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KRIEG/1458: Drohnenkrieg in Pakistan für die Sicherheit Europas? (SB)



Die strategische Destabilisierung, Fragmentierung und Okkupation aller Staaten, die sich dem Vorstoß der USA und ihrer Verbündeten im Nahen und Mittleren Osten entgegenstellen könnten, überzieht das von der verheerenden Naturkatastrophe heimgesuchte Pakistan mit einem unerbittlichen Drohnenkrieg. Bereits von der Bush-Administration auf den Weg gebracht und von der kollaborierenden pakistanischen Führung lange Zeit stillschweigend geduldet, gingen die Aufklärungsflüge in Luftschläge über, die unter Präsident Barack Obama wesentlich intensiviert wurden. Mit Rücksicht auf die Stimmungslage in der eigenen Bevölkerung, der diese Angriffe zutiefst verhaßt sind, sah sich die Regierung in Islamabad gezwungen, gewisse formale Vereinbarungen einzufordern, um ihre Beteiligung an dieser Kriegsführung zu verschleiern. So dürfen die US-Streitkräfte zwar Überwachungsflüge durchführen, nicht aber Militärschläge auf pakistanischem Territorium durchführen. Diese offizielle Wahrung der Souveränität erweist sich als Farce, da die CIA unablässig ihre Drohnen von Stützpunkten in Pakistan und Afghanistan in die Luft bringt, um ihre mörderischen Raketenangriffe zu lancieren. In jüngster Zeit erhöhen zudem die US-Militärs mit grenzüberschreitenden Luftangriffen systematisch den Druck auf die pakistanische Führung, um sie zur uneingeschränkten Zusammenarbeit zu zwingen.

Wenngleich es sich zweifellos um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelt und die willkürlichen Tötungen der CIA jeder Rechtsgrundlage entbehren, führt eine bloße juristische Argumentation zwangsläufig in die Sackgasse. Wie die Grenzen der Kriegsführung unablässig erweitert werden, verschafft sich die Aggression der westlichen Mächte permanent neue Rechtsnormen, so daß die vermeintlich trittsicheren Grundsätze, was Menschenwürde sei, schon morgen zur Makulatur erklärt werden. Die Proklamation einer ominösen Bedrohung in Gestalt des längst im Denken verankerten Terrorkonstrukts gestattet eine grenzenlose Demontage aller Normen und Werte im Dienst der angestrebten ultimativen Weltordnung wie auch der unumkehrbaren Zementierung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Innern.

Um die Eskalation der Kriegsführung in Pakistan zu begründen und die Verbündeten tiefer in die Beteiligung einzubinden, zaubern Geheimdienstkreise der USA derzeit das Gerücht aus dem Hut, im pakistanischen Grenzland bereiteten Islamisten europäischer Provenienz Anschläge großen Stils in Berlin, Paris und London vor. In einer kruden Mixtur aus offensichtlich im Folterverhör erpreßten Behauptungen, unüberprüfbaren Quellenangaben und einem Wust wilder Spekulationen, die als substantielle Erkenntnisse präsentiert werden, nährt man das Schreckgespenst einer Bedrohungslage, die alle Maßnahmen zur Abwehr der proklamierten Gefahr rechtfertigt.

Im vergeblichen Versuch, das nicht Vorhandene und doch Vorhandene unter einen Hut zu bringen, sprach Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) von einer "hohen abstrakten Gefährdung", wobei er zugleich betonte: "Im Ergebnis liegen gegenwärtig keine konkreten Hinweise auf unmittelbar bevorstehende Anschläge in Deutschland vor." Er habe sich im gemeinsamen Terror-Abwehrzentrum von den Präsidenten der Sicherheitsbehörden über die Gefährdungslage informieren lassen. Demnach lägen seit Frühjahr 2009 Hinweise vor, daß Al-Kaida längerfristig Anschläge in den USA, in Europa und auch in Deutschland plane. "Diese Hinweise ergeben sich aus nachrichtendienstlichem Aufkommen", erklärte der Innenminister gestelzt. (www.ftd.de 04.10.10)

Mag den Europäern die inzwischen von den USA, Japan und Australien ausgesprochene Reisewarnung aus ökonomischen Gründen nicht schmecken, so scheinen jüngste Meldungen aus Pakistan nicht zuletzt darauf abzuzielen, zaudernde europäische Führungskreise vollends über den Tisch zu ziehen. In Mir Ali im Stammesgebiet Nord-Waziristan nahe der Grenze zu Afghanistan sollen beim Raketenangriff einer CIA-Drohne bis zu acht "deutsche Islamisten" getötet worden sein, was sogleich als schlagender Beweis für die Bedrohungslage auch in Deutschland interpretiert wurde. Die Bundesregierung hielt sich bedeckt: Im Berliner Auswärtigen Amt hieß es lediglich, man könne die Angaben bisher nicht bestätigen und müsse die Geheimdienstangaben zunächst überprüfen.

Wer diese Reaktion für besonnen und angemessen hält, muß sich die Frage gefallen lassen, wieso eine deutsche Regierung nicht augenblicklich ihrer Pflicht nachkommt, sich gegen eine mutmaßliche illegale Tötung ihrer Staatsbürger zu verwahren und sofortige Aufklärung zu verlangen. Zuvor war bereits der "deutsche Islamist" Ahmad Sidiqi an die US-Streitkräfte ausgeliefert und zweifellos auf dem Stützpunkt Bagram in Afghanistan gefoltert worden, ohne daß Vertreter der Bundesregierung Zugang zu ihm erlangt oder diesen öffentlich eingefordert hätten. Offenbar stehen Deutsche, deren Gesinnung oder vermutete Absichten man für feindselig erachtet, nicht unter dem Schutz der Bundesregierung.

Den hiesigen Medien, die sich auf die aktuellen Nachrichten aus dem pakistanischen Kriegsgebiet stürzten, waren solche Bedenken keine Zeile wert. Ohne Rücksicht auf Ungereimtheiten und Widersprüche entband man sich vom Anspruch, durch sorgsame Recherche und kritische Fragen für ein gewisses Korrektiv der offiziösen Verlautbarungen zu sorgen. Man sprach wahlweise von "militanten Islamisten" und "mutmaßlichen Extremisten", die sich offenbar zur "Terrorausbildung" dort aufgehalten hätten, und war sich rasch in der Feststellung einig, daß diese Region ein bevorzugtes Rückzugsgebiet diverser Gruppierungen sei, die Angriffe gegen die pakistanische Regierung und die NATO-Soldaten in Afghanistan führen. Immer wieder würden dort auch Kämpfer westlicher Herkunft gesichtet, die sich in den zahlreichen "Terrorcamps" der unwegsamen Region ausbilden ließen, darunter auch "Deutsch-Türken" und "Deutsch-Araber". So war schon auf dem Wege der Sprachregelung klargestellt, was unter einem "deutschen Islamisten" zu verstehen sei.

Während die führenden bundesdeutschen Medien die kaum vorhandene Faktenlage bis an den Rand vermeintlich gesicherter Erkenntnis trieben und damit die hingestreuten Bruchstücke eilfertig zum erwünschten Bild ergänzten, bleibt die Ausgangslage dürftig und höchst widersprüchlich. Pakistanischen und US-amerikanischen Quellen zufolge feuerte die Drohne zwei Raketen ab, die entweder eine Moschee oder ein Gehöft oder beide trafen. Die Rede war von bis zu zwölf Toten und zahlreichen Verletzten, wobei die Angaben kaum nachzuprüfen seien, da Taliban die Leichen nach solchen Angriffen zu entfernten pflegten. Woher man unter diesen Umständen wissen will, daß sich unter den Opfern "deutsche Islamisten" befanden, ist völlig schleierhaft.

Angriffsziel war einer Version zufolge das Haus des verdächtigen Pakistaners Sher Mullah nahe einer Moschee, der schon vor Monaten zusammen mit einem Deutschen vom pakistanischen Geheimdienst festgenommen worden sein soll. Ein Informant der dpa im Geheimdienst wußte angeblich von einem gewissen Sher Maula Khan, woraus man auf eine Identität schloß. Dieser Mann habe sein Gehöft an die Deutschen vermietet, hieß es. Ungeachtet derart vager Verknüpfungen folgert man, daß in Mir Ali die Fäden vieler "Terrornetzwerke" zusammenliefen: "Immer wenn Rückkehrer aus den Lagern der Taliban, der al-Qaida oder vieler Splittergruppen berichten, fällt der Name des Orts." (www.spiegel.de 04.10.10)

Das zu behaupten, ist eine Sache, stichhaltige Belege zu nennen, eine andere. So verweist man denn vorzugsweise auf mehr oder minder dubiose Videos "deutscher Kämpfer", die darin unter dem Logo bekannter oder bislang nie gehörter Gruppierungen Anschläge androhen, ankündigen oder sich zu solchen bekennen. Wer dieses Material produziert und ins Internet gestellt hat, ist jedoch ebenso ungeklärt wie die tatsächliche Bewertung der jeweiligen Botschaft. Läßt man die aktuellen Pressemeldungen Revue passieren, stützt sich die angebliche Beweisführung wie so oft letzten Endes auf eine einzige Quelle, nämlich das mit Sicherheit unter Folter produzierte "Geständnis" des Deutsch-Afghanen Ahmad Sidiqi, den die US-Fahnder seit Wochen in Bagram drangsalieren: Osama Bin Laden persönlich habe den Plan abgesegnet und sogar Geld für die Logistik gegeben, um Anschläge in Europa zu verüben. Dies habe ihm im Frühsommer 2010 Scheich Younis al-Mauretani bei einem konspirativen Treffen berichtet, der sich selbst als Nummer drei der al-Qaida-Rangfolge vorgestellt habe.

So reichen denn ein paar hingeworfene Brocken lächerlich standardisierter Reizwörter offenbar aus, um eine weitere Etappe des permanenten Krieges zu rechtfertigen und die Verbündeten daran zu hindern, das inzwischen gefährlich leckgeschlagene Boot überstreckter Weltherrschaftsambitionen zu verlassen.

5. Oktober 2010