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KRIEG/1740: Mali - Debatte und Verschleierung ... (SB)



Die Stabilisierung Malis ist ein Schwerpunkt des deutschen Engagements in der Sahel-Region und ein wichtiges Ziel der Afrikapolitik der Bundesregierung.
Antrag der Bundesregierung zur Verlängerung des Mandats [1]

Im Bundestag standen heute die ersten Lesungen der Anträge zur Verlängerung von Bundeswehreinsätzen in Afrika an. Dabei ging es um die Beteiligung an zwei internationalen Missionen in Mali sowie um den Marineeinsatz gegen Piraten vor der Küste Somalias. Alle drei Einsätze sollen um ein Jahr bis zum 31. Mai 2020 verlängert werden, die Kosten belaufen sich auf fast 400 Millionen Euro. Eine endgültige Entscheidung fällt der Bundestag wohl Mitte Mai, die Zustimmung des Parlaments gilt aufgrund der Mehrheitsverhältnisse als sicher.

Die Beteiligung an der EU-Mission "Atalanta" im Indischen Ozean verdankt sich handfesten deutschen Wirtschaftsinteressen. Das Seegebiet vor dem Horn von Afrika ist laut Bundesregierung "Verbindungsglied und Haupthandelsroute zwischen Europa, der Arabischen Halbinsel und Asien". Die Region habe "eine elementare Funktion für die Versorgungssicherheit" Deutschlands. Rund 20.000 Handelsschiffe pro Jahr passieren den Golf von Aden, die Meerenge zwischen dem afrikanischen Kontinent und der Arabischen Halbinsel. 90 Prozent des Handels zwischen Europa, Afrika und Asien laufen durch die Region. Der Westen fährt damit seinen Reichtum an einem der ärmsten Länder der Welt vorbei. In Somalia herrscht gerade eine verheerende Dürre, knapp zwei Millionen Menschen hungern, unzählige sind auf der Flucht vor der Trockenheit. Blanke Not treibt junge Männer in die Arme von Piraten, die häufig arbeitslose Fischer aus den Küstendörfern rekrutieren, deren Lebensgrundlage die großen Fangschiffe aus den Industriestaaten mit ihren kilometerlangen Netzen zerstören. [2]

Die Mission "Atalanta", an der sich die Bundeswehr seit 2011 mit einem Aufklärungsflugzeug sowie rund 80 Soldaten beteiligt, die größtenteils in Djibouti stationiert sind, sieht die Große Koalition als vollen Erfolg. Das kann sie angesichts der verheerenden Entwicklung in Mali von dem dortigen Einsatz deutscher Streitkräfte nicht so leicht behaupten. Bundeskanzlerin Merkel hatte zuletzt die im nordmalischen Gao stationierte Truppe besucht und erklärt, die Mission sei schwierig und gehöre zu den gefährlichsten Einsätzen der Bundeswehr weltweit. Unter den insgesamt 3.361 deutschen Soldatinnen und Soldaten, die sich derzeit auf dreizehn Auslandseinsätze verteilen, erhalten die beiden größten Kontingente in Afghanistan und Mali nicht von ungefähr die höchste Gefahrenzulage.

Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich beansprucht Westafrika als sein Einflußgebiet und hat auch Deutschland Schritt für Schritt in das militärische Engagement eingebunden. Eine erste Anfrage, die Wahlen im Kongo abzusichern, erfolgte 2005, kurz nachdem Angela Merkel Kanzlerin geworden war. Frankreich, Großbritannien und die USA führten 2011 Krieg gegen Libyen, um Gaddafi zu stürzen, einen Regimewechsel zu erzwingen und den Staat zu zerschlagen. Zwangsläufige Folge war eine Destabilisierung des Landes wie auch der gesamten Region, welche die Kämpfe in Mali maßgeblich befeuert und bewaffnet hat. Dort riefen die Franzosen 2013 gewissermaßen den Bündnisfall in Europa aus, seit 2015 wird zur Begründung zusätzlich die Flüchtlingsabwehr herangezogen.

Anfang 2013 beschloß der Deutsche Bundestag, die französische Militärintervention in Mali zu unterstützen und die Bundeswehr in dem westafrikanischen Land zu stationieren. Diese ist dort vor allem mit der Aufklärung rund um die nordmalische Stadt Gao befaßt und soll damit zur Überwachung des fragilen Waffenstillstands zwischen ehemaligen Separatisten und Regierung durch die UN-Truppe beitragen. Sie nutzt Drohnen, hat zwei Transall-Maschinen zum Lufttransport in Niamey stationiert und unterstützt auch französische Kampftruppen im Sahel. Vier deutsche Kampfhubschrauber des Typs Tiger und vier Transporthelikopter des Typs NH90 sollten zwischen Frühjahr 2017 und Sommer 2018 vor Ort eine Rettungskette gewährleisten. Im Juli 2017 starben beim Absturz eines Tiger-Hubschraubers rund 70 Kilometer nordöstlich der Stadt Gao zwei Soldaten der Bundeswehr. Deutsche Offiziere sind im Hauptquartier der MINUSMA in Bamako, im Joint Force Air Component Command (JFACC) in Lyon und beim Ausbildungseinsatz der EU für Malis Streitkräfte (EUTM Mali) präsent.

Im Mai 2014 verabschiedete das Kabinett die "Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung". Darin ist von Potentialen Afrikas wie einem Zukunftsmarkt mit hohem Wachstum, reichen Ressourcen, landwirtschaftlicher Produktion und Ernährungssicherung die Rede, die für die deutsche Wirtschaft zunehmend interessanter würden. Aus diesen Gründen gelte es, das politische, sicherheitspolitische und entwicklungspolitische Engagement Deutschlands in Afrika gezielt zu stärken sowie entschieden und substantiell zu handeln, wozu auch militärische Interventionen gehörten. In Mali arbeitet Deutschland mit einem autoritären Regime zusammen und führt Krieg, um seine wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen auf dem bevölkerungs- und rohstoffreichen Kontinent durchzusetzen wie auch Flüchtlinge schon in Afrika von Europa fernzuhalten. Neben den Einsätzen im Senegal, in Zentralafrika, am Horn von Afrika, in der Westsahara, im Sudan, im Südsudan und in Somalia ist die Präsenz deutscher Soldaten in Mali die mit Abstand größte auf dem afrikanischen Kontinent.

Mit insgesamt 1450 Soldaten übertrifft das vom Bundestag mandatierte Kontingent jenes in Afghanistan, und wie am Hindukusch ist auch in Mali ein Ende des Einsatzes nicht in Sicht. Vergleichbar entwickelt sich auch die Sicherheitslage, die sich dramatisch verschlechtert, während sich die Bundeswehr allen anderslautenden Aufträgen zum Trotz in zunehmendem Maße in die Kriegsführung verstrickt. Was den Parlamentsvorbehalt betrifft, muß die Entsendung von deutschen Soldaten zu Kriegseinsätzen in andere Länder vorab vom Bundestag genehmigt werden. Diese Kontrolle durch die Abgeordneten soll weiter eingeschränkt werden. Im November 2018 drückte es die damalige CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer so aus: "Ich glaube, dass eine europäische Armee Sinn macht. Auf dem Weg dorthin werden wir den Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze der Bundeswehr ein Stück zurückfahren müssen." Worauf das hinausläuft, illustriert die aktuelle Kontroverse um den nichtmandatierten Einsatz von 20 deutschen Kampfschwimmern der Bundesmarine in Niger, die dort einheimische Spezialkräfte ausbilden. [3]

Während Frankreich mit der Operation "Barkhane" in der Sahelzone einen Kampfeinsatz durchführt, ist die Bundeswehr ausschließlich zur Stabilisierung und Friedenssicherung mandatiert. Daß es zwangsläufig zu Überschneidungen kommt, liegt zum einen in der Natur dieser letztlich fiktiven Trennung, zum anderen an den Erfordernissen einer Kriegsführung, die mehr oder minder weit von den ideologischen Konstrukten deutscher und internationaler Mandatierung abweicht. So sollen deutsche Drohnen und Hubschrauber auch zur Unterstützung des französischen Militärs eingesetzt worden sein - Aufklärung und Transport sind eben ein weites Feld.

An der Stabilisierungsmission in Mali beteiligen sich mehr als 50 Nationen mit rund 11.000 Blauhelmsoldaten, circa 1.500 Polizisten und Zivilpersonal. Der Großteil des deutschen Einsatzkontingents ist mit aktuell 837 Soldaten in Gao (Camp Castor) stationiert. Deutschland stellt aber auch Personal für das Hauptquartier in Bamako und betreibt in Niamey, der Hauptstadt des benachbarten Niger, einen Lufttransportstützpunkt, um Material- und Personaltransporte sowie die medizinische Verwundetenversorgung zu ergänzen. EUTM ist eine Mission der EU mit dem Ziel des Trainings und der Beratung der malischen Streitkräfte und der G5-Sahel-Truppe (Mali, Mauretanien, Niger, Burkina Faso und Tschad). Zu EUTM gehören derzeit 191 deutsche Soldaten.

Die malische Regierung hat vor vier Jahren mit Separatistengruppen aus dem Norden ein Abkommen zur Aussöhnung geschlossen, dessen Umsetzung jedoch nicht vorankommt. Zahlreiche Konflikte machen dem ohnehin armen Land zu schaffen. Es wüten islamistische Milizen wie die von "Boko Haram", Ackerbauern kämpfen mit Viehhütern um das knappe Nutzland, diverse Banden treiben ihr Unwesen. Inmitten dieser zunehmend chaotischen Verhältnisse beuten Menschenhändler die Not geflohener Menschen aus, die sie nach Norden schleusen und nicht selten umkommen lassen. Während islamistische Gruppierungen an Einfluß gewinnen und den Staaten der Sahel-Region ein Zusammenbruch droht, ist die Mali-Mission die tödlichste, auf die sich die Vereinten Nationen jemals eingelassen haben: Seit Beginn im Jahr 2013 sind dort 180 Blauhelmsoldaten gestorben, 15 allein in diesem Jahr. Ihrem offiziellen Auftrag zufolge sollen die Blauhelme Frieden in dem westafrikanischen Land schaffen und der Regierung in Bamako helfen, eine Aussöhnung mit den Rebellengruppen im Norden herbeizuführen. Der Konflikt hält jedoch seit sieben Jahren an, mehr als 250.000 Menschen sind auf der Flucht, wie hoch die Zahl einheimischer Opfer inzwischen ist, vermag niemand zu sagen.

Wie die Bundesregierung euphemistisch einräumt, sei die Sicherheitslage in einigen Landesteilen "volatil" und "angespannt", bei der Umsetzung des Friedensabkommens bestehe "weiterhin Verbesserungspotenzial". "Der UN-Einsatz in Mali war für uns immer wichtig", erklärt der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Fritz Felgentreu. "An der Lage in Mali hängt auch unsere Sicherheit. Das Land ist eine Transitzone für Menschenhandel, Drogen und Waffen. Auch wirkt es sich auf die Stabilität in Nachbarstaaten aus, wie sicher Mali ist." Die Sicherheitslage im Einflußbereich der Bundeswehr habe sich "nicht verschlechtert", beteuert er. Man dürfe das Land nicht alleinlassen. Allerdings merkt selbst Felgentreu düster an: "Ob der malische Staat jemals in der Lage sein wird, überall für Ordnung und Sicherheit zu sorgen, das ist eine offene Frage."

Nähme man die Aufgaben für bare Münze, die in das Mandat des Bundeswehreinsatzes in Mali hineinphantasiert werden, zeichnete sich als Bilanz eine groteske Überfrachtung und heillose Überforderung ab. Geht man hingegen von einer zugleich verbündeten und konkurrierenden Allianz mit Frankreich aus, den hegemonialen Übergriff auf die afrikanischen Staaten zu exekutieren, betreibt deutsche Regierungspolitik ihr Geschäft der ökonomischen, politischen und militärischen Intervention auf dem Nachbarkontinent durchaus konsistent. Sich über das Scheitern vorgeblich humanitärer und stabilisierender Militäreinsätze zu ereifern hieße dem Popanz militaristischer Deutungsmacht zu huldigen.


Fußnoten:

[1] www.tagesspiegel.de/politik/deutsche-soldaten-in-afrika-ist-die-bundeswehr-in-mali-ueberfordert/24204146.html

[2] www.tagesspiegel.de/politik/deutsche-auslandseinsaetze-was-die-bundeswehr-in-afrika-erreicht-hat-und-was-nicht/24318682.html

[3] www.spiegel.de/politik/ausland/bundeswehr-in-niger-rechtsbruch-in-camp-wuestenblume-a-1266228.html

9. Mai 2019


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