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KRIEG/1629: Kalkül der Gewinner - Über alle Haltelinien hinweg ... (SB)




Wofür benötigt eine linke Partei rote Haltelinien? Um dem Sog der parlamentarischen Gravitation zu widerstehen, die politische Willensbildung an Mehrheiten zu orientieren, denen die inhaltliche Positionsbestimmung nachgeordnet wird. "Rote Haltelinien stärken unsere Glaubwürdigkeit"[1], schrieb Sahra Wagenknecht vor drei Jahren in einem Beitrag zur innerparteilichen Auseinandersetzung um mögliche Regierungsbeteiligungen. Nun, da erstmals mehrere Bundestagsabgeordnete für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr gestimmt haben, erweisen sich diese Haltelinien als das, was sie immer waren - ein defensives Manöver, mit dem der fast naturgesetzlichen Neigung parlamentarischer Partizipation, sich dem Konsens der Staatsräson zu unterwerfen, Einhalt geboten werden sollte.

Wer solche Haltelinien braucht, antizipiert die Haltlosigkeit der eigenen Position im Wissen um realpolitische Gewaltverhältnisse, denen nur zum Preis einer nicht nur parlamentarischen, sondern gesellschaftlichen Außenseiterstellung konsequent zu widerstehen ist. Unter dem Vorwand eines abrüstungspolitischen Sacharguments wird ohne Not ein zentrales Grundprinzip linker Politik geschliffen. Die Jasager in der Fraktion haben sich dafür entschieden, das Spannungsverhältnis zwischen partikulärer Sachfrage und universeller Programmatik als Treibriemen ihrer Ambition zu nutzen, mit eigener Kelle aus dem legitimatorischen Quell exekutiver Machtentfaltung zu schöpfen. Der für diesen Tribut an den deutschen Imperialismus in Aussicht gestellte Lohn ist ihnen sicher, ist die Verwandlung der Halte- in Bruchlinien linker Oppositionspolitik doch ein wertvoller Beitrag zur Restauration eines vom Nachhall historischer Schuld belasteten Souveränitätsprinzips, das in der Inanspruchnahme kriegerischer Gewaltanwendung den ultimativen Beweis staatlicher Handlungsfähigkeit führt.

So täuscht das Für und Wider der Entsendung eines Kriegsschiffes ins Mittelmeer zum Begleitschutz eines US-amerikanischen Spezialschiffes, auf dem syrische Chemiewaffen vernichtet werden sollen, über die ganze Tragweite des pluralistischen Abstimmungsverhaltens der Linksfraktion hinweg. Der Einsatz der Bundesmarine findet im weiteren Umkreis des geostrategischen Konflikts um die Ukraine statt, in dem Deutschland und die EU alle Register politischer und legalistischer Winkelzüge ziehen, die eigene Hegemonialsphäre zu Lasten Rußlands auszudehnen. Er wird beschlossen vor dem Hintergrund präsidialer und regierungsamtlicher Aufrufe zur Entfesselung des militärischen Handlungsvermögens deutscher Außenpolitik, das sein innenpolitisches Pendant in der Legalisierung exekutiver Notstandsvollmachten wie der beschleunigten Entscheidung zum Einsatz der Bundeswehr im Innern findet [2]. Er symbolisiert die Bereitschaft der Bundesrepublik, der Krise des Kapitalismus mit der tatkräftigen Durchsetzung ordnungspolitischer Maßnahmen überall dort entgegenzutreten, wo die stoffliche Basis globaler Wertschöpfung durch selbstbestimmte Formen der Daseinsvorsorge in Frage gestellt wird, die nicht im Sinne der Geschäftsordnung westlicher Metropolengesellschaften sind.

Die Linke stellt mithin nicht nur ihre Kernkompetenz, die verläßliche Positionierung gegen jegliche Form der Militarisierung politischer Entscheidungen, zur Disposition, um in Konkordanz mit deutschen Kapitalinteressen in der Staatenkonkurrenz zu obsiegen. Indem einige ihrer Bundestagsabgeordneten den propagierten Nutzen militärischer Interventionen anerkennen, heißen sie die Herrschaft der Paläste als letztinstanzliche Garantie des gesellschaftlichen Friedens gut. In diesen einen gutbehüteten und warmen Platz zu haben, und sei es nur im Vorzimmer mächtiger Akteure, hat zweifellos zahlreiche Vorteile. Umso wichtiger ist es, draußen vor der Tür zu erkennen, daß das verführerische Angebot, sich auf die Seite der gesellschaftlichen Gewinner zu schlagen, die Bereitschaft voraussetzt, den im Ernstfall bis aufs Blut geführten Kampf um den eigenen Vorteil in der gebotenen Rücksichtslosigkeit gegenüber den Schwachen und Verlorenen auszutragen.


Fußnoten:

[1] http://www.die-linke.de/politik/disput/archiv/detail/archiv/2011/februar/browse/2/zurueck/archiv-1/artikel/rote-haltelinien-staerken-unsere-glaubwuerdigkeit/

[2] http://www.mdr.de/nachrichten/flugzeuge-terror100_zc-e9a9d57e_zs-6c4417e7.html

9. April 2014