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STANDPUNKT/264: (Post-)Demokratie - Eine andere Demokratie ist möglich! (Wir Frauen)


WIR FRAUEN - Das feministische Blatt 3/2012

(Post-)Demokratie
Eine andere Demokratie ist möglich!

Von Melanie Stitz



Vermeintliche Politikverdrossenheit, nachlassende Wahlbeteiligung, Mitgliederschwund in den bürgerlichen Parteien ... nicht nur Klima und Wirtschaft, auch die Demokratie scheint in einer tiefen Krise zu stecken.

Stimmt der Befund? Oder ist unser Verständnis von Politik vielleicht zu eng gefasst, verengt auf parlamentarische Formen? Wenn das Private politisch ist, dann ist doch auch unsere Lebensweise schon eine politische Tat: was und wie wir konsumieren, der Preis, den wir zahlen, und die Wege, die wir zurückzulegen bereit sind, die Frage, in welche Länder wir reisen und welche Kleidung wir tragen, ob wir heiraten oder es bleiben lassen ...

Andererseits: Glauben wir wirklich, dass wir die Welt verändern können, nur weil wir uns z. B. - jede für sich, versteht sich - vor jedem Einkauf stundenlang im Netz informieren? Wohin führt uns die Individualisierung des Politischen? Warum macht "die Politik" nicht ihren Job und schafft Gesetze, die unsere Würde und Gesundheit schützen, die zu nachhaltiger Produktion und fairer Entlohnung verpflichten? Und warum machen wir letztendlich doch zu wenig Druck? Warum dulden wir noch immer die Unterrepräsentation von Frauen auf nahezu allen entscheidenden politischen Ebenen?

Warum sind viele von uns und unseren Freund_innen - zumindest zeitweise - des Politischen so müde? Warum kostet es Überwindung, abends noch zur Sitzung zu gehen? In welchen Zusammenhängen machen wir eigentlich Politik und ist in diesen schon spürbar, wofür wir hier kämpfen - der Vorgeschmack, der Hauch schon einer anderen Welt?

Vielleicht haben sich die alten Formen überlebt und die Zukunft gehört dem als allseits zugänglich und demokratisch bewerteten Web 2.0. Aber grenzen die digitalen Möglichkeiten, die ein gewisses Maß an Einkommen und ein enormes Maß an Bildung und Medienkompetenz voraussetzen, nicht viel mehr Menschen aus? Wie viele Petitionen müssen wir eigentlich am Tag per Mausklick unterschreiben, um die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen?

Was reden wir überhaupt von Politik, lokaler gar, für die es doch kaum noch Spielräume gibt? In manch verarmter Kommune keimt schon die Idee, die Bürger_innen großzügig per Abstimmung an der Frage zu beteiligen, ob eher das Schwimmbad oder die Bücherei zu schließen sei.

In den Diskussionen um das Thema unseres Heftes waren wir uns in einem schnell einig: Demokratie, die geht uns alle an, das können wir nicht delegieren. Streiten müssen wir um die Inhalte unserer Politiken, nicht minder aber auch um die Formen und Strukturen, in denen wir Politik machen (wollen). Das lehrt uns, nicht zuletzt, der Blick in unsere (Frauen-)Bewegungsgeschichte.

Zum Politikmachen brauchen wir Freiräume: zum lauten und leisen Denken, für wertschätzenden Disput, für Selbstkritik und neue Fragen. Wir brauchen barrierefreie Orte, an denen wir uns sicher und wohl fühlen. Nicht zuletzt müssen wir uns immer wieder die Zeit dafür nehmen und dazu Arbeitsteilungen hinterfragen.

Ellen Diederich wirft in ihrem Beitrag Fragen auf zu linker politischer (Un-)Kultur. Katharina Volk bietet ein Schlaglicht auf aktuelle Debatten um (Post-)Demokratie und Beteiligung. Über das von Krisen geschüttelte Italien nach Berlusconi berichtet Mareen Heying, die seit Februar 2012 in Bologna studiert. Wie politische Bildungspädagogik aussehen müsste, damit sie zu Mündigkeit führt, erklärt Isolde Aigner, die in der Konzeption und Durchführung von Workshops und Projekten zur politischen Bildung und Aufklärung junger Menschen tätig ist.

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Quelle:
Wir Frauen, 31. Jahrgang, Herbst 3/2012, Seite 6
Herausgeberin: Wir Frauen -
Verein zur Förderung von Frauenpublizistik e.V.
Rochusstraße 43, 40479 Düsseldorf,
info@wirfrauen.de
www.wirfrauen.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2013