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KRIEG/1404: Israelischer Militärreport soll Goldstone kontern (SB)



Wie Israels Premierminister Benjamin Netanjahu kürzlich erklärte, stehe sein Land vor drei strategischen Herausforderungen: Dem iranischen Atomprogramm, den auf Zivilisten gerichteten Raketen und Goldstone. Die Bedeutung, die Netanjahu dem Goldstone-Bericht beimißt, verdankt sich der internationalen Reaktion auf die Veröffentlichung des Reports Ende September 2009, in dem die von dem südafrikanischen Richter geleitete UNO-Kommission schwere Vorwürfe gegen Israel und die Hamas erhebt. Die israelische Regierung hatte die Zusammenarbeit mit der Kommission abgelehnt und den Bericht pauschal verworfen. Da dieser jedoch nicht totzuschweigen war, sondern im Gegenteil enorme Beachtung fand, sah sich die israelische Führung genötigt, eine eigenständige Untersuchung durchzuführen (New York Times 24.01.10).

Im Zuge des dreiwöchigen Massakers wurden rund 1.400 Palästinenser getötet und ungeheure Verwüstungen angerichtet, wobei international geächtete Waffen wie weißer Phosphor in dicht bewohnten Gebieten eingesetzt und Einrichtungen der Infrastruktur ohne militärische Funktion zerstört - also Kriegsverbrechen verübt wurden. Nahezu alle international tätigen Hilfsorganisationen und Menschenrechtsgruppen verurteilten das Vorgehen der israelischen Streitkräfte als krasse Mißachtung der Menschenrechte und weltweit anerkannten Normen.

Der Goldstone-Bericht kommt unter anderem zu dem Schluß, daß "die Zerstörung von Einrichtungen der Lebensmittelversorgung, des Abwassersystems, von Zementfabriken und Wohnhäusern das Resultat einer vorsätzlichen und systematischen Politik der israelischen Streitkräfte" war. Israel habe "einen vorsätzlich unangemessenen Angriff mit dem Ziel durchgeführt, die Zivilbevölkerung zu erniedrigen und zu terrorisieren, die ökonomische Kapazität radikal zu reduzieren (...) und ein wachsendes Gefühl von Abhängigkeit und Verletzlichkeit aufzuzwingen."

Die israelische Regierung ist der Forderung Goldstones nicht nachgekommen, eine unabhängige Untersuchung des Angriffs auf den Gazastreifen durchzuführen. Statt dessen arbeiten die Streitkräfte an einer Widerlegung zentraler Vorwürfe des Goldstone-Berichts, die grundsätzlich bestreitet, daß die Tötung von Zivilisten und die Zerstörung ziviler Infrastruktur Teil eines offiziellen Plans zur Terrorisierung der palästinensischen Bevölkerung war. Die Ergebnisse sollen Vertretern der Vereinten Nationen im Laufe der nächsten Wochen vorgelegt werden, so daß der Inhalt vorerst noch unter Verschluß bleibt. Aus Kreisen der beteiligten Offiziere sind jedoch schon vorab einige Details bekanntgemacht worden, um das Feld der Propagandaoffensive zu bestellen.

Grundsätzlich muß man davon ausgehen, daß eine diesbezügliche Untersuchung seitens der israelischen Streitkräfte zu nichts anderem als einer Rechtfertigung des eigenen Vorgehens führen kann, wobei allenfalls einige marginale Verfehlungen eingeräumt werden. Zu anderen Ergebnissen könnte nur ein ziviles Gremium kommen, wobei natürlich sorgfältig zu prüfen wäre, inwieweit dieses Unabhängigkeit für sich in Anspruch nehmen kann. Noch hat die Regierung Netanjahu nicht entschieden, ob die Ergebnisse der von den Militärs veranlaßten Untersuchung einer unabhängigen Prüfung unterzogen werden, wie sie der Goldstone-Bericht gefordert hat. Sollte es zu einer derartigen Bewertung kommen, dürfte es sich aller Voraussicht nach um ein zahnloses Gremium handeln, das nicht zur Vorladung von Zeugen ermächtigt ist, da mit deren Auswahl und Aussage die Stoßrichtung einer Untersuchung steht und fällt.

Im November hatte Brigadegeneral Yuval Halamish, ein ehemaliger Kommandeur des Geheimdienstes, eine Untersuchung geleitet, in deren Rahmen zahlreiche Befragungen von israelischen Soldaten und palästinensischen Zeugen durchgeführt sowie Video- und Fotomaterial der Streitkräfte ausgewertet wurden. Die Ergebnisse legte er Generalmajor Avichai Mandelblit, dem Chefjuristen der Armee, vor. Dieser steht zwar außerhalb der Militärhierarchie, trägt aber Uniform und gab vor der Operation "Gegossenes Blei" Rechtsbeistand, weshalb er als Insider einzustufen ist.

Mandelblit zog in einem Interview gegen den Goldstone-Bericht vom Leder, der seines Erachtens über alle ansonsten gegen Israel erhobenen Vorwürfe weit hinausgeht. Er habe von Human Rights Watch über Amnesty International bis hin zur Arabischen Liga jeden einzelnen Report studiert und könne anhand des Vergleichs beurteilen, daß der Goldstone-Bericht außerordentlich verwerflich sei. Dieser erwecke den Eindruck, man habe gezielt Zivilisten und die wirtschaftliche Infrastruktur angegriffen. Da sei eine schändliche Lüge.

Offenbar haben sich die Militärs auf die Version eingeschossen, im Grunde habe weder die Regierung, noch der Generalstab die Invasion im Gazastreifen im Dezember 2008 gewünscht. Angesichts des Raketenbeschusses durch die Hamas habe man sich jedoch zum Handeln gezwungen gesehen und daraufhin unter mehreren Optionen jene Vorgehensweise gewählt, welche die am wenigsten aggressive war. Dies erklärte allen Ernstes ein an der Untersuchung beteiligter Offizier, der namentlich nicht genannt werden wollte. Wenn das Blutbad in Gaza und das zügellose Zerstörungswerk tatsächlich die moderateste Variante gewesen sein soll, muß man sich fragen, in welchen Dimensionen des Grauens für die Palästinenser die israelischen Militärs zu denken pflegen.

Brigadegeneral Halamish behauptete in einem Interview, die Armee habe damals entschieden, nicht allzu viele Führungspersonen der Hamas anzugreifen, da diese inmitten von Kindern und alten Leuten lebten. Während der Operation habe man jeden Tag drei Stunden lang das Feuer eingestellt, damit Lebensmittel und andere Versorgungsgüter nach Gaza gebracht werden konnten. Die Hamas habe jedoch diese Feuerpausen nicht eingehalten und sogar die zivilen Lastwagen überfallen. Diese Version einer angeblich zurückhaltenden Kriegsführung unter bestmöglichem Schutz der Zivilbevölkerung ist an Zynismus kaum zu überbieten, zumal sogar die Hamas bezichtigt wird, sie habe die Versorgung der seit Jahren unter der Blockade leidenden Bevölkerung verhindert.

Der Goldstone-Bericht listet die Zerstörung der einzigen Getreidemühle des Gazastreifens auf, die durch einen Luftangriff zerstört worden sei. Das ist falsch, behaupten die Ermittler der Streitkräfte, da sie über Beweise in Gestalt von Fotoaufnahmen verfügten, denen zufolge die Mühle während eines Schußwechsels zufällig von der Artillerie getroffen wurde. Und wie verhielt es sich mit der Zerstörung einer Kläranlage, bei der gewaltige Mengen ungereinigten Abwassers die Umgebung überschwemmten? Das war keine Rakete, wie im Goldstone-Report vermerkt, sondern vermutlich von Sprengkörpern der Hamas verursacht, heißt es dazu. Brunnen, Hühnerfarmen, eine Zementfabrik und nicht zuletzt rund 4.000 Wohnhäuser - alles Zufälle, Kollateralschäden oder Schuld der Hamas? Ebensogut kann man mit einer Dampfwalze über eine Wiese rollen und hinterher treuherzig versichern, man habe nicht im Leben im Sinn gehabt, die eine oder andere Blume zu zerquetschen.

25. Januar 2010