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KRIEG/1508: Nach fünf Monaten NATO-Aggression trügerische Erfolgsmeldungen aus Libyen (SB)



Fünf Monate nach Verabschiedung der UN-Resolution 1973 am 17. März 2011 scheinen die libyschen Rebellen entscheidende Fortschritte gegen die Truppen der Regierung in Tripolis zu erzielen. Diesen Eindruck vermitteln zumindest die Regierungen der NATO-Staaten, deren vorrangiges Kriegsziel im Sturz des Machthabers Muammar al Gaddafi besteht. Was der UN-Sicherheitsrat angeblich unter dem Druck einer akuten Entwicklung zum Schutz der Zivilbevölkerung beschloß, hat sich im Verlauf des am 19. März von Frankreich und Britannien begonnenen Krieges und der am 22. März erfolgten Einschaltung der NATO als längerfristig vorbereiteter Waffengang westlicher Aggressoren erwiesen.

Wie sich schon Ende März herausstellte, waren Sondereinheiten und Geheimdienste diverser westlicher Staaten bereits vor Verabschiedung der UN-Resolution in Libyen aktiv. Einen Krieg innerhalb von weniger als einem Monat praktisch aus dem Hut zu zaubern ist nicht die Art hochorganisierter Militärapparate und eines internationalen Bündnissystems wie das der NATO. Auch entwickelt sich eine zivile Revolte, die beansprucht, dem tunesischen und ägyptischen Vorbild zu folgen, nicht innerhalb von zwei Tagen zu einem bewaffneten Aufstand, wenn die sie antreibenden Interessen zivilgesellschaftlicher und demokratischer Art wären. Das vielfältige Bündnis der von Bengasi aus operierenden Rebellen eint bislang der Versuch, die Macht im Land zu übernehmen. Die Fußtruppen der NATO-Staaten sind jedoch nur so lange als Einheit zu betrachten, als das potentielle Zerwürfnis zwischen ehemaligen Mitgliedern der libyschen Regierung, tribalistischen Gruppen, die mit den Gaddafi nahestehenden Stämmen verfeindet sind, separatistischen Organisationen, säkularen Oppositionsparteien und islamistischen Gruppen durch dieses gemeinsame Ziel in Schach gehalten wird.

Das Vorhaben der NATO-Regierungen, die Verhältnisse in Libyen bald zu ihren Gunsten neu ordnen zu können, wird mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Situation führen, die an die Not und das Elend der irakischen Bevölkerung nach dem Überfall durch die US-geführte Koalition der Willigen 2003 erinnern wird. Wie das weiterhin von US-Truppen besetzte Zweistromland heute wirtschaftlich am Boden liegt und von einem latenten Bürgerkrieg zerrüttet wird, so wird die NATO in Libyen dazu genötigt sein, die nach dem Sturz Gaddafis ausbrechenden Machtkämpfe und den drohenden Zerfall des Staates durch die dauerhafte Verwandlung des Landes in ein NATO-Protektorat einzudämmen. Das wird nicht nur zahlreiche Libyer das Leben kosten, sondern auch Opfer unter den Besatzern fordern, zu denen nach Lage der politischen Ambitionen hierzulande auch die Bundeswehr gehören wird.

Während die gegen die libyschen Regierungstruppen erhobenen Vorwürfe, die das Eingreifen der NATO-Staaten legitimieren, nicht erhärtet werden konnten, haben deren Bomber das angebliche Vorhaben, die Zivilbevölkerung zu schützen, dazu genutzt, bei rund 7000 Kampfeinsätzen zahlreiche Menschen umzubringen und zivile Gebäude wie staatliche Einrichtungen zu zerstören. Der angebliche Bürgerkrieg wurde zu einem internationalen Krieg, in dem die NATO-Regierungen ihren Hegemonialanspruch nicht nur für Libyen reklamieren. Den Erhebungen der arabischen Bevölkerungen gegen Despoten, die ihre Herrschaft jahrzehntelang mit westlicher Waffen- und Finanzhilfe durchsetzten, wurde durch die Unterstellung, die NATO verhelfe den Libyern zu einem demokratischen Aufbruch, schwerer Schaden zugefügt. Praktisch wird am Beispiel Gaddafis demonstriert, daß wesentliche Veränderungen in der Region des Nahen und Mittleren Ostens unter Kuratel der westlichen Ordnungsmacht zu erfolgen haben, wenn ihnen internationale Anerkennung zuteil werden soll.

Was in Libyen vorexerziert wird, bildet sich in der staatsautoritären Militärverwaltung des Aufstands in Ägypten ebenso ab wie in der Niederschlagung der Proteste in Bahrein durch die Truppen Saudi-Arabiens. So despotisch die Herrschaft Gaddafis sein mag, so wenig läßt sich die Situation in Libyen vor der NATO-Aggression mit der in Ägypten und Tunesien vor den dort erfolgten Regimewechseln vergleichen. Im Unterschied zu diesen Ländern war Libyen zwar ein Verhandlungspartner des Westens, widersetzte sich dessen Hegemonie jedoch weitgehend. Libyen hat mit den administrativen und militärischen Strukturen der NATO zur Einbindung ihres strategischen Vorfelds nicht zusammengearbeitet, das Land hat eine die Hegemonialinteressen der EU und USA scharf konternde Entwicklungs- und Bündnispolitik in Afrika betrieben, es hat sich nicht ins Finanzregime von IWF und Weltbank einbinden lassen und hat eine nationale Souveränität schützende Rohstoffpolitik verfolgt. Während der Aufstand gegen das Mubarak-Regime nicht nur einer bürgerlichen Demokratiebewegung entsprang, sondern ihm durch jahrelange Arbeitskämpfe und massives soziales Elend der Boden bereitet wurde, hat die libysche Regierung die Ölrente zur Schaffung der höchsten Sozialstandards in ganz Afrika eingesetzt.

Ein wesentliches Element der westlichen Kriegführung besteht in der Beschlagnahmung des umfangreichen Kapitals, das der libysche Staat in aller Welt angelegt hat, seiner Verwendung für die Unterstützung der Rebellen und womöglich nachträglichen Finanzierung der NATO-Aggression. Während man die Regierung in Kairo längst am Tropf westlicher Finanzhilfe hängen hatte, die nicht zuletzt zur Unterdrückung der ägyptischen Bevölkerung eingesetzt wurde, mußte der libyschen Administration das zentrale Mittel ihrer Handlungsfähigkeit erst genommen werden. Da sie nicht nur auf brutale Repression setzt, wie hierzulande behauptet wird, sondern sich der Zustimmung der Bevölkerung durch großzügige Sozialleistungen versichert, zerschlägt die NATO zur Zeit auch ein sicherlich kritikwürdiges, aber auch Handlungsoptionen, die vielen Europäern nicht vergönnt sind, freisetzendes Entwicklungsmodell. Die Widersprüchlichkeit Gaddafis liegt unter anderem darin, daß er jahrzehntelang Befreiungsbewegungen in aller Welt unterstützte, bevor er sich, nicht zuletzt durch die Offensive des Terrorkriegs gedrängt, auf einen Handel mit seinen ehemaligen Feinden in den USA und der EU einließ. Auch darin unterscheidet er sich von vielen arabischen Despoten, die immer eine zuverlässige Bank für die Durchsetzung westlicher Hegemonial- und Wirtschaftsinteressen in der Region waren.

Die bis weit in die europäische Linke reichende Zustimmung zu diesem Krieg der NATO ist nicht nur eine Tragödie für die libysche Bevölkerung. Sie stellt allen Trägern des sozialen Widerstands, die meinen, die eindeutige Positionierung gegen diesen Krieg könnte als Solidaritätserklärung für ein autoritäres Regime mißverstanden werden, das Zeugnis mangelnder Analyse- und Kritikfähigkeit aus. Auch wenn die libysche Gesellschaft keinesfalls die Erfüllung emanzipatorischer Ideale darstellt und die Kollaboration Gaddafis mit der europäischen Flüchtlingsabwehr strikt zu verwerfen ist, so erweist sich die Zustimmung zu diesem Krieg als Arrangement mit der Herrschaft von Staat und Kapital, die zu überwinden man einmal vorgab. Fünf Monate nach einer UN-Resolution, die als Ergebnis der Doktrin Responsibility to Protect (R2P) einer neuen Willkür kriegerischer Unterwerfung unter dem Vorwand einer Moral, die in Anbetracht eigener Ausbeutungs- und Unterdrückungspraktiken nicht widersprüchlicher sein könnte, den Weg bahnt, hat dieser Krieg seine Parteigänger als Sachwalter einer Freiheit exponiert, die immer schon die der Herrschenden war.

17. August 2011