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FRAGEN/005: Kein Ende für Assanges Martyrium in Sicht (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Kein Ende für Assanges Martyrium in Sicht

Interview und Transkript von Reto Thumiger für Pressenza und in Zusammenarbeit mit Weltnetz.tv, 18. Januar 2019


Fast sieben Jahre ist es nun her, seit Julian Assange Zuflucht in der ecuadorianischen Botschaft in London gesucht hat, um einer Auslieferung der britischen Behörden zu entgehen. Macht er einen Schritt vor die Botschaftstür, wird er umgehend verhaftet und höchstwahrscheinlich an die USA ausgeliefert, wo ihn eine langjährige Gefängnisstrafe oder schlimmeres erwarten würde.

Seit Jahren harrt der Whistleblower Assange in der winzigen Botschaft in London aus und seit Lenín Moreno Ecuadors Staatsoberhaupt ist, hat sich seine Situation noch weiter verschlimmert. Unter isolationshaftähnlichen Bedingungen hat er keinerlei Kontakt mehr zur Außenwelt außer zu seinen Anwälten, sein Gesundheitszustand verschlechtert sich zusehends und die notwendige medizinische Betreuung wird ihm verweigert. Hinzu kommen tägliche Schikanen, die dem WikiLeaks-Gründer das Leben zur Hölle machen sollen.

Im Interview mit Jorge Jurado [1], dem ehemaligen Botschafter Ecuadors in Berlin, unterhalten wir uns über Assanges Situation und warum aus Ecuador, dem ehemaligen Retter, Assanges größter Peiniger wurde. Dieses Interview entstand in Kooperation mit unserem Medienpartner Weltnetz.tv.

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Reto Thumiger: Wir begrüßen heute Jorge Jurado, zugeschaltet aus Quito, Ecuador, zum Interview. Wenn ich dich kurz vorstellen darf: Du warst von 2011 bis 2016 Botschafter der Republik Ecuador in Berlin. Zuvor warst du Wasserwirtschaftsminister, Staatssekretär für Bergbau sowie Direktor für Umweltfragen bei der Stadtverwaltung von Quito. Außerdem bis 2004 als Dozent an der Universität San Francisco in Quito und an der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften über verschiedene Umweltthemen tätig. Dein Bezug zu Deutschland und warum du so ein perfektes Deutsch sprichst, du hast an der Technischen Universität Berlin Energietechnik und Verfahrenstechnik studiert.

Jorge Jurado: Ja so ist es, vor sehr langer Zeit.

In den 5 Jahren als Botschafter Ecuadors in Berlin hast du einen bleibenden Eindruck hinterlassen, viele Leute vermissen dich, du hast Freundschaften geschlossen und hast unermüdlich auf die progressiven Fortschritte Ecuadors hingewiesen. Seitdem hat Ecuador einen neuen Präsidenten. Was hat sich noch verändert?

Lieber Reto, herzlichen Dank für dieses Interview. Ich freue mich, mal wieder Kontakt zu Berlin zu haben. Zu deiner Frage, es hat sich leider sehr vieles geändert. Was wir damals bis 2017 gehabt und verfolgt haben mit unseren Zielen als eines der progressiven Länder Lateinamerikas; es hat sich alles gewendet. Es ist eine totale Umkehrung und man nicht mehr sagen, dass die Ziele und die Träume, die wir damals hatten, jetzt weiter verfolgt werden. Ich glaube, wir sind auf dem Pfad zu einer sehr neoliberalen Wirtschafts- und Regierungsform mit allem was das bedeutet. Die Änderungen, die jetzt in diesen anderthalb Jahren stattgefunden haben, sind so massiv, dass ich nicht mehr in der Lage bin, mein eigenes Land und was wir geschafft haben, wiederzuerkennen.

Ist es in dem Zusammenhang zu verstehen, dass Ecuador aus dem ALBA (Bolivarianische Allianz für Amerika) ausgetreten ist?

Ja sicher, das ist Teil davon. Erstens muss man sagen, dass mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die Venezuela hat, der Impuls, den ALBA gehabt hat, sich sehr stark abgenommen hat. Dazu kommt, dass auch andere Länder, die sich im ALBA zusammengefunden haben, sehr große Schwierigkeiten haben, Nicaragua zum Beispiel. Letztes Jahr, wenn ich mich recht erinnere, hat Ecuador die Allianz verlassen. Mit der neuen neoliberalen Richtung hat ALBA für Ecuador einfach keinen Sinn mehr und deswegen hat die Regierung diese Entscheidung getroffen.

Am Beispiel der argentinischen Regierung Macri kann man ja sehen, dass nur wenige Jahre nötig sind, um große Fortschritte, die über mehrere Regierungsperioden der Kirchners aufgebaut wurden, wieder rückgängig gemacht werden können ...

Wir erleben genau dasselbe jetzt ...

Also liegt das im allgemeinen Trend, den wir zurzeit in Lateinamerika erleben, dem sich Brasilien, Chile unter anderem angeschlossen haben?

Ja, das ist ein Trend innerhalb Südamerikas und ich sage Südamerika, weil ich sehe López Obrador in Mexico mit großer Hoffnung. Deshalb beziehe ich mich nicht auf ganz Lateinamerika, sondern auf Südamerika.

Der Trend in Südamerika, den du erwähnt hast, ist ein Rechtstrend. Diese Entwicklung ist ein wichtiges Thema, dass uns natürlich sehr beschäftigt. Der Grund für dieses Interview, worum ich dich gebeten habe, war ein anderer, aber das sind wichtige Hintergrundinformationen. Wir machen uns hier sehr große Sorgen um die Situation von Julian Assange. Mit der neuen Regierung in Ecuador hat sich auch für ihn viel geändert. Wie siehst du seine Situation in der ecuadorianischen Botschaft in London?

Assange muss sich leider auf eine absolut neue Situation einstellen. Ecuador hat formell gesagt, dass Assange weiter in der Botschaft bleiben und das Asylrecht genießen kann, aber unter bestimmten Bedingungen. Diese Bedingungen haben sich sehr stark geändert, sie sind verschärft worden. Deswegen glaube ich, die persönliche Lage von Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London ist sehr unangenehm geworden, weil er über die kleinen Freiheiten, die er früher genossen hat, nicht mehr verfügen kann. Wahrscheinlich möchte man damit den Menschen zum Schritt bewegen, dass er von sich aus die Botschaft verlässt. Wenn jemand nicht einmal in der Lage ist, für ein paar Minuten an die frische Luft zu gehen und sich ständig nur in einem ganz kleinen Raum aufhalten soll, dann möchte man diese Peron innerlich beeinträchtigen und kaputt machen.

Aufgrund meiner Informationen ist er unterdessen komplett isoliert, er kann nur noch sehr beschränkt bis gar keinen Besuch mehr erhalten, er hat keinen Internetzugang mehr. Die medizinische Unterstützung scheint er nicht in dem Rahmen zu erhalten, wie er es nötig hätte. Rafael Correa, der ehemalige Präsident Ecuadors, bezeichnet die Lebensbedingungen als Folter, unter denen Julian Assange zurzeit lebt.

Es sind höchstwahrscheinlich sehr schwierige Lebensbedingungen für ihn, ja.

Er hat ja auch die ecuadorianische Staatsbürgerschaft, kann ihn den Lenín Moreno überhaupt auf die Straße setzen?

Formal gesehen eigentlich nicht. Nein, das kann er nicht. Weil er erstens ecuadorianischer Staatsbürger ist und kein ecuadorianischer Staatsbürger darf rausgeschmissen werden von der eigenen Botschaft. Zweitens hat Assange Asyl seitens der ecuadorianische Regierung und wenn man ihn auf die Straße setzten würde, würde das einen absoluten Bruch von internationalen Gegebenheiten bedeuten, internationalen Bräuchen, vor allem hier in Lateinamerika, wo wir das Asylrecht als eines der höchsten Güter, die wir erreicht haben, anerkennen. Deswegen glaube ich, die jetzige ecuadorianische Regierung würde es sich sehr gut überlegen, bevor sie einen solchen Schritt unternimmt.

Und deshalb besteht die Taktik genau darin, ihm das Leben so schwer zu machen, bis Assange sich entscheidet selbst zu gehen.

Wir können darüber spekulieren. Ja, das könnte einer der Gründe sein.

Ist Julian Assange ein Thema in Ecuador, wird das diskutiert, oder läuft das bei den aktuellen Problemen in Ecuador und Lateinamerika unter ferner liefen?

Von Zeit zu Zeit wird das Thema hochgebracht aber man muss es im ganzen Kontext sehen. Eine der Änderungen, die wir leider mit der neuen Regierung erleben, die inzwischen nicht mehr so neu ist, seit anderthalb Jahren ist sie im Amt, oder ein bisschen mehr. Der gesamte Informationsfluss von der kommerziellen Presse, von der hegemonialen Presse, geht in Richtung Regierungsbegünstigung und bestimmte Informationen werden einfach nicht veröffentlicht. Die offizielle Presse des Landes übt eine bestimmte Art von Selbstzensur aus und deshalb wird, was mit Assange geschieht, oder dass es verschiedenen Bewegungen zur Unterstützung von Assange in sehr vielen Ländern gibt, hier nicht veröffentlicht. Die Bevölkerung ist sehr schlecht informiert, hat keinen großen Zugang zu den Tatsachen und meistens läuft das nur über die verschiedenen sozialen Netzwerke. Aber das Thema Assange kommt in den sozialen Netzwerken von Zeit zu Zeit hoch. Das ist nicht genug, damit die Bevölkerung innerhalb des Landes es tatsächlich als ein Thema betrachten würde. Wir haben in Ecuador aufgrund von der geschichtlichen Situation der Gesellschaft, der Bevölkerung strukturellen Probleme, die uns ständig beschäftigen und so ein Thema ist nicht etwas, worüber jeden Tag diskutiert wird. In bestimmten Kreisen wird das Thema Assange schon wirklich behandelt aber das ist eine absolute Minderheit.

Haben die USA den Druck auf Ecuador erhöht oder hat die Bereitschaft der aktuellen Regierung diesem Druck zu widerstehen im Vergleich zur vorherigen abgenommen?

Das kann man schlecht wissen. Formell hat sich die Lage nicht geändert. Es gibt viele Gerüchte, dass seit dem Besuch von Vizepräsident Pence in Ecuador vor einigen Monaten, der Druck seitens der USA sehr stark sein soll, damit Assange kein Asyl mehr gewährt werden soll. Das ist natürlich keine offizielle Information, kein Regierungsmitglied oder die US-amerikanische Botschaft wird sowas zugegeben. Aber nach diesem Besuch hat sich sehr vieles in der Behandlung des Asylanten Assange zum schlechteren geändert.

Wenn ich dich richtig verstanden habe, gibt es innerhalb Ecuadors keinen Druck auf Moreno, Assange besser zu behandeln oder eine menschliche Lösung für das Problem zu finden; dann kann eigentlich nur der internationale Druck helfen. Was kann die deutsche Zivilgesellschaft tun, um Assange zu unterstützen?

Nicht nur in Deutschland, ich glaube es ist äußerst wichtig, dass ein sehr starker, dauerhafter und tagtäglicher Druck ausgeübt wird. Die internationale Solidarität gegenüber diesem Menschen, der jetzt wirklich in einer sehr schwierigen Situation ist. In Deutschland gibt es die Möglichkeit sehr viel für ihn zu tun. Druck auf die deutschen Politiker auszuüben, damit auch sie wiederum Druck ausüben, um eine bestimmte Änderung zu erzielen, damit die Regierung Großbritanniens einen anderen Weg einschlägt. Der internationale Druck muss viel stärker werden. Ich habe von hier aus den Eindruck, dass die Situation von Assange kein tagtägliches Thema ist, er leidet aber tagtäglich unter der Situation. Ich sehe keine andere Möglichkeit, als den internationalen Solidaritäts-Druck zu verstärken und die Kampagnen soweit möglich weiter zu führen und zu erweitern.

Mit deiner Erfahrung als Diplomat, wie könnte denn eine Lösung aussehen? Er kann ja nicht ewig in dieser Botschaft sitzen, unabhängig davon, wie er behandelt wird. Die britische Regierung ist entschlossen ihn zu verhaften, wenn er die Botschaft verlässt. Offiziell wird eine Auslieferung zwar bestritten, man kann aber davon ausgehen, dass das passieren würde, sobald die US-Amerikaner einen internationalen Haftbefehl ausstellen würden. Wie kann man denn diese Pattsituation diplomatisch lösen?

Ich sehe keine großen Möglichkeiten. Es sei denn, es findet ein Regierungswechsel innerhalb Großbritanniens statt. Aber unter der jetzigen Regierung von Frau May wird sich nichts ändern. Der Druck seitens Ecuador weiter zu verhandeln, hat sich sehr, sehr stark verringert. Vielleicht, wenn die Situation über die Brexit-Diskussion im britischen Parlament zu einer Änderung in der britischen Regierung führt und vielleicht Jeremy Corbyn an die Macht käme, würde sich da vielleicht ein Fenster für einen Ausweg öffnen, für einen würdevollen Ausweg aus dieser Pattsituation.

Zum Schluss würde mich noch interessieren Jorge, wenn du noch Botschafter Ecuadors in Berlin wärst, wie würdest du dich verhalten, wie groß ist überhaupt der Spielraum, den man als Botschafter hat?

Du hast mir eine sehr schwierige Frage gestellt, weil ich in der jetzigen Situation niemals würde Botschafter sein wollen. Ein Botschafter hat gewisse Spielräume, aber selbstverständlich ist er gezwungen, die Richtlinien der Regierung zu befolgen und ich würde da sofort mit meinen eigenen Vorstellungen zu der aktuellen Regierung im Gegensatz stehen. Also da kann man schlecht etwas dazu sagen. Aber diese kleinen Spielräume könnte man vielleicht intelligent nutzen, bis zu einer bestimmten Grenze wenigstens.

Oder man wird dann halt eben abberufen oder wie du sagst, man tritt zurück, weil man überhaupt nicht mehr mit der Regierung einverstanden ist.

Genau.

Vielen Dank für dieses interessante Gespräch und ich hoffe es wird nicht das einzige sein. Es gibt noch viele Themen, was in Ecuador und Lateinamerika passiert, worüber wir noch reden können und wir würden uns bei einer anderen Gelegenheit freuen.

Ich bin gerne bereit und bedanke mich auch für diese Möglichkeit, mit euch und Berlin sprechen zu dürfen. Vielen Dank.


Anmerkung:

[1] Jorge Jurado war von 2011-2016 Botschafter der Republik Ecuador in Berlin. Zuvor war er Wasserwirtschaftsminister, Staatssekretär für Bergbau sowie Direktor für Umweltfragen bei der Stadtverwaltung von Quito. Bis 2004 war Jorge Jurado als Dozent an der Universität San Francisco in Quito und an der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften über verschiedene Umweltthemen tätig. Er studierte an der Technischen Universität Berlin Energietechnik und Verfahrenstechnik.


Link zum Video bei Pressenza
https://www.pressenza.com/de/2019/01/kein-ende-fuer-assanges-martyrium-in-sicht/


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Reto Thumiger
E-Mail: redaktion.berlin@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2019

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