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STANDPUNKT/273: Jüdischer Nationalfonds - "Say Goodbye to the JNF" (Jüdische Zeitung)


Jüdische Zeitung Nr. 85 - März 2013

«Say Goodbye to the JNF»

von Edith Lutz



«Say Goodbye» - diese Aufforderung zur Abkehr vom Jüdischen Nationalfonds (JNF oder nach der hebräischen Bezeichnung «Keren Kajemet LeJisrael» auch KKL) stammt nicht von der propalästinensischen Initiative «Stop the JNF». Sie stammt auch nicht von «linken» israelischen Friedensgruppen, wo man sie durchaus vermuten könnte. Uri Avnery, Gründungsmitglied von Gush Shalom und ehemaliger Knessetabgeordneter, forderte bereits vor 15 Jahren öffentlich, den JNF abzuschaffen und er wiederholt 2013: «Der Jüdische Nationalfonds gehört boykottiert». Nein, der Aufruf war am 8. Mai 2007 der Titel eines Artikels der eher konservativen israelischen Tageszeitung «Jerusalem Post». Sein Verfasser, Militärberichterstatter Eric Schechter, liefert die Begründung auch gleich im Untertitel: «Weil der Staat Israel sich nicht an Diskriminierung beteiligen darf». Die langjährige diskriminierende Politik des JNF hatte in Israel zu heftigen, 2007 vor Gericht ausgetragenen Kontroversen geführt, die auch in der deutschen Presse verfolgbar waren.

Der Jüdische Nationalfonds zeigte damals wie heute wenig Verständnis für den Vorwurf der Diskriminierung. Die Kritik wurde daher lauter, nicht nur in Israel. Die Folgen zeigten sich für den JNF auch in finanziellen Einbußen. Der «Jewish Telegraph» in Großbritannien berichtete im vergangenen Jahre von einem dramatischen Spendenrückgang für den JNF-UK. Allein im Jahr 2011 seien die Einnahmen um 50 Prozent zurückgegangen.

In Großbritannien ist die Kritik am Jüdischen Nationalfonds mittlerweile so stark angestiegen, dass Bestrebungen zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit - wie sie auch in anderen Ländern zu beobachten sind - von Politikern mitgetragen werden. Die Partei der britischen Grünen schloss sich dieser Forderung im März vergangenen Jahres an. Deren Abgeordneter Terry Gallogly sieht den eingeschlagenen Weg als «eine Botschaft an den JNF, dass seine Tage gezählt sind. Der Status der Gemeinnützigkeit wird für Landraub und Rassismus gegenüber Palästinensern missbraucht, das werden wir in Großbritannien nicht dulden», so Gallogly laut «Jewish Chronicle» vom 1. März 2012.

Außer der Gemeinnützigkeit wird auch die Rechtmäßigkeit der Bezeichnung des Jüdischen Nationalfonds als einer NGO (Nichtregierungsorganisation) von seinen Kritikern in Frage gestellt. Durch die enge Zusammenarbeit des JNF mit staatlichen Einrichtungen ist der Eindruck einer halbstaatlichen Organisation entstanden. 1961 hatten sich der Staat Israel und der Nationalfonds vertraglich darauf geeinigt, die Verwaltung des sogenannten «Israel-Lands», (Land in Staatsbesitz und Land im Besitz des JNF) der neugegründeten staatlichen «Israel-Land-Administration» (ILA) zu überlassen. Die Regierung verpflichtete sich, vor der Ernennung des Direktors der Land-Administration den JNF, der nahezu 50 Prozent des ILA-Vorstandsgremiums besetzt, zu konsultieren. Laut Vertrag wird der Staat dem JNF «die Hände stärken bei der Erfüllung seiner Mission, das Land aus seinem desolaten Zustand ["desolation"] zu befreien». Woher die Trostlosigkeit stammt, deutet der oben genannte MilitärBerichterstatter den Lesern der «Jerusalem Post» an: «1948 verkaufte der Staat dem Nationalfonds über eine Million Dunam (ca. 250.000 Morgen), das von arabischen Dörfern stammte. Der Verkauf war illegal, denn der Staat war nicht der Besitzer des Landes, das er abstieß. Aber aus dem JNF hat sich niemand beschwert.»

Vielen jüdischen Bürgern in und außerhalb Israels ist die Kritik am Jüdischen Nationalfonds angesichts der erholsamen Park- und Waldanlagen, die allen Bewohnern Israels und Touristen aus aller Welt zugänglich sind, sowie angesichts der Klimaverbesserungen, die sie bewirken, vollkommen unverständlich. Aber auch diejenigen, die den weniger schönen Seiten des JNF begegnet sind, tun sich mitunter schwer mit einer Kritik. Vielen Älteren, die mit der legendären blauen Sammelbüchse des JNF/KKL aufgewachsen sind, geht es so wie Sylvia Rothschild, Rabbinerin an der Wimbledon & District Synagogue in London: «Ich liebte diese Büchse, denn sie symbolisierte, dass alle Juden Teil des Landes Israel waren». Aber ihre Gefühle haben sich geändert, berichtet sie dem «Jewish Chronicle»: «Der JNF nennt sich zwar Israels führende humanitäre und umweltschützende Wohlfahrtsorganisation, aber bei der Erschließung des Negev ignoriert er die Gemeinschaft der Beduinen und nimmt ihnen das Land weg, das ihren Vorfahren gehörte.» Mögen die Besitzverhältnisse durch die Uneinheitlichkeit von beduinischem, ottomanischem, britischem Mandats- sowie israelischem Recht noch so kompliziert sein, die ethische Variante habe immer Vorrang.»

Ähnlich wie der Rabbinerin aus London geht es auch einigen jüdischen Bürgern in der Schweiz, die sich zu einer «Ad-hoc-Arbeitsgruppe al Arakib» zusammengeschlossen haben. Die Gruppe leistet moralische Unterstützung für das Beduinendorf Al-Arakib, das in der jüngsten Vergangenheit vierzig Mal durch Planierraupen des Jüdischen Nationalfonds zerstört wurde. Auch sie sind als Kinder begeistert mit «der blau-weißen Büchse Spenden für den Keren Kayemet Leisrael (KKL) bei den jüdischen Familien sammeln gegangen», teilen sie der jüdischen Zeitschrift «Tachles» mit. Der Gruppe liegt «die Entwicklung Israels am Herzen - aber nicht auf Kosten der nichtjü-dischen Bevölkerung.» Angesichts der wiederholten brutalen Zerstörungen durch den JNF wandten sich über 60 israelische Intellektuelle mit einer «Gewissenserklärung» an den Staat und den Jüdischen Nationalfonds. Darunter befanden sich die Schriftsteller Amos Oz, Abraham B. Yehoshua, David Grossman, Yehoshua Sobol, der Rabbiner Arik Ascherman und viele andere bekannte Namen. Sie appellieren an die Adressaten, die bisherige Politik, insbesondere zur Entwicklung des Negev, «zu stoppen und zu überdenken und eine gemeinsame Lösung mit den Beduinen des Negev zu suchen», wie es in einer Anzeige in der Zeitung «Haaretz» hieß. Einen Monat später wandten sich über dreißig Organisationen in Israel, darunter die «Ärzte für Menschenrechte», «Rabbiner für Menschenrechte», «Amnesty Israel», mit einem Offenen Brief an die Führung des Jüdischen Nationalfonds mit dem Aufruf, «Beendet die Enteignung der Beduinen!»

Wie das Dorf Al-Arakib sind auch die umliegenden Dörfer im nördlichen Negev in der Umgebung von Beersheva von Zerstörung und Zwangsumsiedlung bedroht. Der sogenannte Prawer-Plan, dem der israelische Ministerrat im September 2011 zustimmte, sieht die Zwangsumsiedlung von rund 30.000 Beduinen innerhalb der nächsten Jahre vor, um für weitere Waldanlagen und jüdische Siedlungen Platz zu schaffen. Zum Teil ist der Plan schon umgesetzt worden. Allein im Jahre 2011 sind laut Adalah, einer Vereinigung israelisch-palästinensischer Rechtsanwälte, mehr als 1.000 beduinische Wohnstätten zerstört worden. In einer am 5. Juli 2012 von der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten vorgebrachten Resolution verurteilt das Europäische Parlament die Zerstörungen und Zwangsumsiedlung und fordert eine Rücknahme des Prawer-Plans.

Im Gebiet des nördlichen Negev liegt auch der «Wald der deutschen Länder». Die Initiative zu den Baumpflanzungen ging zu Beginn der neunziger Jahre von dem damaligen Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens und späterem Bundespräsidenten Johannes Rau aus. Sie fand seitdem viele Unterstützer aus dem politisch-öffentlichen und privaten Bereich und wächst immer weiter an. Ein Erholungspark in einem kargen Gebiet sei eine schöne Sache für alle Israelis und Spenden für Bäume ein ideales Geschenk für viele Anlässe, dachte man. So dachten auch die Vorstandsvertreter der SPD, die seit November 2012 zu einer Baumspendenaktion aufrufen. Dr. Awad Abu Freih, dessen Vorfahren auf diesem Land gelebt haben, sieht das anders. In einem unter «Youtube» veröffentlichten Videofilm erklärt er: «Ich bin sicher, wenn meine Freunde in Deutschland wüssten, dass sie mich von diesem Ort verbannen, indem sie die historische Erinnerung an mich und meine Familie auslöschen, dann würden sie dem nicht zustimmen; wenn sie um die historische Wahrheit wüssten, dann wären sie nicht so schnell bereit für einen Wald zu spenden, der die Geschichte und Erinnerung an mich und meine Familie auslöscht und stattdessen eine neue Geschichte gestaltet.»

Eine neue Geschichte hat an vielen Orten der über 500 zerstörten palästinensischen Dörfer Gestalt angenommen. Einer der größten Parks, der sogenannte «Canada-Park», errichtet vom Jüdischen Nationalfonds über den Ruinen der Dörfer Imwas, Yalu und Bejt Nuba, ist kein Einzelfall. In vielen Park- und Waldanlagen bedecken schnellwachsende Koniferen und schöne Freizeiteinrichtungen planierte palästinensische Häuser, Obst- und Olivenhaine, fruchtbare Weizenfelder. Hinter dem «ökologischen Motiv», das der JNF für seine Projekte vorgibt, stecke ein weiteres Bemühen, «die Naqba zu negieren und die enorme Größe der palästinensischen Tragödie zu verbergen», schreibt der israelische Historiker Ilan Pappe («Die ethnische Säuberung Palästinas»). Kenntnisse über die «Naqba» («Katastrophe», die Flucht und Vertreibung der Palästinenser aus dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet) sieht die israelische Organisation «Zochrot» («Erinnerung») als Voraussetzung für Frieden und Versöhnung an. Mit Dokumentationen, Führungen, Aufstellen von Hinweisschildern an ehemaligen palästinensischen Orten versuchen Mitglieder von Zochrot, die Erinnerung wachzuhalten und zu stärken.

Zum jüdischen «Neujahrsfest der Bäume» am 26. Januar dieses Jahres schreibt die in Kalifornien beheimatete und weltweit agierende Organisation «Jewish Voice for Peace»: «Während wir die hohe Aufmerksamkeit würdigen, die unsere Tradition für Bäume pflegt, können wir die Fakten nicht ignorieren: Tausende und Abertausende von Bäumen, die palästinensischen Familien gehörten, wurden entwurzelt, um Platz zu schaffen für noch mehr jüdische Siedlungen, und viele palästinensische Familien, und sogar ganze Dörfer sind zwangsumgesiedelt worden, um den "Grünen" Projekten des Jüdischen Nationalfonds Raum zu geben.»

Mitglieder der SPD reagieren mit Unverständnis und Verbitterung auf den Spendenaufruf an den Jüdischen Nationalfonds. Langjährige Mitglieder erwägen ihren Austritt. Karl Schmidt, Pfarrer i.R., ist entrüstet. Prinzipiell begrüßt er Baumspenden für Israel, «aber muss es ausgerechnet für den Jüdischen Nationalfonds sein? Warum nicht an Zochrot, oder die Rabbiner für Menschenrechte oder den vielen anderen Friedens- und Menschenrechtsorganisationen, die es in Israel gibt?» Die Sozialdemokratische Partei wird sich gut über Wege einer Korrekturänderung beraten müssen, damit sie ihrem Prinzip der «sozialen Gerechtigkeit» treu bleibt und nicht etwa der Ruf laut wird: «Say goodbye to the SPD».

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Quelle:
Jüdische Zeitung Nr. 85 - März 2013, S. 4
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2013