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KRIEG/1737: Berlin - Schule und Bundeswehr ... (SB)



Bin entsetzt über Beschluss der Berliner SPD, Jugendoffizieren der Bundeswehr die Schulen zu verbieten. Die Bundeswehr ist demokratisch, eine Parlamentsarmee. Die Soldaten verdienen unseren Respekt. Wer so einen Unsinn beschließt, sollte sich selbst von unseren Schulen fernhalten.
Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) [1]

Wie die heftigen Reaktionen zeigen, gleicht der Beschluß des Berliner Landesverbands der SPD, ein Werbeverbot der Bundeswehr an Schulen herbeizuführen, einem Stich ins Wespennest. "Es wird militärischen Organisationen untersagt, an Berliner Schulen für den Dienst und die Arbeit im militärischen Bereich zu werben", hieß es in dem Text. Der Antrag zielt darauf ab, daß diese Formulierung im Schulgesetz für das Land Berlin ergänzt wird. Minderjährige seien in einem Alter, in dem sich zentrale Lebens- und Wertvorstellungen erst noch entwickeln müßten. "Dementsprechend anfällig sind sie für militärische Propaganda und Verharmlosung der realen Gefahren eines militärischen Einsatzes", so die Begründung des Beschlusses. "Für Töten und Sterben macht man keine Werbung." [2]

Was der SPD-Kreisverband Berlin-Spandau als Antrag eingebracht hatte und vom Landesparteitag angenommen wurde, wäre im Falle seiner Umsetzung im Schulgesetz ein Novum, da bislang ein Werbeverbot für die Bundeswehr in keinem anderen Bundesland festgeschrieben oder geplant ist. Das mag die Aufregung unter den Protagonisten einer uneingeschränkten Rekrutierung für die nach wie vor unter Nachwuchsmangel leidende Truppe erklären, die offenbar einen Dammbruch fürchten. Wenngleich in der Vergangenheit immer wieder Kritik an den Werbekampagnen der Streitkräfte unter Minderjährigen laut wurde, weitete die Bundeswehr ihre Offensive aus, sich Jugendlichen als attraktive Berufsperspektive anzudienen und Arbeitgeber wie jeder andere darzustellen.

Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken im Sommer 2018 hervorging, hatte die Bundeswehr im Vorjahr mindestens eine halbe Million Jugendliche erreicht, die meisten von ihnen während des Unterrichts etwa bei Vorträgen, Podiumsdiskussionen oder Seminaren. Bei Vorträgen im Schulunterricht sprachen Jugendoffiziere zumeist an Gymnasien mit fast 120.000 Schülerinnen und Schülern, hinzu kamen zahlreiche weitere Veranstaltungen wie Jobmessen oder Projekttage. Allein das Personal für die Werbemaßnahmen kostete die Bundeswehr 31 Millionen Euro. 2014 hatte die Bundeswehr auf der Seite des Jugendmagazins "Bravo" für ein "Adventure Camp" der Luftwaffe in Sardinien geworben, auch die YouTube-Serien "Die Rekruten", "Mali"und "Biwak", in denen Soldaten im Reality-Show-Format von ihrem Berufsalltag berichten, waren heftig umstritten. [3] Ende 2018 kritisierten die Grünen eine Werbekampagne der Bundeswehr, bei der mit einer Serie über das Kommando Spezialkräfte (KSK) im Kurzmitteilungsdienst WhatsApp und mit einem Fitneßprogramm neue Soldaten angeworben wurden. Es sei "zynisch, junge Leute mit einer Action-Serie und einem Muskelprogramm als Staatsbürger in Uniform gewinnen zu wollen", sagte der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, Tobias Lindner.

Die Berliner Grünen-Fraktion begrüßte den Antrag im Grundsatz, auch die Berliner Linken sprachen sich dafür aus, so daß in der Koalition eine Zustimmung denkbar wäre. Die Bildungsgewerkschaft GEW spricht sich seit langem gegen Bundeswehrauftritte an Schulen aus, da ihres Erachtens auch die Jugendoffiziere Werbung machen. Es handle sich nicht um reine Informationsangebote, zumal die Probleme von Auslandseinsätzen nicht umfassend dargestellt würden, da ein Jugendoffizier notgedrungen parteiisch sei. Die Gewerkschaft halte den Berliner Beschluß für richtig. [4]

Das sieht Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen natürlich ganz anders, die den Beschluß und dessen Begründung als einen "Schlag ins Gesicht aller Soldatinnen und Soldaten" bezeichnete. "Sie halten bei jedem Einsatz den Kopf dafür hin, dass in Deutschland Frieden und Freiheit herrschen", sagte die CDU-Politikerin. "Deswegen darf es keinen Raum in dieser Gesellschaft geben, in dem diese Leistung totgeschwiegen und herabgewürdigt werden soll." Ein Sprecher des Ministeriums betonte, daß die Bundeswehr eine Parlamentsarmee sei und einen in der Verfassung verankerten Auftrag habe. In diesem Zusammenhang stünden auch Besuche von Jugendoffizieren und Karriereberatern an Schulen. Erstere kämen auf Einladung und erklärten im Klassenzimmer den Auftrag und die Aufgaben der Truppe. Getrennt davon informierten letztere über die Bundeswehr als Arbeitgeber. Die Einzelberatung finde dann aber außerhalb der Schulen statt, so die vorgehaltene Unterscheidung, als wisse eine Hand nicht, was die andere tut.

Wer die vage Hoffnung gehegt haben mochte, das sozialdemokratische Spitzenpersonal sei angesichts seiner aktuellen Rüstungsexportbremse für Saudi-Arabien oder der angekündigten Beschneidung bei der Aufstockung der Kriegskasse durch den Finanzminister doch nicht ganz immun gegen antimilitaristische Positionen, wird am Berliner Beispiel eines Schlechteren belehrt. Fast noch erboster als das unionsgeführte Verteidigungsministerium geißelten namhafte Repräsentanten der SPD ihre kommunalpolitischen Genossinnen und Genossen in der Hauptstadt, als handle es sich um Nestbeschmutzer oder inkompetente Irrläufer. Nicht nur der eingangs zitierte Oppermann, auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil brach eine Lanze für die Jugendoffiziere, die keine Werbung machten und deshalb auch weiterhin sicherheitspolitische Diskussionen an den Schulen führen sollten.

Wolfgang Hellmich, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag, bemängelte gar, hinter dem Parteitagsbeschluß verberge sich "keine sozialdemokratische Haltung". Der Slogan "Werben fürs Sterben" sei "schlicht falsch". Die Berliner SPD habe noch "viel Arbeit vor sich". Nach Auffassung des SPD-Bundestagsabgeordneten Karl-Heinz Brunner zeigt die Entscheidung, "wie weit leider Teile unserer SPD sich von der Realität entfernt haben". Der Vorschlag seiner Berliner Parteifreunde zeuge "nur von Unkenntnis" und sei ein ganz schlechter Aprilscherz. Thomas Hitschler, ebenfalls Mitglied des Verteidigungsausschusses, betonte, die Bundeswehr habe ihren festen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft. "Uns muss daran gelegen sein, dass das so bleibt." Und der Neuköllner SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Felgentreu attestiert dem Beschluß "mangelndem Sachverstand". "Jugendoffiziere machen eine tolle Arbeit, an Schulen diskutieren sie mit Jugendlichen über den Verfassungsauftrag der Bundeswehr. Das ist eben keine Werbung, sondern politische Bildung zum Anfassen - und darf nicht infrage gestellt werden."

Die Planungen des Verteidigungsministeriums sehen vor, daß die Truppenstärke bis 2024 auf 198.000 Soldatinnen und Soldaten sowie 61.400 zivile Beschäftigte steigen soll. Dafür ist ein Zuwachs um rund 12.000 Zeit- und Berufssoldaten, 1000 Reservisten und 5000 zivile Mitarbeiter erforderlich. Da regelmäßig Zeitsoldaten ausscheiden, müssen jedes Jahr etwa 25.000 Menschen neu eingestellt werden, um den Weggang auszugleichen und die Wachstumsvorgaben einzuhalten. Für eine gute Auswahl sind jährlich 100.000 Bewerbungen erforderlich, viel mehr als derzeit eingehen, da die Gesamtzahl freiwilliger Bewerber nach Angaben des Verteidigungsministeriums sogar rückläufig ist.

Unter den zahlreichen Maßnahmen, die mit bislang eher mäßigem Erfolg gegen die Rekrutierungslücke ins Feld geführt werden, nimmt die Anwerbung Jugendlicher eine zentrale Rolle ein. Die Bundeswehr müsse sich bemühen, "auf das Radar der jungen Leute" zu kommen. Dafür sei "zielgruppengerechte Werbung" notwendig. Sie gibt viel Geld dafür aus und wirbt auf YouTube, Twitter, Facebook, Instagram, Snapchat und der weltgrößten Computerspielemesse Gamescom in Köln um Nachwuchs, nur bei der Internetkonferenz re:publica, die im Mai 2018 in Berlin Station machte, wurde ihr die Präsenz verwehrt. Die Gründer der Konferenz stellten klar, daß sie keine Uniformen auf dem Gelände und auch keinen Stand haben wollten, auf dem die Bundeswehr für sich wirbt und Rekrutierungsarbeit leistet. Sie stünden für eine lebenswerte digitale Gesellschaft und nicht für eine Militarisierung des Internets.

Der Zorn der SPD-Granden aus dem verteidigungspolitischen Lager ist verständlich, rühren doch die eigenen Parteigenossen in Berlin an dem auch von der Sozialdemokratie offensiv ins Feld geführten Konsens, daß die Bundeswehr ein wünschenswerter Teil der politischen Bildung an den Schulen sei, an dem nur realitätsferne und inkompetente Kleingeister Anstoß nehmen könnten. Die gezielte Diskreditierung des Landesparteitags ist ein Schuß vor den Bug abweichender Meinungen in der eigenen Partei wie auch ein klares Signal an die Öffentlichkeit, daß mit der SPD deutsche Militarisierung und Hegemonialpolitik allemal zu machen ist.


Fußnoten:

[1] www.berliner-zeitung.de/berlin/verbot-von-soldatenbesuchen-an-schulen--massive-kritik-an-berliner-spd-beschluss--32310412

[2] www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/spd-berlin-will-bundeswehr-aus-schulen-ausschliessen-a-1260611.html

[3] www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/bundeswehr-an-schulen-die-linke-kritisiert-werbung-fuer-soldaten-jobs-a-1209523.html

[4] www.taz.de/!5582140/

2. April 2019


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