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KRIEG/1509: Friedhof der Imperien - Botschaft an die Invasoren Afghanistans (SB)



Kriege werden mit Waffen und Propaganda geführt. Das gilt auch für Afghanistan, dessen Mythos, es sei der Friedhof der Imperien, den westlichen Besatzungsmächten in zunehmendem Maße Unbehagen bereiten dürfte. Seit zehn Jahren versuchen die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten mit ihrer haushoch überlegenen Militärmacht vergeblich, den Krieg gegen den technologisch auf niedrigstem Niveau kämpfenden Widerstand zu gewinnen. Auch in ideologischer Hinsicht sind die Invasoren mit den vorgehaltenen Begründungen für ihre Präsenz gescheitert. Phrasen wie Aufbau des Landes, Sicherheit seiner Bewohner oder höherer Lebensstandard der Bevölkerung müssen den Afghanen wie Hohn in den Ohren klingen, sofern es sich nicht um Kollaborateure und Profiteure der ausländischen Mächte handelt.

Während das Okkupationsregime seine Parolen wie die Hemden wechselt, haben die Kräfte des Widerstands, die unzulässigerweise unter den seinerseits propagandistischen Sammelbegriff "Taliban" subsumiert werden, eine klare Botschaft: Die ausländischen Truppen sollen das Land verlassen. Auch wo es gilt, weithin sichtbare Zeichen der Stärke zu setzen, sind sie den NATO-Streitkräften mindestens ebenbürtig, wie der jüngste spektakuläre Angriff auf das britische Kulturinstitut in Kabul unterstrich. Zeitpunkt und Ziel des Überfalls waren mit Bedacht gewählt, handelte es sich doch um den traditionell am 19. August gefeierten Unabhängigkeitstag Afghanistans.

Wenngleich das Land nie dem britischen Imperium angehörte, erkannten die Briten vor 92 Jahren nach dem dritten Afghanisch-Britischen Krieg in einem Abkommen die Unabhängigkeit an. Heute ist Großbritannien mit 9500 Soldaten nach den USA der größte Truppensteller am Hindukusch. Bei dem angegriffenen British Council handelt es sich um Londons internationale Organisation für Bildung und Kultur, vergleichbar dem deutschen Goethe-Institut. Talibansprecher Sabiullah Mudschahid sagte am Telefon: "Dieser Angriff ist eine Botschaft der Taliban an die britischen Invasoren anlässlich des Unabhängigkeitstages, an dem sie vor 92 Jahren gegen die tapferen Mudschaheddin verloren." [1]

In den vergangenen Monaten gelangen dem afghanischen Widerstand in verschiedenen Landesteilen immer wieder Angriffe auf prominente Ziele. Im Juni hatte ein Kommando der Taliban das auch von Ausländern besuchte Hotel Intercontinental in Kabul überfallen und mehrere Menschen getötet. Die Angreifer verschanzten sich damals stundenlang in dem Gebäude, das unweit des britischen Kulturinstituts in der Hauptstadt liegt. Dieses wurde gestern in den frühen Morgenstunden angegriffen, als sich ein Mann mit seinem mit Sprengstoff beladenen Wagen vor dem Tor in die Luft sprengte. Damit verschaffte er seinen Mitkämpfern Zugang zu dem Gelände, wo im Verlauf der folgenden Gefechte mindestens neun Menschen getötet und 16 verletzt worden sein sollen.

Unter den Toten befanden sich nach Angaben des Sprechers des afghanischen Innenministeriums, Sediq Sediqqi, zwei Ausländer, ein nepalesischer Wachmann und ein neuseeländischer Soldat. Auch die sechs Angreifer seien im Verlauf der Kämpfe umgekommen. Zum Zeitpunkt des Überfalls befanden sich offenbar drei britische Mitarbeiter auf dem Gelände, die nicht zu Schaden kamen. Das gilt auch für die 25 afghanischen Mitarbeiter des Kulturinstituts. Nach Angaben der Regierung in London waren neuseeländische Spezialkräfte an dem Einsatz gegen die Angreifer beteiligt. Sediqqi zufolge handelt es sich bei den meisten Toten und Verletzten um Polizisten.

Afghanische Polizisten, Soldaten und Geheimdienstler sowie internationale Truppen benötigten mehr als acht Stunden, um den letzten Angreifer zu töten. Schußwechsel und Explosionen waren kilometerweit zu hören, Fenster in der Umgebung barsten, Rauch stand über der Stadt, so daß das Signal des Widerstands zum Unabhängigkeitstag nicht deutlicher hätte sein können. Das gilt um so mehr, als gerade an diesem Tag die Sicherheitsvorkehrungen insbesondere in Kabul massiv verschärft worden waren, da die Besatzer und ihre Marionettenregierung Zwischenfälle befürchteten.

In ersten Reaktionen auf den Angriff verurteilte das britische Außenministerium die Tat als "verachtenswert". Bundesaußenminister Guido Westerwelle zeigte sich "entsetzt über den brutalen Anschlag". Die Internationale Besatzungstruppe ISAF sprach von einem "abscheulichen Akt des Mordes und der Zerstörung". [2] Das waren deutliche Worte, wie man sie sich wünschen würde, wenn Afghanen bei Luftangriffen der Alliierten, nächtlichen Überfällen der Spezialkommandos oder Bombardements mit Panzern und Haubitzen getötet werden. Der afghanische Präsident Hamid Karsai verkündete, solche Angriffe seien ein Zeichen der Schwäche, womit er der Absurdität die Krone aufsetzte und bei der Mehrzahl seiner Landsleute, die seine Autorität ohnehin nicht anerkennen, einmal mehr Verachtung geerntet haben dürfte.

Sediqqi sprach von einer erfolgreichen Aktion der afghanischen Polizei und behauptete sogar, die einheimischen Kräfte seien im ganzen Land in der Lage, für Sicherheit zu sorgen. Ihm muß entgangen sein, daß die zurückliegenden Monate zu den blutigsten in den vergangenen zehn Jahren gehörten. Während die afghanische Regierung erst vor kurzem die Sicherheitsverantwortung für einige Städte und Provinzen, darunter auch Kabul, übernommen hat, nehmen die Angriffe des Widerstands drastisch zu. Wie die afghanische Regierung bis 2014 selbständig für die Sicherheit im eigenen Land sorgen soll, ist völlig schleierhaft und offenbar nur eine weitere Kriegslüge westlicher Propaganda.

Wenn Militär- und Sicherheitsexperten der afghanischen Regierung vorwerfen, sie sei macht- und konzeptlos angesichts zunehmender Angriffe der Taliban, geschieht dies in einer kruden Mischung aus Wut, Angst und Kalkül. Die stärkste Militärmaschinerie der Welt hat Billionen von Dollars auf diesem Feldzug verbrannt, ohne ihre ausgewiesenen Kriegsziele zu erreichen. Während sie stets aufs Neue greifbare Erfolge für sich reklamiert, scheint der Widerstand überall im Land auf dem Vormarsch zu sein. Andererseits kommt den Strategen des "Antiterrorkriegs" die Misere am Hindukusch insofern gelegen, als sie den Vorwand für die ohnehin fest eingeplante Dauerpräsenz in dieser Region liefert.

Da die Kosten für die Kriege in Afghanistan und dem Irak in den USA über verschiedene Haushaltsposten und Ministerien systematisch verschleiert werden, um das ungeheure Ausmaß zu kaschieren, weiß niemand mit Sicherheit zu sagen, wieviel die Kampagne die Steuerzahler bislang gekostet hat. Laut Kongreßangaben und Aussagen des US-Präsidenten liegen die Gesamtkosten für Afghanistan und den Irak bis einschließlich 2011 bei etwa 1,3 Billionen Dollar. Im selben Zeitraum verfügte das Pentagon über ein Basisbudget von 5,2 Billionen, woraus ebenfalls Gelder für die Einsätze in den beiden Ländern flossen. Eine Untersuchung der Elitehochschule Brown University kommt auf Gesamtkosten zwischen 3,7 und 4,4 Billionen Dollar. Journalisten von McClatchy beziffern die monatlichen Durchschnittskosten des Verteidigungsministeriums für die Einsätze derzeit auf insgesamt 9,7 Milliarden Dollar, wovon ungefähr zwei Drittel für Afghanistan aufgewendet werden. [3]

Wenngleich man natürlich die Rechnung aufmachen könnte, was die Afghanen mit derartigen Unsummen anzufangen wüßten, stellte man sie für einen friedlichen Aufbau des Landes zur Verfügung, bleibt diese Erwägung fiktiv. Beim Angriffskrieg und der Besetzung Afghanistan ging es zu keinem Zeitpunkt um Befreiung und Aufbau, sondern vielmehr um Dauerpräsenz in dieser Weltregion unter Verdrängung konkurrierender Mächte. Aus Sicht der US-Strategen und ihrer Verbündeten sind die ihren Bürgern abgepreßten und für den permanenten Kriegszug aufgewendeten Gelder keineswegs verschwendet, sondern in die Bestandssicherung und Fortschreibung ihrer Herrschaft investiert.

Von früher üblichen Propagandaformeln, man wolle "die Nation aufbauen" oder "die Herzen und den Verstand der Menschen gewinnen", ist längst keine Rede mehr. Nun geht es nur noch darum, den afghanischen Widerstand so lange zu bekämpfen, bis er ausblutet und zu Übereinkommen bereit ist, für die der Krieg seitens der westlichen Mächte geführt wird. Zu diesem Zweck erhöhen die Besatzungsstreitkräfte massiv ihren Druck und fliegen mit durchschnittlich 20 Einsätzen pro Tag doppelt so viele Angriffe wie vor Jahresfrist. Zugleich hat sich die Zahl nächtlicher Kommandounternehmen seit 2009 auf etwa 300 pro Monat verdreifacht. Ein US-Militärsprecher rühmte die Effektivität der Nachteinsätze mit folgenden Worten: "Selbst wenn die Zielperson bei diesen Einsätzen nicht gefangen oder getötet wird, gelingt es in 35 Prozent aller Fälle, ein anderes Individuum, das direkt mit der Zielperson in Verbindung steht, zu töten oder gefangen zu nehmen." [4]

An afghanischen Männern, Frauen und Kindern, die man abschlachten, verschleppen, foltern und hinterher als Taliban ausgeben kann, herrscht demnach kein Mangel. Wenngleich US-Präsident Obama vor zwei Monaten einen begrenzten Truppenabzug angekündigt hat, deutet alles darauf hin, daß die USA das Blutvergießen ausweiten. Daß die Afghanen die verhaßten Besatzungstruppen angesichts dieser Eskalation mehr denn je zum Teufel wünschen und sich der Widerstand unablässig aus der Bevölkerung speist, kann nicht verwundern.

Fußnoten:

[1] http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1194386

[2] http://www.dw-world.de/dw/article/0,,6599825,00.html

[3] http://www.heise.de/tp/artikel/35/35320/1.html

[4] http://www.wsws.org/de/2011/aug2011/afgh-a19.shtml

20. August 2011