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KRIEG/1665: Erlöse uns aus der Krise - Trommeln für den großen Krieg (SB)



Wohl wissend, daß die Eskalation auf dem Schlachtfeld Syrien in einen Dritten Weltkrieg zu münden droht, schrecken deutsche Eliten nicht länger davor zurück, ihre geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen gegen Rußland und zunehmend auch gegen die USA durchzusetzen. In aller Offenheit schlagen Politiker der Regierungskoalition und journalistische Kriegstreiber der Leitmedien die Kriegstrommeln. Nicht als Gefolgsleute der US-Regierung, die den Konflikt ebenfalls befeuert, sondern mit einem Vormachtanspruch des europäischen Imperialismus unter deutscher Führung werfen sie Washington Versagen beim unverzichtbaren Versuch vor, "Putin" endlich das Handwerk zu legen.

Da die syrische Armee mit russischer Unterstützung im Osten Aleppos vorrückt und die vom Westen protegierten islamistischen Milizen an den Rand einer Niederlage gebracht hat, fordern deutsche Politiker und Medienvertreter verschärfte Sanktionen gegen Rußland, eine Aufrüstung der islamistischen Opposition, ja selbst den Einsatz deutscher Bodentruppen in Syrien. In der aktuellen Ausgabe der Zeit erklärt Andrea Böhm unter der Überschrift "Kann Europa in Syrien wirklich nur zuschauen?", dieser Krieg müsse "als oberstes nationales Sicherheitsinteresse verstanden werden". Und Tomas Avenarius hält in einem Leitartikel der Süddeutschen Zeitung den USA vor, sie seien nicht in der Lage, "in Syrien eine russische Niederlage" zu garantieren. "Dank früherer Zögerlichkeit" habe Washington "keine Möglichkeit mehr", die Zementierung des russischen Machtanspruchs "zu verhindern". [1]

In einer Rede in Magdeburg mahnte Angela Merkel "den Abzug russischer Truppen" aus Syrien an. "Ich kann auch hier nur an Russland appellieren, Russland hat viel Einfluss auf Assad: Wir müssen dieses grauenhafte Verbrechen so schnell wie möglich beenden", erklärte die Bundeskanzlerin. Was damit im einzelnen gemeint sein könnte, deutete Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin mit den Worten an, die Bundesregierung habe "Verständnis dafür, dass über alle Optionen nachgedacht wird", und halte neue Sanktionen gegen Rußland für möglich.

Noch deutlicher wurde der Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments, Elmar Brok (CDU). Er beließ es im ARD-Morgenmagazin nicht beim Ruf nach Sanktionen, um Rußland "unter Druck [zu] setzen" und zu "bestrafen", sondern dachte laut über den Einsatz deutscher Bodentruppen nach: "Die einzige Möglichkeit etwas zu tun wäre hineinzugehen. [...] Sind wir bereit selbst etwas zu machen und mit der Bundeswehr hineinzugehen?" Als ersten Schritt schlägt Brok effektivere Waffen für die Milizen vor: "Vielleicht ist die einzige Möglichkeit, [...] einigen der Rebellen [...] Boden-Luft-Raketen zur Verfügung zu stellen."

Eben das fordert auch der inzwischen als Dauergast im Deutschlandfunk präsente Sprecher des Syrischen Nationalrats in Deutschland, Sadiqu al-Mousllie. Man müsse endlich einen Schritt weitergehen und den Menschen in Syrien qualitativ helfen. "Und qualitativ heißt nicht nur humanitär", so al-Mousllie. Diese Entscheidung brauche Mut, aber "Putin-Russland" verstehe es nicht anders. Indem er eine qualitativ hochwertige Bewaffnung der Rebellen verhindere, leiste der Westen zur Zeit Rußland und dem Regime in Syrien stillschweigend Unterstützung: "Und wenn man nicht dagegen arbeitet, dann leistet man hier Beihilfe zum Mord einer Zivilbevölkerung in Syrien." [2]

Man müsse die Freie Syrische Armee mit Luftabwehrraketen versorgen, so daß "die Russen merken, dass die nicht die alleinige Luftherrschaft haben". Die Amerikaner stünden vor verschlossener Tür, da "die russische Mentalität die gleiche wie die Mentalität von Assad und seinen Gehilfen" sei. Trete man ihr nicht mit Stärke entgegen, sei sie an keiner politischen Lösung interessiert. Die skeptische Frage der Moderatorin, welche Gruppierung man da eigentlich mit Raketen beliefern wolle, wischt al-Mousllie vom Tisch: Für Assad und die Russen sei jeder Oppositionelle ein Terrorist. Dabei könnten doch die europäischen und amerikanischen Geheimdienste "wunderbar abwehren, indem sie koordiniert auf dem Boden der Tatsachen arbeiten", daß auch "Terroristen oder extremistische Gruppierungen mit bewaffnet" würden. Selbst die Warnung seiner Gesprächspartnerin, daß man auf diese Weise einen Stellvertreterkrieg befeuere, der automatisch zum Krieg mit Rußland führe, will der in Deutschland lebende syrische Arzt nicht gelten lassen. Der Westen habe einfach nur Angst, arbeite auf der Linie des Assad-Regimes, unterstütze damit die Politik Putins, "und das darf nicht sein"!

Für die Aufrüstung der islamistischen Milizen begeistern sich auch Schreibtischtäterinnen wie Böhm, die kein Problem darin erkennen kann, "die Al-Kaida-nahe Dschabhat Fatah al-Scham" mit Luftabwehrraketen auszurüsten. Schließlich sei diese Miliz "so stark wie nie zuvor" und habe "sich als effektivste Fraktion etabliert, die Zivilisten gegen den IS und gegen Assad verteidigt". Um zu dieser Auffassung zu gelangen, muß man schon die von unterschiedlichen Quellen bestätigten Fakten in den Wind schlagen, daß die islamistische Miliz im Osten Aleppos die Zivilbevölkerung keineswegs schützt, sondern sie im Gegenteil gewaltsam an der Flucht hindert und als menschliche Schutzschilde abschlachten läßt.

Solche Skrupel sind auch Avenarius fern, der seinerseits fordert, "den Rebellen nach Jahren der Zurückhaltung nun die Waffen zu liefern, nach denen sie seit langem rufen: Luftabwehrraketen, welche die russischen Jets vom Himmel holen können. Im Afghanistankrieg vor 30 Jahren haben solche US-Geschosse den Gotteskriegern geholfen, der Roten Armee eine Niederlage zuzufügen". Was hat der kriegslüsterne Kommentator der Süddeutschen aus der Geschichte gelernt? Offenbar nicht, daß die damalige Aufrüstung der Mudschaheddin als Keimzelle des Dschihad eben jene Eskalation losgetreten hat, die heute in diversen wiederum vom Westen und den mit ihm verbündeten Golfstaaten unterstützten Milizen bis hin zum IS ihr reaktionäres Unwesen treibt!

Daß diese Kriegstiraden keineswegs überspannte Einzelstimmen sind, sondern dem seit längerem vorgedachten Entwurf des Regimewechsels in Syrien zur letztendlichen Durchsetzung verhelfen wollen, belegt das Projekt "The Day After", mit dem das deutsche Außenministerium gemeinsam mit der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und Teilen der syrischen Opposition bereits im Jahr 2012 die "Vision für eine Nach-Assad-Ordnung" erarbeitet hat. Wenn der sozialdemokratische Außenminister Frank-Walter Steinmeier nun eine Flugverbotszone über Syrien fordert, ist ihm jene tendenzielle Zurückhaltung fern, die Guido Westerwelle im Falle Libyens heftigste Anwürfe eingebracht hat. Am Bombenkrieg der NATO zum Sturz des Gaddafi-Regimes durch vom Westen unterstützte islamistische Rebellen war die Bundeswehr nur in den Stäben beteiligt.

Das soll in Syrien anders werden. Seit Ende 2015 ist die Bundesrepublik mit Tornados, Aufklärungstechnik und einem Kriegsschiff direkte Kriegspartei, was aus Perspektive deutschen Führungsanspruchs nur das Vorspiel einer massiven Intervention sein kann. Wo die Amerikaner Schwäche zeigen, springen die Deutschen in die Bresche, wie es in den Strategiepapieren "Neue Macht. Neue Verantwortung" (2013) und im "Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr" (2016) schwarz auf weiß nachzulesen ist. Eine waffenstarrende Eskalation, die sehenden Auges den nächsten Weltkrieg riskiert, entspringt offensichtlich der expansionistischen Ratio ökonomischen Wachstums und unverzichtbarer militärischer Stärke. Warum deutsche Eliten zu dem Schluß kommen, ein großer Krieg sei die einzige und letztgültige Antwort auf alle Krisen, die sich immer schwerer auf andere abwälzen lassen, wirft jedoch Fragen auf, die nicht bei einer Pathologie deutschen Führungspersonals enden können.


Fußnoten:

[1] https://www.wsws.org/de/articles/2016/10/08/bund-o08.html

[2] http://www.deutschlandfunk.de/syrien-politik-aufruestung-der-rebellen-als-einziger-weg.694.de.html?

9. Oktober 2016


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