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KRIEG/1658: Bundeswehr an der Heimatfront - Ausnahmen untergraben die Regel (SB)



Wenn Polizei und Bundeswehr wie angekündigt im November erstmals die Zusammenarbeit im Terrorfall üben, schlägt dies eine weitere Bresche in die verfassungsrechtlichen und politischen Hürden, die einem Einsatz der Streitkräfte im Inneren entgegenstehen. Ob schleichend oder in Sprüngen, doch mit unablässigem Raumgewinn in der Realität der deutschen Gesellschaft wird der Ausnahmezustand zum Regelfall eines Krisenmanagements, das unterhalb der Schwelle des offiziell erklärten Kriegsrechts greift und zugleich dessen künftige Verhängung über den Horizont hebt. Da die Bundeswehr vom Grundsatz her für die Landesverteidigung nach außen vorgesehen, die Polizei für das Inland zuständig ist, konzentriert sich die Militarisierung der Innenpolitik auf die verfassungsrechtlich beschriebenen Ausnahmen und definiert diese Zug um Zug neu.

Zu diesem Zweck haben Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen das Szenario von gleichzeitigen Anschlägen in mehreren Bundesländern entworfen, bei denen unter anderem ein Flughafen und ein Bahnhof angegriffen werden. Die Polizei stößt an die Grenzen ihrer Einsatzfähigkeit und bittet die Bundeswehr um Hilfe, die daraufhin mit einer Hundertschaft Feldjäger den sogenannten Raumschutz, also beispielsweise die Sicherung von Straßen und Gebäuden, übernimmt. [1] Wie man unschwer erkennen kann, werden mit diesem Ansatz die Diskussionen der vergangenen Wochen nach den Anschlägen von München und Ansbach brachial in die Tat umgesetzt.

Bekanntlich sind die Ausnahmen von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik so alt wie das Grundgesetz, diente dieses doch insbesondere dem Zweck, eine parlamentarische Demokratie auf Grundlage der herrschenden Besitzverhältnisse und somit einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu etablieren. Folglich enden Freiheit und Demokratie zwangsläufig dort, wo dieser Besitzstand wie auch dessen Mehrung und Fortschreibung gefährdet scheinen. Aufgrund der Erfahrungen aus der Weimarer Republik und der damaligen Ausnahmegesetzgebung (Notverordnung) erhoben sich in der Bundesrepublik allerdings zunächst schwerwiegende Bedenken gegen die Einfügung entsprechender Bestimmungen in das Grundgesetz. Daher verzichtete der Parlamentarische Rat, der 1948/49 in Bonn das Grundgesetz erarbeitete, auf eine umfassende Regelung des Notstands, was aufgrund der Vorbehaltsrechte der alliierten Besatzungsmächte ohnehin kaum möglich gewesen wäre. Das GG sah in der Fassung von 1949 jedoch zur "Verteidigung der freiheitlichen Demokratie" den Gesetzesnotstand, die Verwirkung von Grundrechten und das Verbot von verfassungswidrigen Organisationen und Parteien vor.

Mit den Notstandsgesetzen führte die große Koalition (CDU/CSU/SPD) 1968 die einschneidendste Verfassungsänderung seit Entstehung des Grundgesetzes herbei, da sie die Struktur der Parlamentarischen Demokratie durch Kompetenzerweiterung der Exekutiven und Bedeutungsminderung des Parlaments veränderten. Sie bewirken im Verteidigungsfall, bei inneren Unruhen und Naturkatastrophen erhebliche Einschränkungen der Grundrechte, die Übertragung der Funktionen von Bundestag und Bundesrat auf den Gemeinsamen Ausschuß, eine Stärkung der Stellung der Bundesregierung und nicht zuletzt die Möglichkeit, die Bundeswehr auch bei inneren Unruhen einzusetzen. Was den Einsatz der Bundeswehr betrifft (Art. 35, Abs. 2, 3, Art. 87a, Art. 91), wird diese durch die Notstandsgesetze auch zu einem innenpolitischen Machtinstrument. Der Einsatz der Streitkräfte ist allerdings nur zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes erlaubt, wenn Polizei und Bundesgrenzschutz nicht ausreichen und organisierte und bewaffnete Aufständische auftreten. [2]

Die rot-grüne Bundesregierung brachte zu Zeiten des Innenministers Otto Schily das Luftsicherheitsgesetz auf den Weg, das die Rechtsgrundlage dafür schaffen sollte, daß entführte Flugzeuge, die offensichtlich zum Zwecke eines Terroranschlages eingesetzt werden, im Notfall samt Besatzung und Passagieren von der Bundeswehr abgeschossen werden dürfen. Dieses Gesetz wurde jedoch vom Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts im Februar 2006 in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt. Dabei urteilten die Richter, daß die Bundeswehr bei Einsätzen im Inneren keinesfalls militärische Kampfmittel einsetzen dürfe. [3]

Doch auch dieses Verdikt hielt nicht lange stand. Ein weiteres Einfallstor für den Bundeswehreinsatz im Inland öffnete die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom August 2012, das damit der seit langem von Sicherheitspolitikern insbesondere der Unionsparteien erhobenen Forderung nach der Militarisierung der Inneren Sicherheit nachkam. Wenngleich die Richter verschiedene Bedingungen an den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Innern knüpften, war doch entscheidend, daß ihr Einsatz im Rahmen der Amtshilfe für die Polizeien der Länder nicht mehr prinzipiell auf polizeiähnliche Waffen beschränkt blieb. Seither kann das gesamte Arsenal des Militärs wie Panzer, Raketen, Kanonen, Kampfhubschrauber oder Drohnen auch innerhalb der Bundesrepublik zum Einsatz kommen. [4]

Zwar bezog sich das Urteil auf eng umgrenzte Fälle und schloß beispielsweise die Anwendung auf politische Demonstrationen aus, doch folgte es wiederum der immanenten Logik dieses Prozesses, stets von Ausnahmen zu sprechen, während durch deren fortgesetzte Erweiterung längst das für felsenfest erklärte Fundament untergraben ist. Wird der Tabubruch eines nunmehr möglichen Einsatzes der Bundeswehr im Inneren auch mit militärischen Mitteln auf "Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes" beschränkt, wirft dieser Sprachgebrauch zwangsläufig die Frage auf, was genau darunter zu verstehen sei.

Von der Gründung der Bundesrepublik, die 1949 zunächst ohne Armee entstand, über das Urteil des Verfassungsgerichts von 1956, das im Zuge der Wiederbewaffnung klarstellte, daß eine Befugnis zum Einsatz der Streitkräfte im Inneren selbst in Fällen des Notstandes nicht gegeben ist, bis zu den Notstandsgesetzen und weit darüber hinaus war es angesichts der deutschen Geschichte natürlich ein langer Weg, die Militarisierung der Außen- und Innenpolitik voranzutreiben. So handelte der damalige Hamburger Innensenator und spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt ohne Rückendeckung durch das Grundgesetz, als er bei der verheerenden Sturmflut im Jahre 1962 die Bundeswehr zu Hilfe rief. Dieser pragmatische Rechtsbruch galt in der historischen Rückschau als legendär, was ihm den Charakter einer Blaupause für die Akzeptanz von Bundeswehreinsätzen im Inneren unter der Bevölkerung verlieh.

Nicht umsonst werden seither gern Katastrophen zitiert, um des Bürgers Argwohn vor Soldatenstiefeln im öffentlichen Raum zu beschwichtigen. So wurde die Militarisierung des Zivil- und Katastrophenschutzes seit geraumer Zeit vorangetrieben und im aktuell vom Kabinett verabschiedeten Zivilschutzkonzept präzisiert. Hinzu gesellt sich die Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ), der Aufbau Regionaler Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) durch Reservisten der Bundeswehr und andere Formen des sogenannten Heimatschutzes. [5] Wenn nun mit der gemeinsamen Übung von Polizei und Bundeswehr im Terrorfall nachgelegt wird, entufert die Vielzahl avisierter Gefahren zu einem Bedrohungsszenario, angesichts dessen die Grenzen zwischen ziviler und militärischer Reaktion zusehends verschwimmen.

Wer der Bundesregierung in der aktuellen Kontroverse lediglich vorhält, sie male aus wahltaktischen Gründen Horrorszenarien an die Wand, um die Bevölkerung zu verunsichern, banalisiert die Palette in Stellung gebrachter Entwürfe zu einem Kanon angeblich längst überfälliger administrativer Vorgänge, die endlich abgearbeitet würden, und verschließt die Augen vor der Brisanz und strategischen Tragweite dieser Militarisierung der Inneren Sicherheit.


Fußnoten:

[1] http://www.derwesten.de/politik/bundeswehr-und-polizei-ueben-fuer-terrorfall-aimp-id12144952.html

[2] http://www.abipur.de/referate/stat/658453183.html

[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/einsatz-der-bundeswehr-im-inneren-was-sich-mit-der-karlsruher-entscheidung-aendert-1.1443366

[4] http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Innere-Sicherheit/bverfg3.html

[5] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1655.html

29. August 2016


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