Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


KRIEG/1705: Ankara - doppelzüngige Geschäftspolitik ... (SB)



Die Kriegsbegeisterung der deutschen Bevölkerung hält sich aus verschiedenen - teils historischen, teils aktuellen Gründen - in Grenzen. Wenngleich die Friedensbewegung zu einem marginalen Sprengsel geschrumpft ist, kommt die fortschreitende Militarisierung und Kriegsbeteiligung Deutschlands nicht ohne unablässige Täuschungsmanöver, Winkelzüge und eine gehörige Portion Fingerspitzengefühl im Umgang mit der sogenannten öffentlichen Meinung aus. Von der Ahnung vieler Menschen ganz abgesehen, daß dieses Land im Falle eines dritten Weltkriegs abermals das zentrale Schlachtfeld würde, bei dem Millionen Opfer zu beklagen wären und kein Stein auf dem andern bliebe, vermag selbst das lauschende Ohr der einschlägigen Dienste und politischen Wetterfrösche nicht vorherzusagen, wann, wo und wodurch sich plötzlich Widerstand zumindest gegen bestimmte Segmente von Aufrüstung, Waffengeschäften und Kriegsführung Bahn bricht.

Viel steht auf dem Spiel. Union und SPD haben sich im Koalitionsvertrag auf das wahnwitzige Ziel verpflichtet, die Verteidigungsausgaben bis 2024 auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Das wäre grob geschätzt ein Mehrbedarf zwischen 30 und 35 Milliarden Euro, die im wesentlichen dem Sozialhaushalt entzogen werden müßten. Welche verheerenden Folgen das für die Lebensverhältnisse erheblicher Teile der Bevölkerung hätte, darf den Menschen nicht zu Bewußtsein kommen. Zudem gründet das deutsche Wirtschaftswachstum auf einer Exportoffensive, die zu einem nicht unmaßgeblichen Teil von Rüstungsausfuhren befeuert wird. Krieg ist und bleibt ein Machtmittel und Geschäft, das den Rang der Bundesrepublik in der Welt und den hiesigen Lebensstandard als wesentliches Instrument zur Befriedung potentiellen Aufbegehrens gegen die herrschenden Verhältnisse befördert.

Da die vorige Bundesregierung für Rüstungsexporte in die Türkei und nach Saudi-Arabien viel Kritik einstecken mußte, hält sich das neue Kabinett nach außen hin vorerst zurück. Die neue Bundesregierung hat in den ersten Wochen ihrer Amtszeit kaum noch Rüstungsexporte in die beiden kriegführenden Länder genehmigt. So wurde zwischen dem 14. März und dem 20. April nur jeweils eine Ausfuhrgenehmigung erteilt, die für die Türkei einen Wert von 1926 Euro und für Saudi-Arabien 28.563 Euro hatte. Hingegen lagen die Durchschnittswerte für einen gleichlangen Zeitraum im Jahr 2017 bei 3,3 Millionen (Türkei) und 24,5 Millionen Euro (Saudi-Arabien). Die Türkei ist zwar NATO-Partner Deutschlands, doch hat die ohnehin schon massive Kritik an Rüstungsexporten in das von Recep Tayyip Erdogan mit harter Hand regierte Land seit dem Angriff türkischer Truppen auf den überwiegend kurdischen Kanton Afrin in Syrien noch einmal zugenommen. [1]

Seit dem Putschversuch 2017 gilt nach Angaben des Wirtschaftsministeriums für Rüstungsgeschäfte mit Ankara eine "restriktive und vertiefte Einzelfallprüfung". Nach dem Einmarsch türkischer Truppen in Syrien Anfang dieses Jahres stellte die Bundesregierung einen größeren Rüstungsauftrag aus der Türkei zurück. Damals sollte der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall türkische Leopard-Panzer modernisieren. [2] Doch während dieses in der Öffentlichkeit wahrgenommene und monierte Vorhaben zunächst gebremst wurde, gehen die Waffenlieferungen an anderer Stelle ungehindert weiter. Bundeskanzlerin Angela Merkel rang sich zwar in ihrer Regierungserklärung zu der Aussage durch, daß es bei "allen berechtigten Sicherheitsinteressen der Türkei" inakzeptabel sei, "was in Afrin passiert". Doch ungeachtet dieser Einschätzung genehmigte die Bundesregierung weiter Rüstungsexporte an die direkte Konfliktpartei Türkei. Dabei handelt sich unter anderem um Munition, Feuerleitanlagen - also Technologien zur Verbesserung der Zielgenauigkeit von Waffensystemen -, militärische Luftfahrzeuge, Software und Materialien zur Herstellung von bestimmten Rüstungsgütern. [3]

Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat die Verhältnismäßigkeit der "Operation Olivenzweig" klar bezweifelt, selbst die Fraktionen von Union und SPD nannten den Einsatz völkerrechtswidrig. Dennoch sieht sich die Bundesregierung nicht in der Lage, eine völkerrechtliche Bewertung des türkischen Einmarsches in Afrin vorzunehmen. In der Antwort des Auswärtigen Amtes auf eine kleine Anfrage der Linkspartei hieß es: "Zur Selbstverteidigungslage, in der die Türkei sich nach ihrer Auffassung befand, liegen der Bundesregierung keine vollständigen Tatsacheninformationen vor, die eine eigene völkerrechtliche Bewertung erlauben würden." Die Gründe für das Zögern der Bundesregierung liegen auf der Hand. Würde der türkische Einmarsch als völkerrechtswidrig eingestuft, müßten deutsche Waffenlieferungen an die Türkei als Mittäterschaft und Beihilfe zum Angriffskrieg bewertet werden.

Wie aktuell aus einer Antwort auf eine kleine Anfrage der stellvertretenden Vorsitzenden der Linksfraktion Sevim Dagdelen hervorgeht, läßt die Bundesregierung auch die Lieferung von Teilen für U-Boote in die Türkei weiterhin zu. Demnach sind 2017 unter anderem Druckmeßgeräte, Kabel für ein Lebensrettungssystem und Teile für Unterwasser-Ortungsgeräte sowie Echolot-Anlagen genehmigt worden. 2009 hatte die Bundesregierung dem Unternehmen ThyssenKrupp Marine Systems eine sogenannte Herstellungsgenehmigung für sechs Jagd-U-Boote der Klasse 214 erteilt. Sie werden in Zusammenarbeit mit einem Unternehmen vor Ort in der Türkei montiert. Die Bundesregierung hat dafür 2011 Exportgarantien im Wert von knapp 2,5 Milliarden Euro übernommen. In den Jahren 2015, 2016 und 2017 begannen die Firmen mit dem Bau jeweils eines U-Bootes. [4]

Wie Dagdelen kritisierte, erlaube die Bundesregierung den Export von U-Booten in eine Krisenregion: "Die aus Deutschland exportierten Kriegswaffen, die in der Türkei zusammengebaut werden, sind als Jagd-U-Boote nahezu perfekt als Offensiv-Waffen für die türkische Aggressionspolitik im Mittelmeer geeignet." Die Türkei und Griechenland streiten sich in der Ägäis um die unbewohnten Felseninseln Imia. Der Grenzverlauf ist bedeutend für die Bestimmung der Hoheitsgewässer in der Region und mithin dafür, wer dort Bodenschätze fördern kann. Im Februar rammte ein Schiff der türkischen Küstenwache ein griechisches Patrouillenboot, auch in der Luft kommt es zu Konfrontationen. Meist dringen türkische Kampfflugzeuge in Gebiete ein, die Griechenland beansprucht. [5] Zudem verhindert die türkische Kriegsmarine wirtschaftliche Aktivitäten in den Hoheitsgewässern Zyperns.

Es steht zu vermuten, daß ThyssenKrupp Marine Systems auch deshalb in der Türkei U-Boote bauen will, um ohne Beschränkungen wie in Deutschland weltweit exportieren zu können. Dieses Vorgehen folgt dem Modell des Aufbaus einer Panzerfabrik in der Türkei durch die Rüstungsschmiede Rheinmetall. Dabei räumt selbst die Bundesregierung ein, daß damit ein erheblicher Technologietransfer in die Türkei verbunden ist. [6] Ein weiteres Beispiel für das Zusammenspiel von Regierung und Rüstungsschmieden betrifft Saudi-Arabien, das eine Allianz von acht Ländern anführt, die im Jemen gegen die schiitischen Huthi-Rebellen kämpft. Union und SPD hatten sich in den Koalitionsverhandlungen auf einen Exportstopp für alle Länder verständigt, die "unmittelbar" am Jemen-Krieg beteiligt sind. Es wurde jedoch ein Bestandsschutz für bereits erteilte Vorgenehmigungen in den Koalitionsvertrag eingebaut, so daß endgültige Ausfuhrgenehmigungen immer noch möglich sind.

Dem Arsenal der Rüstungskonzerne und der deutschen Regierungspolitik, allen völkerrechtlichen Hemmnissen und der Stimmung in der Bevölkerung zum Trotz Waffen auch an die Türkei und in andere Kriegsgebiete zu liefern, sind offenbar keine Grenzen gesetzt. Wo scheinbar eingelenkt und der Rüstungsexport eingefroren wird, handelt es sich lediglich um einen befristeten taktischen Rückzug, mit dessen Hilfe aufkeimender Protest abgewettert werden soll, während hinterrücks und an anderer Stelle ohnehin weiter geliefert wird. Die strategische Offensive stets vor Augen, ist im politischen wie wirtschaftlichen Kalkül eine doppelzüngige Geschäftspolitik gefragt.


Fußnoten:

[1] www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kaum-noch-ruestungsexporte-in-die-tuerkei-und-nach-saudi-arabien-15577828.html

[2] www.deutschlandfunk.de/ruestungsexporte-tuerkei-bekommt-u-boot-teile.1939.de.html

[3] www.tagesschau.de/ausland/afrin-ruestungsexporte-101~_origin-2e0b8aee-1808-4f63-96e4-cd8008007770.html

[4] rp-online.de/politik/deutschland/deutschland-liefert-weiter-u-boot-teile-an-die-tuerkei_aid-22518147

[5] www.faz.net/aktuell/politik/inland/deutschland-genehmigt-u-boote-fuer-die-tuerkei-15579758.html

[6] www.tagesschau.de/inland/ruestungsdeal-uboote-tuerkei-101.html

10. Mai 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang