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KRIEG/1489: Der gerechte Krieg ist ein Ruhekissen, das die Schreie der Ermordeten erstickt (SB)



Wenn es darum geht, den Feind in den Staub zu treten, plagen US-Präsident Barack Obama nicht die geringsten Selbstzweifel. In der CBS-Show 60 Minutes bekannte er, daß ihn die Möglichkeit, Osama bin Laden könne beim Angriff der Navy Seals auf seinen Zufluchtsort im pakistanischen Abbottabad getötet werden, keine Minute Schlaf kostete. Wer in Frage stelle, ob der Topterrorist sein Schicksal verdient habe, solle sich seinen Kopf untersuchen lassen. Mit diesem Kommentar sind alle Fragen nach der Rechtmäßigkeit dieser extralegalen Hinrichtung für den US-Präsident erledigt, was nicht erstaunen kann, werden in Pakistan doch häufig Menschen durch US-amerikanische Drohnen umgebracht, die im völkerrechtlichen Limbus operieren. So gesehen war die Debatte über die Legalität des US-amerikanischen Vorgehens gegen Bin Laden durch die weithin unbestrittene Legitimität des Drohnenkriegs in Pakistan beendet, bevor sie begonnen hatte.

Die Tötet-Osama-Festwoche ist mithin lediglich Kulminationspunkt einer Rechtfertigungsoffensive, mit der auch die Bundeswehr in den Genuß der von der US-Regierung vorgeführten Freizügigkeit des Mordens und Zerstörens gelangen soll. Kommentare in führenden Medien, die KritikerInnen dieser Art von Kriegführung etwa "moralisierende Selbstgerechtigkeit" anlasten, so Matthias Matussek in einem Essay des Spiegel (19/2011), nutzen die Gunst der Stunde, um überfällige Schritte zur Kriegsmobilisierung der Bundesbürger zu vollziehen. Sich in der Position der Stärke zurücknehmen, den Triumph des Sieges verstecken und sich Recht und Gesetz unterwerfen zu müssen ist einfach nicht "sexy", wie es im Jargon der Marketing-Experten heißt. Ganz anders der Triumphalismus der Siegesfeiern, die nicht umsonst unter popkulturellen Heldensignaturen von einem vorwiegend jugendlichen Publikum begangen werden. Er fügt sich nahtlos ein in die Konsum- und Medienkultur einer Warenwelt, deren Subjekte es schon gruselt, wenn sie die heruntergekommene Armseligkeit des Interieurs der Terrorzentrale in Abbottabad zu Gesicht bekommen.

Selbstgerechtigkeit zu erkennen, wenn auf ein Minimum an Legalität auch im Krieg bestanden wird, unterstellt, daß man zwar vom Nutzen der Gewalt profitieren möchte, ihren Vollzug aber unehrlicherweise verurteilt. Der Applaus an die Adresse der US-Regierung appelliert demgegenüber an den Willen zur Macht und den Primat der Tat. Staatliche Ermächtigung gerinnt zum Selbstzweck ihres Ergebnisses, das, wenn verlangt, im Nachvollzug rechtfertigt werden kann. Zugrundegelegt wird die Selbstevidenz der Schuldhaftigkeit eines Bin Laden, womit das klassische Prärogativ absoluter Herrscher, Ankläger, Richter und Henker in einer Person sein zu können, Urständ feiert.

Es gab Zeiten, da wurde in einem solchen Ermächtigungsprimat das Aufscheinen des Faschismus gewittert. Heute, da sich einige AntifaschistInnen zu Freiheit und Demokratie nach Lesart Obamas bekennen, können auch sich in der radikalen Linken verortende AktivistInnen mitjubeln, wenn ein islamistischer "Terrorfürst" exekutiert wird oder NATO-Bomber dem libyschen Potentaten das Handwerk legen. Wenn dabei Frauen und Kinder oder andere Unbeteiligte ihr Leben verlieren, dann wird im klassisch utilitaristischen Sinne abgewogen und der größere Nutzen erwirtschaftet. Die dieser Kriegsdoktrin inhärente Menschenfeindlichkeit wird mit der Verortung der völkischen Reaktion im Islam oder in Gaddafis Konzept des Volksstaats problemlos entsorgt, sprich zu eigenen Gunsten fortgeschrieben. Auch wenn neokonservative Ideologie in Reinkultur unter Linken noch nicht salonfähig sein mag, reichen sich Spiegel-Kommentatoren und AntifaschistInnen spätestens bei der gemeinsamen Verurteilung eines sogenannten Antiamerikanismus, unter den jegliche Kritik subsumiert wird, die sich gegen die Kriegführung der US-Regierung wendet, die Hände.

Dementsprechend gering sind die Proteste gegen eine Kriegführung der NATO, die dazu führt, daß die ohnehin große Zahl im Mittelmeer ertrinkender Flüchtlinge aufgrund der Bombenangriffe der NATO zugunsten der Regierungsgegner im libyschen Bürgerkrieg noch höher wird. Schon vor einem Monat ertranken auf einen Schlag bis zu 300 Flüchtlinge, die dem Krieg zu entkommen versuchten, indem sie das rettende Ufer der EU erreichen wollten [1]. Zur Kenntnis genommen wurde diese Katastrophe kaum, ganz im Gegenteil zum Streit jener am Libyenkrieg beteiligter EU-Regierungen darüber, wer für die angemessene Aufnahme der von ihnen verursachten Kriegsflüchtlinge zuständig wäre. Der Versuch, die anlandenden Menschen als "Wirtschaftsflüchtlinge" zu diffamieren, spricht Bände über die Praxis der Humanität, die die europäische Wertegemeinschaft auf ihre Fahnen geschrieben hat.

Wenn es nicht der eigenen Kriegspropaganda nützt, wie beim Überfall der NATO auf Jugoslawien, als Flüchtlinge aus dem Kosovo zu Hundertausenden Aufnahme in den Ländern der Aggressoren fanden, dann wäre der Kopf auf dem Ruhekissen des guten Gewissens am besten gebettet, wenn sich dieses Problem unbemerkt von selbst erledigte. Dies wäre in einem Fall, von dem die Tageszeitung The Guardian berichtet [1], beinahe geschehen. Ein Schiff mit 72 MigrantInnen, das Libyen am 25. März Richtung Lampedusa verlassen hatte und in Seenot geriet, wurde trotz mehrerer Kontakte mit NATO-Einheiten und der Benachrichtigung der italienischen Küstenwache seinem tödlichen Schicksal überlassen. Am 10. April wurde das manövrierunfähige Boot an die libysche Küste getrieben. In den 16 Tagen auf See waren 61 Flüchtlinge verhungert und verdurstet. Kurz nach Ankunft in Libyen starb ein weiterer Passagier, und im Gefängnis, in das die MigrantInnen von den libyschen Regierungstruppen gesteckt wurden, erlag noch ein Flüchtling seiner Entkräftung. Die aus Äthiopien, Nigeria, Eritrea, Ghana und dem Sudan stammenden MigrantInnen, unter denen sich 20 Frauen und zwei kleine Kinder befanden, waren von der NATO und der EU-"Flüchtlingsabwehr" praktisch zu Nichtmenschen erklärt worden.

Die Frage, was die Regierungen angeblich demokratischer Staaten dazu ermächtigt, willkürlich zu töten und zu zerstören, ist denn auch mehr als berechtigt. Der "Schattenmann", so Matussek über Osama bin Laden, mag noch so sinister und grausam sein, die Regierungen der NATO-Staaten können ihm allemal das Weihwasser des von ihnen wie ihrem Feind als gerecht deklarierten Krieges reichen. Schließlich rechtfertigt Obama mit seinem guten Gewissen nicht nur den Angriff auf den Al Qaida-Chef, sondern auch den Beschuß in Pakistan lebender Menschen mit den Raketen ferngesteuerter Drohnen. Was immer diese zu Opfern einer aus heiterem Himmel über sie hereinbrechenden, in den Waffenschmieden menschengemachten Katastrophe qualifiziert, in der verächtlichen Logik dieser Kriegführung sind sie nichts als Späne, die nun einmal fliegen, wenn gehobelt wird.

Wenn der Friedensnobelpreisträger Obama oder andere Schreibtischtäter Menschen herabwürdigen, die ihrer Selbstherrlichkeit die kaum noch vorhandene Erinnerung an die Gültigkeit internationalen Rechts oder die Moral des humanitären Interventionismus entgegenhalten, dann ist das Bestandteil dieser Kriegführung. Das gilt auch für den Versuch mancher AntifaschistInnen, Hitler etwa mit Gaddafi oder Ahmadinejad in einen Topf zu werfen, um sich an der Exekutivgewalt der NATO ergötzen und dabei auch noch als besserer Menschen fühlen zu können.

Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub0983.html

[2] http://www.guardian.co.uk/world/2011/may/08/nato-ship-libyan-migrants

9. Mai 2011