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KRIEG/1443: Pflichtfach Unterwerfung ... freiwillig in die Schule der Nation (SB)



Als Schule der Nation ist die Wehrpflicht keineswegs passée, nur soll der dort vermittelte Lernstoff nicht mehr zwangsweise verabreicht werden. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, will im Grundwehrdienst nurmehr junge Männer willkommen heißen, die sich positiv für den Wehrdienst entscheiden. Da der freie Willen in der Arbeitsgesellschaft niemals frei von dem Zwang ist, das materielle Überleben zu sichern, soll die Suggestion der Freiheit attraktiver gemacht werden, und zwar "materiell attraktiver, ideell attraktiver durch die Vergabe von Punkten bei der Studienplatzvergabe und ganz zu Ende gedacht muss eigentlich jeder Personalchef bei einer Einstellung fragen: Junge Frau, junger Mann, was hast du für unser Gemeinwesen geleistet?" [1]

Das von dem SPD-Politiker im Deutschlandfunk (21.07.2010) unterbreitete Angebot, sich zur Bundeswehr zu bekennen und die Wehrpflicht nicht mehr als Zwangsdienst zu empfinden, kann nur in einer Gesellschaft funktionieren, in der es um die Erwerbsmöglichkeiten junger Menschen schlecht bestellt ist. Der von Arnold unterbreitete Vorschlag, den freiwilligen Grundwehrdienst mit materiellen Anreizen aufzuwerten, mit moralischem Druck zu armieren und als Karrieresprungbrett für eine längerfristige Verpflichtung oder Offizierslaufbahn zu nutzen läuft auf eine Militarisierung der Gesellschaft hinaus, in der das Soldatentum nicht nur ein Beruf wie jeder andere, sondern Berufung für besonders verantwortungsbewußte Staatsbürger sein soll.

"Die Wehrpflicht als solches ist eine gute Grundlage in unserer Gesellschaft, weil man kann eben nicht alles kaufen. Es gibt eine kollektive Verantwortung für die Sicherheit unseres Landes." [1]

Die geplante Verkleinerung der Bundeswehr geht mit ihrem Umbau zur kampfstarken Einsatzarmee einher. Die reduzierten Erfordernisse der Landesverteidigung werden durch Offensivkapazitäten ersetzt, die einem grundsätzlich anders zu verstehenden Sicherheitsbegriff als dem, der auf der Verteidigung der Bundesrepublik vor möglichen Aggressoren beruht, geschuldet ist. "Sicherheit" als Chiffre für weltweite Interventionen, die im Rahmen einer globalen Ordnungspolitik die hegemonialen Interessen der westlichen Kapital- und Funktionseliten durchsetzen, bedarf des Anscheins generöser Liberalität schon deshalb, weil Übergriffe auf souveräne Staaten nicht anders zu rechtfertigen sind als aus der Position einer höheren Wahrheit heraus. Was am Beispiel der Befriedung Afghanistans nicht nur mit Waffengewalt, sondern dem Transfer "zivilisatorischer" Normen und Werte vorexerziert wird, dient der Verallgemeinerung der kapitalistischen Demokratie als beste aller Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle.

Als Träger dieser Ordnungsgewalt verrichten die neuen Freiwilligen der Bundeswehr ihre "Arbeit" am besten, wenn sie sich ideologisch mit ihrer "Mission" identifizieren können. So schlägt der Verwertungszwang, der sie in eine strikt hierarisch organisierte staatliche Institution treibt, in die gleiche Freiwilligkeit um, die dem Hartz-IV-"Kunden" die Einschränkung seiner Bürgerrechte als in Eigenverantwortung übernommenes Privileg schmackhaft machen soll. Der freiwillige Wehrpflichtige verrichtet den Dienst an der Waffe im angeblich eigenen Interesse an der Durchsetzung einer Verwertungsordnung, die ihm nicht fremder sein könnte, weil sie die Kapitalakkumulation verabsolutiert und menschliche Wünsche und Interessen relativiert. Daß man nicht alles kaufen könne, wie Arnold unter Verweis auf die "kollektive Verantwortung für die Sicherheit unseres Landes" behauptet, ist daher eine ebenso haltlos wie die Unvereinbarkeit von grundgesetzlichem Verteidigungsauftrag und offensiver Kriegführung außerhalb des Bundesgebiets, die Freiwilligkeit der Wehrpflicht oder das Töten von Menschen unter dem Banner humanitären Engagements. Was der SPD-Politiker als von allen Bundesbürgern gleichermaßen zu übernehmende Verantwortung definiert, erweist sich schon am Beispiel der "Leistungsträger", die ihr Kapital in die Produktion von Panzern investieren, und der Lohnabhängigen, die mit diesem Gerät töten und sterben, als grobe Irreführung.

In dieser Schule der Nation lernt der junge Mensch, die kritische Antizipation gesellschaftlicher Widersprüche gar nicht erst in Angriff zu nehmen, sondern das Denken denjenigen zu überlassen, die die Einsatzbefehle ausstellen. Bei der Bekämpfung von Terrorismus, Tribalismus und vormoderner Religiosität in Ländern, deren Bevölkerungen sich der Suprematie der Neuen Weltordnung nicht freiwillig unterordnen wollen, geht die Saat des "positiven Patriotismus" auf vorbildhafte Weise auf. Sollte die Uneinsichtigkeit der von der Freiheit des Kapitals Zwangsbeglückten überhand nehmen, dann weiß man, wieso die Wehrpflicht nicht einfach abgeschafft wird, die Bundeswehr auf das strikt defensive und ausschließlich gegen äußere Aggressoren gerichtete Minimum geschrumpft wird und die damit freigesetzten Mittel für Hilfsprogramme, die nicht den Umweg über die vorherige Zerstörung ihrer Zielländer gehen, eingesetzt werden.

Fußnote:

[1] http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1229419/

21. Juli 2010