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KRIEG/1429: Wie werden die Bundesbürger für den "Afghanistaneinsatz" gewonnen? (SB)



43 Jahre hat es gedauert, bis wieder ein Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Afghanistan besucht. Heinrich Lübke konnte sich damals noch den Luxus eines offiziellen Staatsbesuchs leisten. Bundespräsident Horst Köhler hingegen schwebt unangekündigt ein, um den NATO-Gegnern keine Möglichkeit zu geben, mit dem Beschuß seiner Maschine einen spektakulären Erfolg zu feiern. Auch scheint der Bundespräsident nicht vorzuhaben, die Hand seines Kollegen Hamid Karzai zu drücken oder mit der Bevölkerung des Landes in Kontakt zu treten. Genaugenommen ist seine Stippvisite im nordafghanischen Masar-i-Scharif gar kein Auslandsbesuch. Die Unterbrechung seines Heimflugs aus China führt ihn in ein Feldlager, das angeblich errichtet wurde, um dem grundgesetzlichen Auftrag der Bundeswehr zur Landesverteidigung zu genügen.

Dementsprechend verfehlt wäre es, wenn Köhler die Soldaten, denen er den Rücken stärken will, als Mitglieder von Besatzungstruppen bezeichnete. Ein wichtiges Zugeständnis allerdings macht der Bundespräsident, wenn er erklärt: "Hier, finde ich, fühlen die Soldaten weitgehend, es ist ein Krieg. Und dem werde ich nicht widersprechen." Warum auch, wenn die Bundesregierung sich darin gefällt, mit Zugeständnissen dieser Art das offen zutage Tretende auszusprechen und dennoch nicht einzugestehen. Krieg ist kein Begriff, der sie völker- oder strafrechtlich zu irgend etwas verpflichtete. Dennoch fühlt sich der Bundespräsident bemüßigt, den "Einsatz" der Soldaten als "schwierig und gefährlich, aber richtig und legitim" zu charakterisieren. Letzteres muß den Bundesbürgern, denen dieser Auftritt mindestens so sehr gewidmet ist wie den direkten Adressaten, immer wieder gesagt werden.

Wie schon Tags zuvor der neue Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus bekräftigte, das von seinem Vorgänger betriebene Werben um mehr Empathie und gesellschaftliche Anerkennung für die Soldaten fortzusetzen, so gelobte Köhler den vor ihm angetretenen Truppen, er werde "alles tun, was ich kann, damit in Deutschland gewürdigt wird, was Sie in Afghanistan leisten". Ganz offensichtlich läßt es das Gros der Bundesbürger an Begeisterung für die Kriegführung der Bundesregierung mangeln, ja vielleicht erkennt die Bevölkerung nicht einmal, daß die Soldaten, wie Köhler erklärt, ihr Leben "für Frieden und Freiheit" einsetzen. Um so mehr lobt der Bundespräsident, daß in Deutschland inzwischen intensiv über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan diskutiert werde, und leistet seinen Beitrag dazu mit der Vergewisserung, daß es Ziel der Bundeswehr sei, den Menschen dort zur Seite zu sehen, damit sie den Weg zu Frieden, Menschenrechten und ökonomischer Entwicklung künftig selbst gehen könnten.

Ob sein Einsatz an der Glaubwürdigkeitsfront tatsächlich etwas an der geringen Kriegsbegeisterung der Bundesbürger zu ändern vermag ist zu bezweifeln. Die seit der anwachsenden Zahl gefallener Soldaten verstärkten Bemühungen der Verfassungsorgane, einen Schulterschluß zwischen Kampftruppen und Bevölkerung herzustellen, fruchten vor dem Hintergrund einer Wirtschaftskrise, in der den Menschen täglich vorgerechnet wird, was man ihnen alles zu nehmen plant, immer weniger. Zwar gibt es nur geringen Widerstand gegen die deutsche Kriegspolitik, doch läßt die Unterstützung ebenfalls zu wünschen übrig.

Hier ließe sich zweifellos mehr bewirken, wenn die Repräsentanten in Politik und Gesellschaft nicht mit abstrakten Zielen für die Entsendung deutscher Soldaten in weit entfernte Länder werben, sondern die Sache beim Namen handfester Werte nennen: Im Verbund der NATO Kriege zu führen ist essentieller Bestandteil deutscher Wohlstandssicherung. Nur wenn die Bundesrepublik als militärischer Akteur Stärke zeigt, nimmt ihr die globale Konkurrenz ab, daß die Sicherung des Rohstoffnachschubs und die Funktionsfähigkeit der Verwertungsordnung notfalls auch mit Gewalt durchgesetzt wird.

Die Investition in das Militär, die als versprochene Friedensdividende niemals ausgezahlt wurde und daher neue Rentabilitätsmöglichkeiten finden muß, ist ein Standortfaktor und als solcher auf Gewinn abonniert. Das Vermittlungsproblem, von dem Politiker bisweilen sprechen, wenn sie den geringen Rückhalt der Bevölkerung beklagen, liegt ganz auf deren Seite. Die Bundesbürger würdigen den sogenannten Stabilitätsexport nicht, weil sie nicht begreifen, daß in Afghanistan der Terrorismus bekämpft wird. Ihnen bleibt unverständlich, was hinsichtlich des Preis-Leistungs-Verhältnisses von eingesetzten Soldaten dort und zu erwartendem Schaden hier sowie der unterstellten Terrorismusgenese, die gerade nicht darauf beruhen soll, daß die Bundeswehr sich in Afghanistan Feinde macht, von einer Logik ist, die nachzuvollziehen erhebliche intellektuelle Defizite voraussetzt. So lange sie nicht über den räuberischen Charakter imperialistischer Expansion aufgeklärt werden, um ganz persönliches Interesse an militärischer Durchsetzungskraft zu entwickeln respektive sie erst Recht abzulehnen, bleibt die von Bundespräsident Köhler gelobte Debatte eine Scharade, auf die immer weniger Bundesbürger hereinfallen.

21. Mai 2010