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KRIEG/1503: Am deutschen Panzer soll die Stabilität am Golf genesen (SB)



Daß Frieden die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln und Wirtschaft das herrschaftssichernde Pendant des Säbelrasseln sei, war den Klassikern moderner Strategie und Taktik eine Selbstverständlichkeit. Durch die Brille des Feldherrn betrachtet reduzierte sich das Weltgeschehen auf einen erbitterten Konkurrenzkampf der Nationen, die einander in einer Wechselfolge ziviler und militärischer Kampagnen ans Leder gingen. Wenngleich dieser Sichtweise die ökonomischen Triebkräfte des Verwertungsprozesses ein Buch mit sieben Siegeln blieben, weshalb sie auch die Dynamik imperialistischer Expansion nicht zu entschlüsseln vermochten, arbeiteten sie doch ein fundamentales Prinzip klar heraus: Überlegene Waffengewalt bleibt das Fundament aller wirtschaftlichen und politischen Stärke, die sich nach außen und innen als Verlaufsform und Folgeprodukt raubgestützter Überlebenssicherung durchsetzt.

Wer demgegenüber im Frieden den Fortbestand von Unterdrückung und Ausbeutung nicht zu erkennen mag, ordnet sich die Welt nach seinem Gusto, ohne das Ausmaß des Verhängnisses auch nur zu ahnen. Man denke nur an das millionenfache Hungern und Sterben in Afrika oder Asien, das aus Perspektive der Metropolen nahezu lautlos vor sich geht. Hunderttausende Opfer forderten die Sanktionen gegen den Irak, die die sogenannte Staatengemeinschaft händereibend praktizierte. Längst ist es opportun, Strafmaßnahmen zu verhängen und Kriege im Namen der Menschenrechte vom Zaun zu brechen, um die Suprematie eigener Existenzsicherung auf höchstmöglichem Niveau zu Lasten anderer auf legalistische Füße zu stellen.

Unter diesen Umständen nimmt es nicht wunder, daß rund um den offenbar genehmigten Verkauf von 200 deutschen Kampfpanzern nach Saudi-Arabien kübelweise Krokodilstränen vergossen werden, um den Blick auf die wesentlichen Aspekte dieses Vorgangs zu verschleiern. Die vielgerühmte Exportstärke der deutschen Wirtschaft gründet zu einem nicht unerheblichen Teil auf der Ausfuhr von Waffen. Kriegsschiffe aus dem Thyssen-Krupp-Konzern, Panzer aus dem Hause Krauss-Maffei Wegmann oder Schußwaffen von Heckler&Koch stehen bei den Militärs in aller Welt so hoch im Kurs, daß die deutschen Rüstungsexporte zwischen 2004 und 2009 um sagenhafte 70 Prozent stiegen. Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI hat Deutschland im genannten Fünfjahreszeitraum Kriegsmaterial für 11,5 Milliarden Dollar verkauft. Während die USA mit einem Weltmarktanteil von 30 Prozent bei den Rüstungsexporten führend sind und Rußland mit 23 Prozent folgt, rangieren die deutschen Rüstungsschmieden mit elf Prozent an dritter Stelle. [1]

Demnach zählt Deutschland, von der aktuellen Kriegsbeteiligung der Bundeswehr an verschiedenen Schauplätzen ganz abgesehen, zu den weltweit führenden Kriegstreibern. Wer dem entgegenhält, Waffen seien in den richtigen Händen ein Segen, nur in den falschen ein Fluch, behauptet nichts anderes als jeder Soldat oder Offizier an der Front, was natürlich wechselweise für beide Seiten in einem Konflikt gilt. Bundeskanzlerin Merkel stellte die Prioritäten unmißverständlich klar: Saudi-Arabien sei trotz erheblicher Defizite bei den Menschenrechten ein Land von "großer strategischer Bedeutung". Verteidigungsminister Thomas de Maizière und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich würdigten die Saudis gleichermaßen als Stabilitätsfaktor in der Region und wichtigen Verbündeten im Kampf gegen den "islamistischen Terror". Die Entscheidung über Rüstungslieferungen sei "zunächst eine sicherheitspolitische": "Menschenrechtsüberlegungen müssen eine Rolle spielen, doch überwiegen die internationalen Sicherheitsinteressen." Und Bundespräsident Christian Wulff rundete die Rechtfertigung des Panzergeschäfts mit den Worten ab, dieser Rüstungsexport sei schließlich mit Israel und den NATO-Partnern abgestimmt. [2]

Da liegt der Hase im Pfeffer: Der Wunsch des Regimes in Riad, seine Armee mit Kampfpanzern des Typs "Leopard 2" aufzurüsten, wurde in der Vergangenheit von der Bundesregierung abschlägig beschieden, da israelische Sicherheitsinteressen dem Geschäft im Weg standen. Inzwischen rüsten die USA Saudi-Arabien jedoch einvernehmlich mit Israel zum Bollwerk gegen den Iran wie auch unerwünschte regionale Erhebungen wie im benachbarten Bahrain auf, wofür die Obama-Regierung ein gigantisches Waffengeschäft über 60 Milliarden Dollar mit dem saudischen Königshaus gebilligt hat, über das der Kongreß demnächst abstimmen muß. Der Auftrag im Wert von vermutlich 1,7 Milliarden Euro für die Lieferung von 200 "Leopard"-Kampfpanzern an den Golfstaat flankiert diese Aufrüstung einer Führungskaste, die bereits laut über die Entwicklung eigener Atomwaffen nachgedacht hat.

In einer Länderinformation zu Saudi-Arabien bilanziert das Auswärtige Amt: "Todes- und Körperstrafen werden verhängt und vollstreckt. Die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind stark eingeschränkt. Parteien sind verboten. Politische Aktivisten und Menschenrechtler werden drangsaliert, inhaftiert oder gehen ins Ausland." Im vergangenen Jahr sorgte sich die Bundesregierung noch um die Einhaltung der Menschenrechte in dem Königreich. Als Außenminister Guido Westerwelle das Thema seinem saudischen Kollegen Prinz Saud al-Faisal vortrug, ließ ihn dieser unter Verweis auf unterschiedliche Wertesysteme abblitzen. Daß Sicherheitsinteressen selbst die permanente Verletzung von Menschenrechten allemal schachmatt setzen, entlarvt letztere in ihrer Handhabung durch die Bundesregierung als potentielle Angriffswaffe unter dem Deckmantel humanitärer Verbrämung. Feinden droht man unter Verweis auf die Menschenrechte mit Angriffskriegen, befreundeten Regimes hält man deren repressives Potential als Garant der erwünschten Stabilität zugute.

Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien haben ungeachtet dezidierter Kenntnisse über die gesellschaftlichen Verhältnisse beim langjährigen Sachwalter westlicher Einflußnahme in der arabischen Welt Tradition. In den vergangenen zehn Jahren fand man das Königreich fast durchgängig unter den 20 wichtigsten Bestimmungsländern deutscher Rüstungsexporte. Vor allem nach 2002 stiegen die Ausfuhren kontinuierlich an, bis der Ölstaat 2008 Waffen im Wert von 170,4 Millionen Euro, darunter Pistolen, Gewehre, Munition, leichte Panzerfahrzeuge, Raketenteile und Tankflugzeuge erhielt. Vor zwei Jahren verkaufte Cassidian, ein auf Rüstungsgüter spezialisiertes Tochterunternehmen des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS, den Saudis eine neue Technik zur Sicherung der Landesgrenze. Der Auftrag in Milliardenhöhe hat eine Überwachungstechnologie zum Inhalt, die aus einem Netzwerk von Radarstationen, Sensoren und Kameras besteht. Die Firma Heckler&Koch belieferte die saudische Armee nicht nur in mehreren Chargen mit dem weltweit begehrten Sturmgewehr "G 36", sondern überließ dem Wüstenstaat 2008 auch eine Lizenz zur Herstellung des Gewehrs, worauf dort eine eigene Produktionsstätte für die Fertigung dieser Waffe errichtet wurde.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion und des Warschauer Pakts reduzierten etliche NATO-Staaten, darunter auch die Bundesrepublik, ihre Rüstungsausgaben. Die sinkende Nachfrage zwang die deutsche Rüstungsindustrie zu einem Schrumpfungsprozeß, der zu einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen führte. Zugleich wuchs die Abhängigkeit von Auslandsaufträgen, wobei man insbesondere auf Schwellenländer wie Brasilien oder Indien sowie auf Konfliktgebiete wie die Golfregion setzt. Wie es hieß, habe allein das Gerücht des Panzergeschäfts den Aktienkurs des Unternehmens Rheinmetall, welches das Waffensystem, die Verteidigungselektronik und die Munition für den "Leopard 2" liefert, um zwölf Prozent in die Höhe getrieben.

Dies unterstreicht, wie eng geostrategische und wirtschaftliche Interessen bei diesem Geschäft miteinander verzahnt sind. Theoretisch stehen der Lieferung nach Saudi-Arabien die Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern im Wege. Dort heißt es unter "Allgemeine Prinzipien": "Der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland wird bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen." Daß der Waffenhandel strengen Auflagen unterliegt, ist eine Konsequenz aus der deutschen Geschichte. Die offizielle Lesart wurde in der Vergangenheit ein ums andere Mal unterlaufen, wozu freilich ein beträchtliches Maß an Geheimhaltung und Schmiergeldzahlungen erforderlich war. Bei der Lieferung von 36 Fuchs-Spürpanzern an die Saudis im Jahr 1991 floß fast der halbe Kaufpreis in dunkle Kanäle, Stoltenberg stürzte 1992 über die Lieferung von Kampfpanzern an die Türkei, 1993 scheiterten Pläne des Thyssen-Krupp-Konzerns, zur Lieferung von Korvetten und U-Booten nach Taiwan das Ausfuhrverbot zu umgehen.

Außenminister Westerwelle wies die Kritik der Opposition an dem Schweigen der Bundesregierung zum Panzergeschäft zurück. Der Bundessicherheitsrat tage geheim, was SPD und Grüne nicht anders gehalten hätten, als sie noch regierten. Eine Regierung müsse die Möglichkeit haben, über komplexe Sicherheitsfragen im Geheimen zu beraten, schlug Unions-Fraktionschef Volker Kauder in dieselbe Kerbe. Und FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle drohte gar angesichts der nach außen getragenen Informationen mit dem Strafrecht. Daß sich die Bundesregierung einerseits parlamentarischen Anfragen verschloß, andererseits aber in den Medien keinen Zweifel am absoluten Vorrang der Sicherheits- und Stabilitätsinteressen in Saudi-Arabien ließ und damit offensiv rechtfertigte, was sie noch gar nicht auf offiziellem Weg zugegeben hat, unterstreicht zweierlei: Die fortgesetzte Mißachtung des Parlaments bei der Rüstungs- und Kriegspolitik wie auch die Absicht, mit Hilfe des spektakulären Panzergeschäfts einen unaufhaltsamen Dammbruch im Sperrwerk der hinderlichen Auflagen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern herbeizuführen.

Fußnoten:

[1] http://de.nachrichten.yahoo.com/waffen-made-in-germany-weltweit-höchst-begehrt-103619590.html

[2] http://de.nachrichten.yahoo.com/rühe-attackiert-waffendeal-161911663.html

12. Juli 2011