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KRIEG/1657: Schlachtfeld Syrien - Nur ein Schritt vor dem Weltkrieg (SB)



Die Propaganda, der Krieg in Syrien gehe auf das Konto des "Diktators" Baschar Al-Assad und eine Friedenslösung werde durch die aggressive Intervention Rußlands zugunsten des Regimes in Damaskus verhindert, könnte irreführender und gefährlicher nicht sein. An den syrischen Fronten drohen die Streitkräfte der beiden Atommächte USA und Rußland direkt aufeinanderzutreffen, wodurch der Stellvertreterkrieg - ob versehentlich, provozierend in Kauf genommen oder gezielt herbeigeführt - in einen globalen Waffengang mit verheerenden Folgen auch in Mitteleuropa münden könnte. Um dies zu verhindern, gilt es wie immer in internationalistischen Analysen und Konsequenzen, zuallererst den Feind zu identifizieren und ins Visier zu nehmen, der im eigenen Land steht.

Syrien galt bis 2010 als ein funktionierendes, wirtschaftlich relativ erfolgreiches Schwellenland, in dem Menschen mehrerer Ethnien und Religionen friedlich zusammenlebten. Im Wirtschaftsmodell der herrschenden Baath-Partei war der staatliche Sektor die tragende Säule, was aus Perspektive westlicher Staaten in Zeiten neoliberaler Deregulierung als sozialistischer Anachronismus diskreditiert wurde. Als Baschar Al-Assad 2001 die Nachfolge seines verstorbenen Vaters antrat, war er ein eher liberal denkender Erneuerer mit westlicher Bildung, der das ererbte Gefüge vorsichtig zu reformieren und modernisieren versuchte, ohne jedoch die eigene Machtposition aufzugeben.

Assads Bestreben, das eigene Land zu einer Drehscheibe des internationalen Ölhandels umzugestalten, löste Konflikte aus. Eine geplante Pipeline von den Golfemiraten durch Syrien bis in die Türkei scheiterte am Widerstand des Verbündeten Rußland. Das ersatzweise entwickelte Projekt einer Pipeline für iranisches Öl durch syrisches Territorium kollidierte mit den Interessen der Golfemirate und der USA. Hinzu kam ein Riß, der die syrische Bevölkerung zunehmend spaltete. Von der einsetzenden Modernisierung profitierten die städtische Bevölkerung wie auch Angehörige nationaler und religiöser Minderheiten, die eine Annäherung an den Westen anstrebten und die Regierung Assads als Hindernis betrachteten. Hingegen war die ländliche arabisch-sunnitische Bevölkerungsmehrheit von dem beginnenden wirtschaftlichen Aufschwung weitgehend ausgeschlossen und orientierte sich zunehmend an den Muslimbrüdern nahestehenden konservativen Kreisen. [1]

Dieser Gemengelage entsprang ein Konflikt, der zunächst durchaus den Charakter sozialer und demokratischer Kämpfe aufwies, jedoch binnen kurzem von fremden Interessen durchsetzt, überlagert und verdrängt wurde. Die ökonomische und militärische Expansion der Europäischen Union und der NATO mit dem Angriff auf den Irak 2003, dem Krieg gegen Libyen 2011 und dem Vormarsch bis an die russische Grenze machte Syrien zu einem Schlachtfeld, auf dem eines der letzten noch intakten Hindernisse fallen oder die Einkreisung Rußlands gestoppt würde. Neben Moskau fürchtet auch Peking die hegemonialen Bestrebungen der USA, da Washington zugleich den Kessel im pazifischen Raum immer enger schließt.

Sowohl Rußland als auch China kamen zu dem Schluß, daß sie keinen gewaltsamen Regimewechsel in Syrien dulden können und deshalb dort ihr Engagement verstärken müssen. Als die zunehmend von islamistischen Gruppierungen dominierte Front der Opposition gegen die Regierung in Damaskus endgültig die Oberhand zu gewinnen schien, leitete das Eingreifen Rußlands seit dem 30. September 2015 eine Wende ein. Wenngleich Washington und seine europäischen Verbündeten ihre Intervention als Kampf gegen islamistische Terrorgruppen ausweisen, verfolgen sie nach wie vor insbesondere das Ziel eines Regimewechsels. Angesichts dieser Konstellation häufen sich die vermeintlichen Widersprüche, beschleunigt sich der taktische Wechsel der Bündnispartner, wächst die Gefahr einer entufernden Eskalation. [2]

Wenn die CIA die Nusra-Front in Aleppo für den Kampf gegen Assads Truppen bewaffnet, während das Pentagon die Offensive der kurdischen YPG im Norden unterstützt, die sich mit einigen kleineren arabischstämmigen Milizen vereint und in Demokratische Kräfte Syriens umbenannt haben, weiß die rechte Hand durchaus, was die linke tut. Die Nusra-Front, ein Ableger von Al-Qaida, hat ihren Namen geändert, weil sie vorgeblich im Fadenkreuz der USA und tatsächlich in jenem Rußlands steht. Ihre ideologischen Ziele sind jedoch dieselben geblieben. Sie hat am wichtigsten Brennpunkt der Kämpfe zwischen dem Assad-Regime und seinen Gegnern das Kommando übernommen und sich während der letzten Waffenruhe über die Türkei mit modernsten Waffen versorgt, finanziert von Saudi-Arabien und Katar, produziert vor allem in Osteuropa. Auf diese Weise haben sich die Rebellen vor allem im Osten von Aleppo bis hin zu schwerer Artillerie ausgerüstet und ihre Kräfte dort konzentriert. Das geschieht mit Wissen und Unterstützung der USA, die sich zwar offiziell nur mit moderaten Fraktionen der Opposition verbünden, aber den Waffentransfer begünstigen.

Die taktische Zusammenarbeit der USA mit den YPG, die als Bodentruppen im Kampf gegen den IS unverzichtbar sind, und die bedeutenden Raumgewinne der Kurden riefen die türkische Invasion in Nordsyrien auf den Plan, da das Erdogan-Regime den Zusammenschluß der bislang noch getrennten Gebiete Rojavas um jeden Preis verhindern will. Unterdessen fürchtet Damaskus ein amerikanisches Marionettenregime im Norden des Landes und hat erstmals die YPG bombardiert, womit die bis dahin herrschende stillschweigende Waffenruhe gebrochen wurde. Da US-Spezialeinheiten gemeinsam mit kurdischen Milizen operieren, wäre es um ein Haar zur direkten militärischen Konfrontation zwischen den USA und Rußland gekommen. Pentagon-Sprecher Jeff Davis warnte das syrische Regime, nichts zu tun, was US-Spezialeinheiten in Syrien gefährden könnte. Man betrachte die Vorfälle als äußerst ernst und habe das inhärente Recht auf Verteidigung.

Von der internationalen Öffentlichkeit weniger beachtet hat Peking erstmals eine hochrangige Militärdelegation nach Damaskus entsandt. Dort wurde eine Ausweitung der Ausbildung und Unterstützung Chinas für die syrische Armee vereinbart. Militärberater konzentrieren sich auf die Unterweisung der syrischen Regierungstruppen an chinesischen Waffen, die aufgrund bereits abgeschlossener Verträge künftig verstärkt geliefert werden könnten. Diese neue Syrienpolitik Pekings dürfte eine Antwort auf den Versuch der USA darstellen, China zu isolieren, da chinesisches Militär erstmals im Nahen Osten Präsenz zeigt, der bislang als US-amerikanisches Einflußgebiet galt. Hinzu kommt offenbar auch der mutmaßlich von den USA unterstützte Putschversuch in der Türkei, der zu einer Annäherung Ankaras an Moskau und Damaskus führte, so daß sich die Konstellation in der Region zu ungunsten der NATO-Mächte zu verschieben scheint.

Die Bundesrepublik war mit dem BND, der ebenso wie die CIA und andere Geheimdienste der NATO im Gefolge des 11. September 2001 Folter auch an deutschen Staatsbürgern nach Syrien ausgelagert hatte, am angestrebten Regimewechsel in Damaskus durchgängig beteiligt. Hinzu kommt die Luftaufklärung der deutschen Tornados, die ihre Daten an militärische Operations- und Kontrollzentren liefern, in denen die USA gemeinsam mit der Türkei und Geheimdienstoffizieren aus Katar und Saudi-Arabien die Informationen verwerten und an die Rebellen weitergeben. [3] Von einer mittelbaren deutschen Kriegsbeteiligung in Syrien zu sprechen wäre daher fast schon ein Euphemismus.

Wenn deutsche Kommentatoren und Experten unter Krokodilstränen das unsägliche Leiden der syrischen Bevölkerung zitieren und die Syrienpolitik der Großmächte nach den Genfer Verhandlungen über eine Waffenruhe als Desaster abkanzeln, ist ein bellizistischer Impetus nicht weit. So meint Hans-Jürgen Maurus im Deutschlandfunk [4], jetzt räche sich, daß das Überschreiten der roten Linien, die man für das Assad-Regime gezogen habe, ohne "Konsequenzen für den Schlächter von Damaskus" geblieben seien. Die USA hätten zugesehen, wie Moskau das Ruder in Syrien übernahm. "Will man das Feld weiterhin den Schlächtern, den Mördern und Kriegsverbrechern überlassen?", mahnt Maurus unausgesprochen, aber unmißverständlich eine verschärfte militärische Intervention samt der Konfrontation mit den syrischen und damit auch russischen Truppen an.

Der Islamwissenschaftler und Nahost-Experte Udo Steinbach spricht im selben Sender von einer "schamvollen Rhetorik", derer sich die internationale Gemeinschaft auf dem Rücken der Syrer bediene. "Die Russen ziehen ihr Ding durch, der Westen steht auf der Seitenlinie und guckt zu." Aber eine Frage stehe im Raum: Was wäre passiert, "wenn die internationale Gemeinschaft, wenn die türkische Armee, wenn man klug militärisch interveniert hätte in den Jahren 2012, 2013? Wenn es der türkischen Armee so leicht gelingt, dort Fakten zu schaffen, dann wäre möglicherweise durch einen solchen klugen Militäreinsatz damals den Menschen in Syrien das Schicksal erspart geblieben, an dem sie leiden." [5]

Geht man davon aus, daß unter der künftigen US-Präsidentschaft ein noch schärferer Kurs gegenüber Damaskus und Moskau angelegt wird, steht eine militärische Eskalation in Syrien und weit darüber hinaus zu befürchten. Sich in den Bann der hegemonialen politischen Inszenierung des US-Wahlkampfs schlagen zu lassen, gliche dennoch einer Bankrotterklärung hinsichtlich der Konfrontation mit der deutschen Kriegsbeteiligung in Syrien, wie sie längst unter der Hand stattfindet und im offiziösen Diskurs der Nahostpolitik unverhohlen auf die Tagesordnung gesetzt wird.


Fußnoten:

[1] Karin Leukefeld, Syrien zwischen Schatten und Licht. Menschen erzählen von ihrem zerrissenen Land. Rotpunkt Verlag, Zürich 2016, 336 Seiten, 24 Euro

[2] https://www.wsws.org/de/articles/2016/08/23/kurd-a23.html

[3] http://www.deutschlandfunk.de/neue-allianzen-in-syrien-wen-wollen-wir*/-denn-jetzt.720.de.html

[4] http://www.deutschlandfunk.de/russland-und-usa-die-syrienpolitik-der-grossmaechte-ist-ein.720.de.html

[5] http://www.deutschlandfunk.de/erklaerung-von-lawrow-und-kerry-schamvolle-rhetorik-auf-dem.694.de.html

28. August 2016


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