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STANDPUNKT/032: Interessante Gedanken zur Lage der kommunistischen Bewegung in Deutschland (Doris Tatus)


Interessante Gedanken zur Lage der kommunistischen Bewegung in Deutschland

Von Doris Tatus, Oktober 2010


Für die Zeitschrift der italienischen Kommunisten "Ernesto" (Oktoberausgabe) hat Gerhard Feldbauer(1) zur Entwicklung der kommunistischen Bewegung in Deutschland nach der sozialistischen Niederlage 1989/90 in Europa einen aufschlussreichen Beitrag geschrieben. Darin werden die gravierenden Folgen dargelegt, welche die Niederlage in Deutschland wie in anderen Ländern (Italien, Frankreich) hatte und die Bewegung dadurch weit zurückgeworfen wurde. Der Autor skizziert, woran man sich heute kaum noch erinnert, dass mit dem Parteiputsch im Oktober 1989 die reformistische Gruppierung mit Gregor Gysi an der Spitze die Führung an sich riss und danach die Umwandlung der SED, später PDS in eine Linkspartei sozialdemokratischer Orientierung einsetzte.

Als Italienkenner ist Feldbauer damals nicht entgangen, dass der zum SED-Chef gekürte Gysi nach einem Besuch bei Gorbatschow (der später bekannte, schon immer ein Sozialdemokrat gewesen zu sein) im Januar 1990 nach Rom eilte, wo er bei Achille Occhetto, dem letzten IKP-Generalsekretär, Erfahrungen bei dessen bereits vor sich gehender "Heimkehr zur Sozialdemokratie" studierte. Fast zeitgleich habe Regierungschef Hans Modrow nach Gesprächen mit Gorbatschow am 1. Februar 1990 sein Konzept "Deutschland einig Vaterland" unterbreitet, mit dem faktisch die DDR zur Disposition gestellt wurde.


Die Auswirkungen auf die DKP

"Der revisionistische Kurs der Umwandlung der SED-PDS in eine sozialdemokratisch orientierte Linkspartei wirkte sich schwerwiegend auf die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) aus", schätzt der Autor ein. Er legt eine kurze Analyse der 1968 legal gegründeten DKP mit Erfolgen und Schwächen dar und hebt hervor, dass der Untergang der DDR die Partei weit zurückgeworfen habe. Generell sei "die DKP durch den revisionistischen Einfluss Gorbatschows und dessen Widerhall bei Teilen der Parteiführung und der Mitglieder bereits erheblich geschwächt" gewesen.

Die Gysi-Führung habe die Hilfe der SED für die DKP, die auch finanziell erfolgte und die für die Arbeit der Partei stets eine wichtige Basis darstellte, abrupt eingestellt. Die Partei habe neben ihrer materiellen Basis (Apparat, Tageszeitung, Verlage, Druckerei, Gebäude usw.) fast ihr gesamtes theoretisches Potenzial, darunter das Frankfurter Institut, verloren. Gysi wollte die DKP im Vorfeld des "Vereinigungsprozesses" mit der BRD, so Feldbauer weiter, ausschalten. An eine Vereinigung beider Parteien sei nicht gedacht worden. "Offiziell wurde der DKP der Status einer kommunistischen Plattform in der PDS angeboten. Dazu sollte die Partei sich jedoch auflösen und ihre Mitglieder einzeln in die PDS eintreten." Mit nur einer Stimme Mehrheit sei die auf dem Parteitag im März 1990 von den "Erneuerern" um Wolfgang Gehrcke betriebene Auflösung verhindert worden. Mit Gehrcke hätten zirka 10.000 Mitglieder die Partei verlassen, von denen jedoch die meisten nicht in der PDS ankamen.

Es folgt ein Abschnitt zur Auseinandersetzung über die Einschätzung der Ursachen der sozialistischen Niederlage, die Wertung der DDR als Verkörperung des ersten sozialistischen Anlaufs auf deutschem Boden und seiner Ergebnisse, zur Leninischen Imperialismus-Analyse sowie der künftigen Führung des Kampfes um den Sozialismus, der Rolle der kommunistischen Partei und ihrer Bündnispolitik. Der Verfasser geht auf Richtungsdifferenzen in der Charakterisierung des heutigen Imperialismus, in der Bewertung der Leistungen und Fehler beim Aufbau des Sozialismus, auf Erwartungen an die Verfasstheit eines künftigen Sozialismus und zu strategischen Konzeptionen des politischen Kampfes ein. Es habe Einmütigkeit bestanden über die Einheit der Partei und darüber, keine Fraktionen und Strömungen zuzulassen. 2006 sei auf dem 18. Parteitag ein in Grundfragen revolutionäres neues Programm angenommen worden, dessen Eckpunkte angeführt werden. Feldbauer betont, dass dem Revisionismus generell eine Absage erteilt worden sei. Das Programm habe verdeutlich, dass die DKP sich von anderen linken Parteien und Organisationen in weltanschaulichen Positionen, ihrem Parteienverständnis, in der Programmatik, im Verständnis von Reform und Revolution und deshalb teilweise auch in ihrer praktischen Politik unterscheidet. Die "Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt" wurde als nächstes zu erkämpfendes strategisches Ziel genannt.


Linker Flügel ging gestärkt aus 19. Parteitag hervor

Ein weiterer Abschnitt geht auf die revisionistische Infragestellung des Programms durch das Sekretariat des Parteivorstandes ("Politische Thesen des 19. Parteitages") ein. Nach massiver Kritik an der Basis, die von PV-Mitgliedern, Landesvorsitzenden und führenden Theoretikern geteilt wurde, musste das Sekretariat seinen Vorschlag, diese Thesen auf dem Parteitag im Oktober 2010 zur Beschlussfassung vorzulegen, zurückziehen.(2) An ihrer Stelle eingebrachte modifizierte Leitanträge erhielten auf dem Parteitag nur eine hauchdünne Mehrheit (für die "Politische Resolution" 83 Für-, 81 Gegenstimmern). Der linke Parteiflügel ging deutlich gestärkt aus dem Parteitag hervor. Die Gegner des bisherigen Parteikurses sind jetzt mit mehr als einem Drittel im Vorstand vertreten. Entgegen der mehrheitlichen Orientierung des alten Vorstandes wurde der exponierte Vertreter des linken Flügels Patrick Köbele zu einem der drei Stellvertreter der neuen Parteivorsitzenden gewählt. Die bisherige Vorsitzende von Schleswig Holstein, Bettina Jürgensen, die an die Stelle des langjährigen DKP-Chefs Heinz Stehr trat, war sichtlich bemüht, auf Konsens zu orientieren. Die "Politischen Thesen" sollen jedoch Diskussionsgrundlage für die weitere theoretische Arbeit bleiben. 2011 soll eine theoretische Konferenz stattfinden.


Die Zerrissenheit der kommunistischen Bewegung

Abschließend wendet sich der Autor einem Thema zu, über das von nahezu allen Seiten mit Stillschweigen hinweggegangen wird. Der Spaltung der kommunistischen Bewegung, die sich seit 1989/90 weiter vertiefte. Im Januar 1990 gründeten SED-Mitglieder eine KP, die den Namen der 1918 gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) annahm, die sich 1946 in der Sowjetischen Besatzungszone mit der SPD zur SED vereinigte. Die KPD, die sich zum Marxismus-Leninismus bekannte, wurde in der noch existierenden DDR zugelassen. Nach dem Anschluss an die BRD am 3. Oktober 1990 wurde sie als Neugründung aus dem Parteiengefüge der DDR nicht verboten. Nach Schätzungen gehören der KPD, wie Feldbauer schreibt, zwischen 300 bis 500 Mitglieder an. Für die DKP sei diese Partei ein Konkurrent, der ihre Ausbreitung auf dem Gebiet der früheren DDR erschwerte. Regelrechte Parteibeziehungen seien trotz Initiativen seitens der KPD nicht zustande gekommen. Die KPD gibt eine Monatszeitschrift "Die Rote Fahne" heraus, deren Auflage etwa 1000 Exemplare betrage. Kurz werden die innerparteilichen Auseinandersetzungen erwähnt, die 2005 zur Abspaltung einer Splittergruppe von kaum einigen Dutzend Mitglieder führte, die eine KPD(B)(3) bildete. Sie gibt eine Zeitschrift "Trotz alledem" heraus.

Als nächstes wird die 1993 in Hannover entstandene, zunächst von der KPF der PDS herausgegebene Zeitschrift für Sozialismus und Frieden "offensiv" angeführt. "offensiv" setzte sich zunächst vor allem mit der sozialdemokratischen Entwicklung in der PDS auseinander, bekannte sich zum Marxismus-Leninismus und widmete sich besonders der Verteidigung des revolutionären Erbes der DDR. Mit der Charakterisierung der DKP als revisionistische Partei sei "die Kritik an solchen Tendenzen verabsolutiert" worden. Nach Kündigung der Trägerschaft durch die PDS entstand 2002 der Verein zur Förderung demokratischer Publizistik als Herausgeber. Zu den Gründungsmitgliedern zählte der 2003 verstorbene Peter Hacks. "offensiv" gibt etwa 1.500 bis 2.000 Abonnenten an.

2001 entstand ein politischer Bildungsverein "RotFuchs", der die Herausgabe der 1998 von Mitgliedern der DKP in Berlin gegründeten gleichnamigen Zeitschrift übernahm. Der Verein entwickelte sich, wie Feldbauer, der von der Gründung bis 2005 dessen Vorsitzender war, "in Konkurrenz zur DKP und ihren Publikationen und behinderte und behindert weiter die Ausbreitung der DKP in Ostdeutschland." Seit 2005 erscheint die Zeitschrift nur noch als "Tribüne für Kommunisten und Sozialisten" und "von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift". Der Verein zähle gegenwärtig etwa 1500 Mitglieder, darunter in geringer Zahl DKP- und KPD-Mitglieder. Die Zahl der Abonnenten der Zeitschrift wird mit 5000 angegeben.

"Zeitschrift und Verein widmen sich der Verbreitung des Marxismus-Leninismus und des revolutionären Erbes der DDR und leisten auf dieser Grundlage eine beträchtliche, jedoch vor allem auf Ostdeutschland ausgerichtete Bildungsarbeit", wird eingeschätzt. Die Zeitschrift verfüge über einen breiten Kreis bekannter Autoren. Während auf Landes- und örtlicher Ebene mit Leitungen der DKP eine Zusammenarbeit bestehe, gebe es zum Parteivorstand keine Kontakte, zur KPD dagegen auch auf zentraler Ebene. Nach einer Periode aktiver Zusammenarbeit mit "offensiv" habe der "RotFuchs" 2004 einen Bruch herbeigeführt, der möglicherweise auf Konkurrenz-Probleme und heimliche Führungsambitionen zurückging. Es sei zu sonst nur aus der maoistischen Szene bekannten Ausfällen gekommen. RotFuchs-Chefredakteur Klaus Steiniger habe "offensiv" als "politischen Gegner" und dessen Vorsitzenden, Frank Flegel, als einen "Agenten des Imperialismus" bezeichnet.(4)

Die Zerrissenheit werde weiter durch die Existenz von Organisationen, Vereinen und Zeitschriften charakterisiert, von denen einige nicht eindeutig der kommunistischen Bewegung zuzuordnen seien, da sie sowohl kommunistische als auch sozialistische Inhalte beanspruchten. Sie lehnten im allgemeinen die DKP ab oder stünden ihr kritisch gegenüber. Als in Betracht kommend werden u. a. angeführt: Die "Kommunistische Arbeiterzeitung" (KAZ), die nochmals in zwei Gruppen gespalten ist; die "Arbeiterstimme", der "Verein für politische Bildung, linke Kritik und Kommunikation" (vorher Forum kommunistischer Arbeitsgemeinschaften, das aus dem Bund Westdeutscher Kommunisten hervorging); die Zeitschrift "Streitbarer Materialismus", Herausgeber, der Verein zur Förderung der wissenschaftlichen Weltanschauung.

Interessant (dürfte vielleicht auch diskutabel gesehen werden) ist, dass Feldbauer unter die kommunistische Bewegung den 1972 in scharfer Gegnerschaft zur DKP entstandenen Kommunistischen Arbeiterbund, aus dem 1982 eine Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) entstand, einordnet. Die MLPD habe ein Bekenntnis zu Marx, Engels, Lenin, Stalin und Maozedong verkündet und sich zur politischen Vorhut der Arbeiterklasse sowie Partei des "echten Sozialismus" erklärt. Sie habe die KPdSU des "modernen Revisionismus", die in der UdSSR den Kapitalismus restauriert habe, bezichtigt. Ihre Mitgliederzahl werde auf 2300 geschätzt. Es werden Jugend-, Frauen- und Kinderorganisationen, mehrere Publikationen, darunter eine Wochenzeitung "Rote Fahne", mit einer Auflage von 7500 Exemplaren angegeben. Bei Kommunalwahlen erreichte die MLPD Ergebnisse zwischen 3,5 und 5,3 Prozent und ist seit 2006 mit 14 Abgeordneten in 9 Gemeinden vertreten. Beziehungen zu anderen Organisationen im kommunistischen Spektrum existierten nicht.


Vertieft Kommunistische Initiative die Spaltung?

Schließlich geht der Autor abschließend auf die im Herbst 2008 von "offensiv" initiierte und von einigen DKP- und KPD-Mitgliedern unterstützte Kommunistische Initiative" (KI) als "Sammel- und Organisationspunkt" zur Schaffung der "Bedingungen für die Formierung einer einheitlichen marxistisch-leninistischen Partei in Deutschland" ein. Von einem vorläufigen Organisationskomitee wird ein Newsletter herausgegeben. Die KI sei rasch dazu übergegangen, erste Organisationsstrukturen zu schaffen, was den Eindruck vermittele, dass auch ohne Parteibezeichnung ein entsprechendes Organisationssystem geschaffen werden soll, zumal zunehmend stärker betont wurde/wird, "die Schaffung der einheitlichen kommunistischen Partei werde immer dringlicher." Gegenwärtig wird ein Manifest ausgearbeitet.

Zur Suche nach der Einheit der Kommunisten werde ein Meinungsaustausch, von Ausnahmen (KPD) abgesehen, nur mit Personen geführt und nicht mit den Leitungen der bestehenden kommunistischen Organisationen. Namhafte kommunistische Persönlichkeiten hätten sich der KI (außer aus "offensiv") nicht angeschlossen. Auch Kontakte zur DKP-Basis, die den vom (früheren) DKP-Sekretariat ausgehenden revisionistischen Tendenzen (Thesenentwurf) kritisch entgegentraten, wurden nicht gesucht, dies vielmehr "als eine Form des Zentrismus" abgetan. "Sollte die KI zur Parteigründung schreiten, würde das nur die bestehende Zerrissenheit der Bewegung vertiefen", heißt es.

"Entgegen den von der KI verfolgten Zielen geht es in der gegenwärtigen Auseinandersetzung darum, die DKP auf der Grundlage ihres 2006 beschlossenen Programms und der Ausprägung ihrer kommunistischen Identität als entscheidende, die Interessen der Arbeiterklasse vertretende größte kommunistische Organisation und Kraft der revolutionären Linken zu erhalten und zu verteidigen", schließt der Beitrag, der zum Nachdenken darüber anregt, ob die vorherrschende gegenseitige Ignorierung aller beteiligten Parteien, Organisationen und Publikationsorgane nicht als erster Schritt auf dem Weg, zu einem Zusammenwirken zu kommen, überwunden werden sollte. Immerhin, so ist dem Beitrag zu entnehmen, dürfte sich die Mitgliederzahl der sich als Kommunisten ausgebenden, die aber in viele Organisationen zersplittert sind, auf wenigstens 12.000 summieren. Wollen sie ewig in den Klassenkämpfen, die in noch schärferen Formen auf uns zukommen, so gespalten auftreten und dem Gegner neue Siege bescheren?


Anmerkungen:
(1) Autor zahlreicher Bücher und Publikationen über Italien, Vietnam und zu internationalen Fragen, zuletzt "Krieg. Das deutsche Kapital führt ihn wieder - weltweit. Die Bundeswehr wurde seit ihrer Geburt darauf vorbereitet", Reihe "Konsequent" der Berliner DKP, Ausgabe 2/2010
(2) Der Beitrag des Autors wurde im September abgeschlossen und enthält die hier kurz angeführten Ergebnisse des Parteitages noch nicht.
(3) Das B steht für Bolschewiki.
(4) Danach legte Feldbauer den Vorsitz nieder und trat später auch aus dem Verein aus.


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Quelle:
© 2010 Doris Tatus
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2010