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KRIEG/1419: Kollaborateur Karzai - lavierend zwischen Trotz und Unterwürfigkeit (SB)



Afghanistans Präsident Hamid Karzai, durch schiere Willkür der Besatzungsmächte auf den Schild gehoben und dort mangels Alternativen trotz massiven Wahlbetrugs gehalten, teilt in der dünnen Luft seiner prominenten Position das prekäre Schicksal aller Kollaborateure, die zwei Herren zu dienen versuchen. Wachs in den Händen ausländischer Kräfte, die ihn zum Oberhaupt einer seit jeher in rivalisierende Machtgruppen fraktionierten Gesellschaft erklärt haben, verlangen ihm dieselben Übermächte Durchsetzungsfähigkeit in dieser Statthalterschaft ab, die in seinem Land um so weniger respektiert wird, je deutlicher er als bloßes Werkzeug der verhaßten Okkupation in Erscheinung tritt. Mögen sich die ansässigen Ethnien gegenseitig mißtrauen und die Kriegsherrn einander mitunter bis aufs Blut bekämpfen, so eint sie doch die Ablehnung jeglicher Fremdherrschaft, was bekanntlich dazu geführt hat, daß eine solche am Hindukusch noch nie von Dauer war.

So wenig es sich Karzai folglich in seiner schwankenden Lage mit dem Besatzungsregime verderben darf, so sehr muß er um seine Hausmacht buhlen - und das nicht nur mit Blick auf eine düstere Zukunft ohne die schützende Hand der Invasionsstreitkräfte, sondern schon bei der alltäglichen Simulation einer Führerschaft, die er zwar nicht besitzt, jedoch im Dienst der Fiktion von Demokratisierung und Wiederaufbau vorzuhalten hat. Karzai gleicht mithin einer Marionette, die sich unmöglich von den Fäden lösen kann, ohne augenblicklich jeden Anscheins von Eigenleben verlustig zu gehen, während sie mit ihren Kapriolen einem mißtrauischen Publikum glaubhaft Autonomie vorgaukeln soll.

Der "Bürgermeister von Kabul", wie Karzai hinsichtlich der Grenzen seines Einflusses mitunter genannt wird, kann kaum anders, als sich in einem perfiden Schlingerkurs beiden Seiten wechselweise anzudienen, was zwangsläufig dazu führt, daß er sich dabei Ärger mit der gerade vernachlässigten Fraktion einhandelt. Und da diese Doppelgesichtigkeit ständig wechselnde Episoden verlangt, die an Stelle nicht vorhandener Fortschritte dieselben vorzutäuschen haben, sieht sich der Präsident zu immer gewagteren Manövern gezwungen, die den Rahmen der ihm zugestandenen Improvisation zu sprengen drohen.

Er hat die Präsidentenwahl im vergangenen Jahr wie von den Alliierten gewünscht gewonnen, doch dabei nichts dem Zufall überlassen und massive Manipulationen zu seinen Gunsten in Anspruch genommen. Dafür haben ihn dieselben auswärtigen Regierungen einmal mehr zur Schießbudenfigur gemacht und ihrem Geschöpf scheinheilig die Leviten gelesen, es solle gefälligst den Saustall ausmisten und dafür Sorge tragen, daß künftig alles mit rechten Dingen zugeht. Kommt Karzai dieser Forderung nicht nach, droht ihm der Entzug der Finanzierung künftiger Urnengänge wie der für September angedachten Parlamentswahl, die er zur Legitimierung seiner Regierung dringend braucht. Würde er jedoch tatsächlich die Voraussetzung für ein Wahlverfahren schaffen, das man guten Gewissens demokratisch und unabhängig nennen könnte, muß er gleichermaßen um sein politisches Überleben fürchten.

Zwischen Skylla und Charybdis in Seenot geraten, mag Karzai der selbstgerechte Zorn der Verzweiflung überwältigt haben, wie er jeden wetterwendischen Opportunisten in Vorzeigefunktion heimsuchen muß, wenn er sich als Spielball fremder Kräfte in einer Sackgasse gefangen sieht. Als die US-Regierung seinen geplanten Besuch in Washington strich, weil er die Wahlkommission unter seine Kontrolle bringen wollte, lud er trotzig seinen iranischen Amtskollegen Mahmoud Ahmadinejad nach Kabul ein, worauf die Amerikaner Gift und Galle spuckten. Dann tauchte Barack Obama in einer Nacht- und Nebelaktion in der afghanischen Hauptstadt auf, um Karzai bei seinem ersten Besuch am Hindukusch persönlich unter Druck zu setzen. Und damit nicht genug, verweigerte ihm das Unterhaus des afghanischen Parlaments die Zustimmung zu einer Revision des Wahlgesetzes, mit deren Hilfe er die Ernennung aller Mitglieder der Wahlkommission an sich reißen wollte, von deren fünf Mitgliedern bislang die UNO drei bestimmt.

Ob Hamid Karzai nach diesen Schlägen tatsächlich von einem Wutausbruch übermannt wurde oder im Gegenteil seinem schauspielerischen Talent die Sporen gab, wird sein Geheimnis bleiben. Jedenfalls holte er in einer Rede vor Mitgliedern der Wahlkommission in Kabul, in der er Beobachtern zufolge minutenlang mit sich selbst zu sprechen schien, zu einem heftigen Rundumschlag aus und wagte sich dabei auf das dünne Eis riskanter Aussagen vor, die zumindest aus seinem Mund fast schon grenzwertig klangen. Nicht Afghanen hätten den massiven Wahlbetrug begangen, sondern die Ausländer, wobei er namentlich den früheren stellvertretenden UNO-Sondergesandten Peter Galbraith und den Franzosen Philippe Morillon, der Chef der EU-Beobachterkommission war, sowie die Botschaften verantwortlich machte. Zudem geißelte er ausländische Medien wie die New York Times, die BBC, die Londoner Times und CNN, die genau wüßten, daß seine Wahl korrekt gewesen sei, ihn aber dennoch regelmäßig als Betrüger titulierten, um ihn unter Druck zu setzen.

Der US-Amerikaner Galbraith, den die UNO wegen seiner kritischen Stellungnahme gegen den Wahlbetrug ausgemustert hatte, um die Wahlfarce zu retten, bezeichnete Karzais Bezichtigung als so absurd, daß er sie zunächst für einen Aprilscherz gehalten habe. Wie sollte auch eine Handvoll UNO-Mitarbeiter einen Betrug mit 1,5 Millionen gefälschten Stimmzetteln organisieren. Karzais Rede zeige einmal mehr, wie absolut unzuverlässig diese Figur als Verbündeter sei.

Wesentlich mehr als Karzais abwegige Schuldzuweisungen dürften die westlichen Führungsetagen jedoch folgende Aussagen ihres Statthalters in Kabul geschmerzt haben, der sich fast schon der Diktion des afghanischen Widerstands bediente: "Wir haben nationale Interessen, die in Konfrontation mit den Ausländern Schaden nehmen", zitierte ihn die New York Times (02.04.10). "Wir sollten die Realität und Interessen unseres Volkes voranstellen und in die Zukunft schreiten. Doch wir fühlen den Knoten in unserem Herzen, denn man hat unserer Würde und Tapferkeit Schaden zugefügt und auf ihnen herumgetrampelt. In dieser Situation trennt nur ein dünner Vorhang Invasion von Hilfe und Zusammenarbeit." Sollte sich die Auffassung durchsetzen, daß die westlichen Streitkräfte Eindringlinge seien und die afghanische Regierung deren Söldner stelle, könnte der Aufstand in nationalen Widerstand umschlagen. Näher dürfte Hamid Karzai in seinen öffentlichen Äußerungen wohl nie zuvor der Realität in seinem Land gekommen sein.

Nachdem man in Washington konsterniert nach Luft geschnappt hatte, bezeichnete das Weiße Haus Karzais Rede als "beunruhigend" und beauftragte das Außenministerium damit, eine Klärung herbeizuführen, was nach diplomatischem Code Ausdruck mächtigen Ärgers ist. Wenig später rief Hamid Karzai bei Hillary Clinton an, um ihr treuherzig mitzuteilen, wie erstaunt er über die Aufregung sei, die seine Worte hervorgerufen hatten. Er wolle doch nicht die US-Regierung kritisieren, sondern vielmehr gewisse Medien, die ihn in ein schlechtes Licht gesetzt hätten. Die beiden telefonierten angeblich fast eine halbe Stunde miteinander, und was dabei besprochen wurde, hört sich nach Angaben eines Außenamtssprechers folgendermaßen an: Entschieden, doch keineswegs verärgert habe die Ministerin Karzai dargelegt, daß ihre Regierung die bevorstehenden Aufgaben konzentriert in Angriff nehme. Die Vereinigten Staaten wüßten um ihre Verpflichtung gegenüber Afghanistan, wobei die Regierung natürlich die Berichterstattung im eigenen Land nicht kontrolliere. Karzai habe seinerseits die Partnerschaft der beiden Länder hervorgehoben und seiner Wertschätzung hinsichtlich der Beiträge und Opfer der internationalen Gemeinschaft Ausdruck verliehen.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn die Marionette des Besatzungsregimes in Kabul ihren Herren in Washington damit droht, man könne sie und ihre Regierung als Söldner der Okkupationsmächte ansehen und den Widerstand gegen die fremden Truppen ausweiten. Karzai spielt mit dem Feuer, wenn er sich mit solchen Mitteln unentbehrlich zu machen versucht, und doch bleibt ihm keine andere Wahl, als sich vor seinen Landsleuten im nationalen Pathos zu ergehen, um gleich darauf bei der US-Regierung zu Kreuze zu kriechen und sich für ein angebliches Mißverständnis zu entschuldigen. Letzten Endes spielt er auch in dieser Hinsicht nur das verschlagene Spiel der Amerikaner und ihrer Verbündeten, die ihren Krieg gegen die Afghanen als Befreiung und Förderung des Landes verkaufen, um ihre Heimatfront bei Laune zu halten. Während die Blase allgemeiner Beteiligung an dieser Farce selbst nach mehr als acht Kriegsjahren immer noch hält, sticht Karzai mit spitzer Zunge demonstrativ nach ihr - nicht, um sie selbstmörderisch platzen zu lassen, sondern um die Besatzungsmächte einmal mehr davon zu überzeugen, daß seine Präsidentschaft längst untrennbar mit diesem Lügenballon verwoben sei.

4. April 2010