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KRIEG/1600: Globales Waffenhandelsabkommen gescheitert - Schuldfrage geklärt (SB)




Der westlichen Welt, obzwar nur eine Minderheit der Menschheit, so doch dank überlegener Waffengewalt die Geißel zahlloser Geschicke, ist eine österliche Friedensbotschaft entgangen. Wie schon im Juli letzten Jahres sind die UN-Verhandlungen über das erste globale Waffenhandelsabkommen gescheitert. Die Schuldigen sind umgehend ausgemacht, zumal es sich um die üblichen Verdächtigen handelt. Nach neuntägigen Mammutsitzungen hatten sich 190 der 193 Mitgliedsstaaten auf einen Kompromißentwurf zum Waffenhandelsvertrag (Arms Trade Treaty) geeinigt. Doch der Iran, Syrien und Nordkorea stellten sich quer, womit die erforderliche Einstimmigkeit nicht erreicht werden konnte.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bezeichnete das Treffen daraufhin als gescheitert und zeigte sich tief enttäuscht. "Dank der unermüdlichen Arbeit und Kompromissbereitschaft unter den Mitgliedsstaaten war ein Vertrag in greifbarer Nähe", klagte Ban. Der mehrfach überarbeitete Entwurfstext, der für alle konventionellen Waffen vom Kampfjet bis zur Maschinenpistole gelten sollte, sei schließlich ausbalanciert gewesen. [1] Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle kritisierte die ablehnende Haltung Syriens, Nordkoreas und des Irans. Es sei "in hohem Maße bedauerlich, dass nur drei Staaten gestern nach langen und auch schwierigen Verhandlungen einen Konsens für einen globalen Waffenhandelsvertrag vereitelt haben". [2]

Die harscheste Kritik übten Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen. Diese Blockade sei "unverschämt", erklärte der Vertreter von Amnesty International, Brian Wood. "Länder wie Iran, Syrien und Nordkorea sollten dem Rest der Welt nicht diktieren, wie der internationale Waffenhandel reguliert werden soll", erklärte die Rüstungsexpertin Anna Macdonald von Oxfam. Drei Länder hätten alle anderen Länder als "Geisel" genommen. [3] Offenbar haben diese NGOs kein Problem damit, daß die Einwände von drei Staaten vorgebracht werden, die unter einschneidenden Sanktionen leiden und im Falle Syriens von einem Krieg heimgesucht werden, in dem der Westen den Regimewechsel durch massive Unterstützung der Aufständischen betreibt.

Hört man sich die Begründung der drei Ablehnungen an, kann von Anmaßung oder Provokation keine Rede sein. Wie Syriens UN-Botschafter, Baschar Ja'afari, erklärte, seien nationale Bedenken seines Landes unglücklicherweise nicht berücksichtigt worden. Der Vertrag müsse präzisere Aussagen zu möglichen Waffenlieferungen an "Terroristen" und "nichtstaatliche Gruppen" beinhalten. Irans UN-Botschafter Mohammed Chasaee beklagte, daß das "Recht eines Staates auf Selbstverteidigung, die Abwehr von Aggressionen und die Wahrung der territorialen Integrität" nicht betont werde. Nordkoreas stellvertretender Repräsentant bei den UN, Ri Tong Il, nannte den Vertrag einen "riskanten Entwurf, der von großen Waffenexporteuren politisch manipuliert werden kann". Er monierte zudem die Möglichkeit von Waffenembargos, von denen auch sein Land betroffen ist.

Der Versuch, einen Waffenhandelsvertrag zu vereinbaren, war im ersten Anlauf an den großen Waffenexporteuren USA, Rußland und China gescheitert. Auch bei den aktuellen Verhandlungen hatten sie darauf beharrt, daß ihre strategischen Interessen und Geschäfte nicht beeinträchtigt werden dürfen. Ob die Regierungen in Moskau und Peking sowie der US-Kongreß dem Vertrag zugestimmt hätten, gilt ohnehin als fraglich. Der zuletzt ausgehandelte Kompromiß ist so zahnlos, daß er selbst hinter die bestehenden EU-Exportbestimmungen und nationalen Vorgaben der Europäer zurückfällt und damit deren florierenden Waffenhandel in keiner Weise beeinträchtigt.

Sanktionen bei offensichtlichen Verstößen gegen das Abkommen sind in dem Entwurf nicht vorgesehen, wie auch von Berichten an die Parlamente und die Öffentlichkeit in den Vertragsstaaten keine Rede ist. Statt dessen sollen alle Unterzeichner jährlich einen Bericht über ihre Rüstungsexporte und Importe an ein künftiges ATT-Sekretariat bei der UNO in New York abliefern. Gefahren, daß die gelieferten Waffen "Frieden und Sicherheit" im Empfängerland oder in der Region gefährden, für "geschlechtsspezifische Gewalttaten", Terrorakte oder zu "Zwecken organisierter Kriminalität" eingesetzt werden, gelten nur als weiche Kriterien für die Entscheidung über Rüstungslieferungen. In diesen Fällen ist das potentielle Lieferland lediglich angehalten, den geplanten Rüstungsexport zu "überdenken". [4]

Nach dem Vertragstext soll ein Rüstungsexport nur dann ausdrücklich "verboten" sein, wenn die Regierung des Lieferlandes "zum Zeitpunkt der Genehmigung des Exports davon Kenntnis hat, dass die Rüstungsgüter von den Empfängern für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschheit und schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen von 1949 eingesetzt würden oder für andere Kriegsverbrechen". Das Abkommen gilt jedoch nur für den kommerziellen Import, Export oder Transit von Rüstungsgütern, nicht aber für grenzüberschreitende Transfers, bei denen die gelieferten Waffen formell "im Besitz" des Lieferlandes bleiben. Explizit ausgenommen von dem Abkommen werden Rüstungslieferungen "im Rahmen von zwischenstaatlichen Abkommen zur Verteidigungskooperation".

So nimmt es nicht wunder, daß die von Amnesty International, Oxfam und der Kampagne gegen Kleinwaffen angeführte Koalition namens Control Arms den ausgehandelten Vertragstext als "enttäuschend und unzureichend" kritisiert hatte. Erstaunlich ist allenfalls die mangelnde Bereitschaft dieser NGOs, den letztendlichen Charakter dieses Abkommens, das sie trotz alledem vehement gegen die nachvollziehbaren Bedenken der drei ablehnenden Staaten verteidigen, zu entschlüsseln. Während nicht zu erkennen ist, daß die führenden Waffenexporteure durch den Handelsvertrag eingeschränkt würden, könnte sich dieses Abkommen zu einem weiteren Sanktionswerkzeug gegen die westlicherseits zu Parias erklärten Feindstaaten eignen.

Grundsätzlich liegt die Deutungshoheit, was Verbrechen gegen die Menschheit seien, in Händen jener Mächte, die über die Waffengewalt verfügen, ihre interessengeleiteten Interventionsstrategien durchzusetzen. Die Auffassung, man könne mit eben diesen Staaten und Militärbündnissen internationale Abkommen schließen, die ihre bellizistischen Absichten wirksam begrenzen, verkennt nicht nur die vorherrschenden Verhältnisse, sie dient sich ihnen darüber hinaus mit dem Ruf nach legalistischer Reglementierung von Krieg und Repression an. Sanktionen und Angriffskriege mit vielen Tausenden Getöteten, Hungernden, an Elend und Krankheit Sterbenden, Binnenflüchtlingen und eines Lebens in Würde Beraubten im Namen der Freiheit und Menschenrechte sind die bekannte Folge. Sie dennoch gutzuheißen, bedarf einer großzügigen Auslegung und Inanspruchnahme jenes Auftrags, wie ihn die NATO auf ihrem Lissaboner Gipfel im November 2010 für die NGOs im Rahmen der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit vorgesehen hat.

Fußnoten:

[1] http://www.focus.de/politik/ausland/un-generalsekretaer-ban-tief-enttaeuscht-syrien-iran-und-nordkorea-verhindern-un-waffenkontrolle_aid_950698.html

[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/un-konferenz-syrien-iran-und-nordkorea-blockieren-abkommen-zum-waffenhandel-12131487.html

[3] http://www.tagesspiegel.de/politik/die-achse-blockiert-un-verhandlungen-ueber-globales-waffenabkommen-erneut-gescheitert/8002114.html

[4] http://www.taz.de/ATT-Verhandlungen-in-New-York/!113751/

29. März 2013