracht worden, nachdem sich Russland das Recht des Austritts aus dem Vertrag vorbehält, wenn die USA die Entwicklung ihres Raketenabwehrsystems nicht einstellen.

Das Resümee aus alledem: Eine weitere radikale Abrüstung der Atomwaffen der USA und Russlands macht die Welt nur dann sicherer und ist nur dann zu erreichen, wenn als Voraussetzung dafür auf alle Pläne verzichtet wird, sich selbst durch Raketenabwehrsysteme und andere Maßnahmen unverwundbar, die andere Seite aber verteidigungsunfähig gegen eine Aggression zu machen.

Zugleich muss sie letztlich eingebettet werden in ein System kollektiver Sicherheit, das auch die Abrüstung der anderen Atomwaffen besitzenden Länder, die Verhinderung der Entstehung neuer Atommächte sowie die Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen einbezieht und Schranken setzt für die Entwicklung neuer verheerender Waffentechnologien, die in ihrer Wirkung Massenvernichtungswaffen gleichkommen. Davon sind wir leider weit entfernt. Solange das so ist, scheint die Bewahrung des strategischen Gleichgewichts der Abschreckung zwischen den USA und Russland, so furchterregend es ist, unverzichtbar zu sein.

*

Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 26 vom 28. Juni 2013, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
Telefon 0201 / 22 54 47
E-Mail: redaktion@unsere-zeit.de
Internet: www.unsere-zeit.de
 
Die UZ erscheint wöchentlich.
Einzelausgabe: 2,80 Euro
Jahresbezugspreise:
Inland: 126,- Euro, Ausland: 130,-
Ermäßigtes Abo: 72,- Euro
Förder-Abonnement: ab 150 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2013