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STANDPUNKT/239: Die gewaltsame Räumung des Protestcamps "Gdeim Izik" vor zwei Jahren (StdR)


08-11-2012: [Kritische Ökologie - StdR]

Berlin / Göttingen - eigener Bericht:
Heute vor zwei Jahren: die gewaltsame Räumung des Protestcamps "Gdeim Izik"

von Axel Goldau



Tatsächlich nahm "der Arabische Frühling" seinen Anfang vor zwei Jahren im November in der Westsahara, die seit einer brutalen Invasion und Okkupation von Marokko beherrscht wird. Die marokkanischen Kräfte kamen und zerstörten Zeltstädte, töteten und verletzten viele Menschen ... Und dann sprang der Funke über, so beurteilte Noam Chomsky den Anfang der Umwälzungen im arabischen Raum (Democracy now, 17. Febr. 2011).

Anfang Oktober 2010 erreichten die zivilgesellschaftlichen Proteste der saharauischen Bevölkerung gegen politische Unterdrückung und wirtschaftliche Marginalisierung durch die marokkanische Besatzungsmacht einen Höhepunkt als tausende Saharauis die Städte verließen und sich in dem Protestcamp "Gdeim Izik", etwa 20 km von Al-Aaiún, der Hauptstadt des Landes, versammelten. Die marokkanische Besatzungsmacht - offensichtlich völlig überrascht - reagierte hilflos, aber brutal: Das Camp wurde abgeriegelt, alle Ein- und Ausfahrenden sollten kontrolliert und vor allem sollte verhindert werden, dass Informationen an die Weltöffentlichkeit dringen konnten. Während einer solchen Kontrolle wurde in der Nacht vom 24. auf den 25. Oktober ein Kind erschossen: Elgarhi Nayem war gerade einmal 14 Jahre alt, als er im Kugelhagel marokkanischer "Sicherheitskräfte" starb.

In den frühen Morgenstunden des 8. Novembers stürmte marokkanische Polizei und Gendarmerie das "Lager der Würde". Anschließend kam es in den großen Städten des Landes - vor allem in der Hauptstadt Al-Aaiún zu gewalttätigen Ausschreitungen. In einem Bericht von Human Rights Watch vom 26. November 2010, der sich auf marokkanische Angaben beruft, ist von elf toten Polizisten und mindestens zwei zivilen Opfern die Rede. Nach einem Korrespondentenbericht der New York Times vom 09. Dezember 2010 sollen "mit Messern bewaffnete Schläger den friedlichen Protest in dem Lager unterwandert" haben. All dies ist allerdings nicht nachprüfbar, weil die marokkanische Verwaltung bisher jede unabhängige Untersuchung verweigert.

Nach wie vor scheut das marokkanische Besatzungsregime die Öffentlichkeit und behindert nicht nur die Berichterstattung, sondern selbst Gespräche zwischen jungen Menschen aus Europa und Saharauis. So wurde eine norwegische Delegation bestehend aus einer jungen Politikerin und drei Politikern, die Gespräche mit saharauischen Menschenrechtsaktiven über die bevorstehende Neuauflage eines Fischereiabkommens führen wollten, zunächst in ihrem Hotel festgesetzt und anschließend kurzerhand außer Landes gebracht. Auch andere ausländische Besucher müssen z.Zt. solche Erfahrungen machen; Saharauis, die Kontakt zu Besuchern aufnehmen, werden bedrängt und eingeschüchtert.

Das Regime ist nervös: Am 6. November jährte sich der Propagandazug "der friedlichen Heimholung" der Westsahara, "der Grüne Marsch", zum 37. Mal. Anfang November bereiste der Sondergesandte des General Sekretärs der Vereinten Nationen, Christopher Ross, die Region. Dabei traf er mit dem Vorstand der saharauischen Menschenrechtsorganisation CODESA zusammen - darunter Frau Aminatú Haidar. An den Gesprächen nahm auch der neue Leiter der MINURSO, der deutsche Diplomat Wolfgang Weisbrod-Weber, teil. Anschließend bestätigte das marokkanische Besatzungsregime erneut die Einschätzung von Stephen Zunes, Professor für internationale Politik der Universität San Francisco, "der schlimmste Polizeistaat zu sein", den er je gesehen habe. Im Frühjahr hatte das marokkanische Regime lautstark die Abberufung von Ross gefordert und gegen die Ernennung von Weisbrod-Weber protestiert. Anlass der Verstimmung über Ross war dessen Spionage-Vorwurf gegenüber marokkanischem MINURSO-Personal. Der neue Leiter der Mission hat alle Personen, gegen die Spionage - Vorwürfe erhoben worden sind, bereits entlassen.

Es bleibt zu hoffen, dass dieses neue Selbstbewusstsein der Vereinten Nationen und ihres Generalsekretärs Ban Ki-moon nicht nur erhalten bleibt, sondern endlich in die längst überfällige Beobachtung der Menschenrechtsverletzungen durch das marokkanische Regime in den besetzten Teilen der Westsahara mündet.


Stärke des Rechts [StdR] ist eine Initiative der Kritischen Ökologie / ifak e.V., die anlässlich des deutschen Sitzes im Weltsicherheitsrat unter Rot-Grüner Regierung [2003-2004] mit dem Ziel gegründet wurde, das Recht des Stärkeren durch eine nachhaltige Entwicklungsperspektive auch im Maghreb zu ersetzen. Die Initiative ist international mit WSRW vernetzt.

© Kritische Ökologie - StdR / - ag

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Quelle:
Initiative "Stärke des Rechts" (StdR) - 08.11.2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2012