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KOLLATERAL/033: Krieg und Hunger (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 29. März 2022
german-foreign-policy.com

Krieg und Hunger

Ukraine-Krieg: Russlands Überfall und die westlichen Sanktionen führen zu Zunahme von Hunger und Unterernährung weltweit. Hungerrevolten und ihr Umschlag in Aufstände gelten als möglich.


BERLIN/KIEW/MOSKAU - Russlands Invasion in die Ukraine und die vom Westen verhängten Sanktionen führen zu einer globalen Zunahme von Hunger und Unterernährung. Russland und die Ukraine gehören zu den wichtigsten Getreideproduzenten weltweit; Russland und Belarus liegen bei der Düngemittelproduktion, die für die Agrarwirtschaft von höchster Bedeutung ist, global weit vorn. Moskau hat weitgehende Exportbeschränkungen für Getreide verhängt, um die Ernährung der Bevölkerung trotz sanktionsbedingt ausfallender Nahrungsmittelimporte zu sichern. Der Getreideexport der Ukraine ist durch den russischen Überfall zum Erliegen gekommen. Auch Düngemittel liefert Russland nicht mehr ins Ausland, da Transport und Bezahlung aufgrund der Sanktionen nicht wie gehabt abgewickelt werden können. Schon jetzt steigen in Ostafrika die Getreidepreise dramatisch; Beobachter warnen vor Hungersnöten. In der arabischen Welt kommt der Preisanstieg zu bereits bestehenden politischen und sozialen Spannungen hinzu; Warnungen vor Hungerrevolten und einem Umschlag in politische Aufstände werden laut. In Südamerika hat eine Kampagne begonnen, Düngemittel von Sanktionen auszunehmen.

Unterernährung in Ostafrika

Russlands Invasion in die Ukraine wird zu einer weltweiten Zunahme von Hunger und Unterernährung führen. Nachdem Russland Mitte März weitgehende Exportbeschränkungen für Weizen und weitere Getreidearten verhängt hat, die mindestens bis Ende Juni aufrechterhalten werden sollen, warnen nun Nichtregierungsorganisationen vor einer Hungerkrise in Teilen des globalen Südens. Moskau erklärt, mit dem faktischen Exportstopp die Versorgung der eigenen Bevölkerung sicherstellen zu wollen, da die westlichen Sanktionen auch Nahrungsmittellieferungen nach Russland behindern. Laut der Entwicklungsorganisation Oxfam droht vor allem in Ostafrika eine Hungersnot; von ihr könnten bis zu 28 Millionen Menschen betroffen sein, falls die Regenfälle in diesem Frühjahr ausbleiben. Konkret stünden "Gebiete in Äthiopien, Kenia, Somalia" sowie im Südsudan vor einer "Katastrophe", warnte kürzlich ein Oxfam-Sprecher.[1] Die Länder Ostafrikas beziehen demnach rund 90 Prozent ihrer Weizenimporte aus Russland und der Ukraine, weshalb der Krieg bereits zu einer Verdoppelung der Grundnahrungsmittelpreise in besonders armen Ländern wie Somalia geführt hat. Der Krieg zwischen der Ukraine und Russland, die zu den wichtigsten Weizenexporteuren weltweit zählten, werde sich global in steigenden Lebensmittelpreisen äußern, hieß es weiter bei Oxfam; doch seien "die ärmsten und schwächsten Menschen" davon am "stärksten und schnellsten betroffen". Der rasante Anstieg der Grundnahrungsmittel-, Energie- und Rohstoffpreise untergrabe die Möglichkeiten der "hoch verschuldeten afrikanischen Regierungen", den Hunger in der Region zu bekämpfen, heißt es.[2]

Instabilität in der arabischen Welt

Nicht nur in Ostafrika, auch in den arabischen Ländern droht eine Nahrungsmittelkrise, die sehr schnell zu weiterer politischer Instabilität führen kann. Nahrungsmittelengpässe treten dabei laut aktuellen Berichten auch in kriegsverwüsteten oder krisengeschüttelten Ländern wie dem Jemen oder dem Libanon auf, die auf ukrainisches Getreide angewiesen sind.[3] Auch in Ägypten, Marokko, Tunesien, dem Irak und Jordanien sei die politische und soziale Lage angespannt; bei weiter steigenden Getreidepreisen drohten dort "Hungerrevolten". Besonderes Augenmerk wird aktuell auf Ägypten gelegt, wo eine frühere Preisexplosion bei Lebensmitteln den Aufstand Anfang 2011 und den Sturz der Regierung von Präsident Hosni Mubarak befeuerte. Dort mache sich Unruhe breit, heißt es, nachdem die Regierung von Staatschef Abd al Fattah al Sisi angekündigt habe, die stark subventionierte Brotration von fünf auf drei Brotfladen zu reduzieren. Ägypten mit seinen 100 Millionen Einwohnern, von denen rund 60 Prozent in Armut leben, bezog rund die Hälfte seiner Getreideimporte aus der Kriegsregion in Osteuropa; die Getreidepreise sind dort bereits um 65 Prozent in die Höhe geschossen. Im Libanon, der sich in einer schweren Schulden- und Wirtschaftskrise befindet, leben schon jetzt rund 70 Prozent der Bevölkerung in Armut; das Land importierte sogar 95 Prozent seines Getreides aus dem Schwarzmeergebiet. Besonders dramatisch gestaltet sich die Lage im Bürgerkriegsland Jemen, wo ohnehin bereits rund 20 der 32 Millionen Einwohner vom Hunger bedroht sind.

Entwicklungshilfe gekürzt

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze warnt ausdrücklich vor Hungersnöten im globalen Süden, die zu "Brotaufständen" führen könnten wie "vor elf Jahren im arabischen Raum". Dies könne eine "neue Welle der Instabilität" nach sich ziehen.[4] Schulze fordert deshalb mehr Geld für die deutsche Entwicklungshilfe, die laut den bisherigen Plannungen in diesem Jahr um 12,6 Prozent gekürzt werden soll. Die "Herausforderungen" würden nicht kleiner, sondern größer, klagt Schulze, da vor dem Krieg Russland und die Ukraine rund 30 Prozent aller Weizen- und 20 Prozent aller Maisexporte auf sich vereinigt hätten. Russlands Überfall hat bereits den Export von rund zehn Millionen Tonnen Weizen und acht Millionen Tonnen Mais blockiert, die in den Häfen der Ukraine lagern; es handelt sich um rund 25 Prozent der ukrainischen Jahresproduktion. Überdies ist nicht klar, wie die Frühjahrsaussaat in der Kriegsregion bewerkstelligt werden soll, falls der Krieg nicht bald beendet wird. Damit würde die drohende Hungerkrise in weiten Teilen des globalen Südens zu einem längerfristigen Problem - dies umso mehr, als die aktuellen Hilfsmaßnahmen für die Ukraine dazu führen, dass die Spenden für Hungergebiete im globalen Süden rasch schrumpfen. Bei einer im März in Genf abgehaltenen UN-Geberkonferenz für den Jemen kamen beispielsweise nur 1,3 Milliarden Euro zusammen - nur 30 Prozent des tatsächlich vorhandenen Bedarfs. Die Nothilfe für die Ukraine könne auf "auf Kosten afrikanischer Länder gehen", heißt es in Berichten, die etwa Mittelkürzungen von rund 70 Prozent für die Sahelzone vermelden.[5]

Auswirkungen auf die EU

In der Bundesrepublik droht zwar kein Brotmangel, da die deutschen Getreidemühlen, wie berichtet wird, "zu 95 Prozent Getreide aus Deutschland" verarbeiten.[6] Doch sei die Ukraine ein wichtiger Lieferant von Körnermais, der als Futtermittel in der Milch- und Fleischproduktion eine herausragende Rolle spiele. So habe die Bundesrepublik im vergangenen Jahr rund sieben Millionen Tonnen davon importiert - zu mehr als 50 Prozent aus der Ukraine. Diese Importe fielen dieses Jahr aus, weshalb teurere Bezugsquellen etwa in Lateinamerika oder den USA erschlossen werden müssten. Dies werde letztendlich dazu führen, dass "auch die Fleischpreise steigen", heißt es. Ähnlich stark ist die Abhängigkeit der EU vom Kriegsgebiet bei Speiseölen, vor allem bei Sonnenblumenöl: Dessen Export kam zuletzt zu mehr als drei Viertel von dort - 27 Prozent aus Russland, sogar 51 Prozent aus der Ukraine.[7] Nicht nur in Deutschland, wo bereits Hamsterkäufe von Sonnenblumenöl einsetzten, auch in Spanien drohen Versorgungsengpässe. In dem Land wurden zuletzt 62 Prozent der Nachfrage nach dem günstigen Speiseöl durch Importe aus der Ukraine gedeckt. In spanischen Supermärkten wurden bereits ähnliche Ausgabebeschränkungen erlassen, wie sie auch in der Bundesrepublik gelten, wo 94 Prozent des Speiseöls importiert werden müssen. Industriesprecher erklären, die Vorräte an Sonnenblumenöl reichten nur noch für "ein paar Wochen".[8]

Düngemittelknappheit

Zur weiteren Verschärfung der globalen Nahrungsmittelkrise droht die Düngemittelknappheit beizutragen, die sich rasch aufgrund sanktionsbedingter Lieferstörungen und eines entsprechenden Exportstopps der Russischen Föderation einstellt.[9] Russland ist mit Einnahmen von rund sieben Milliarden US-Dollar der weltweit größte Exporteur von Düngemitteln, Belarus liegt bei einem Umsatz von 2,9 Milliarden US-Dollar auf Platz sechs. Der Preis für Stickstoffdünger hat sich infolge des Krieges bereits verdoppelt.[10] Viele Staaten Europas und Zentralasiens bezögen mehr als die Hälfte ihres Düngers aus Russland, heißt es; doch selbst die niedrigere Abhängigkeit der deutschen Landwirtschaft, die nur 30 Prozent ihres Dünger aus Russland und Belarus beziehe, sei zu hoch, um die Ausfälle durch Importe "aus anderen Quellen" zu kompensieren. In Wechselwirkung mit "Risiken" wie witterungsbedingten Missernten könne dies zu "Produktionsausfällen und Nahrungsmittelknappheit" führen. Besonders stark abhängig vom russischen Dünger ist mit Brasilien einer der weltweit wichtigsten Agrarproduzenten; das Land importierte im vergangenen Jahr neun Millionen Tonnen Dünger aus Russland. Die brasilianische Agrarindustrie klagt, die Vorräte reichten nur noch für drei Monate. Während Brasiliens Großgrundbesitzer nach neuen Importquellen in Kanada Ausschau halten, propagiert der ultrarechte Staatschef Jair Messias Bolsonaro bereits die weitere Abholzung des Regenwaldes zwecks Erschließung neuer Anbauflächen. Parallel haben die vier Staaten des südamerikanischen Staatenbundes Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay), Chile und Bolivien eine Kampagne gestartet, Düngemittellieferungen wegen ihrer hohen Bedeutung für die globale Nahrungsmittelproduktion grundsätzlich von den Sanktionen auszunehmen (german-foreign-policy.com berichtete [11]).


Anmerkungen:

[1], [2] Oxfam warnt vor Hungerkrise in Ostafrika. zeit.de 22.03.2022.

[3] Ägypten, Jemen und Libanon bekunden Nahrungsmittelengpässe: Diese Folgen hat der Krieg für die arabischen Länder. luzernerzeitung.ch 21.03.2022.

[4] Entwicklungsministerin fordert mehr Geld und warnt vor Hungersnöten. finanztreff.de 23.03.2022.

[5] Geberländer kürzen Afrika-Hilfen für Ukraine. migazin.de 14.03.2022.

[6] Verlorenes Korn. zeit.de 08.03.2022.

[7] Russland stoppt Getreideexport, Öl aus der Ukraine wird knapp. zeit.de 14.03.2022.

[8] Warum Sonnenblumenöl derzeit knapp ist. tagesschau.de 18.03.2022.

[9] Fehlender Dünger aus Russland treibt die Weltmarktpreise. dw.com 21.03.2022.

[10] Weltweite Düngemittelkrise befürchtet. orf.at 20.03.2022.

[11] S. dazu "Russland isolieren" (II).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8874

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 31. März 2022

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