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KRIEG/1400: Im "nichtinternationalen bewaffneten Konflikt" stehen Grundrechte zur Disposition (SB)



Wenn die Bundeswehr nach der von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg erwogenen Neubewertung in Afghanistan nicht mehr in einem "Stabilisierungseinsatz", sondern einem "nichtinternationalen bewaffneten Konflikt" steht, dann kann der Krieg endlich mit Offensivwaffen geführt werden, derer man sich bislang enthalten hat, weil sie den vorgeblichen Schutzauftrag des ISAF-Mandats obsolet machten. Der von Kriegsbefürwortern seit langem verlangte Einsatz von Distanzwaffen wie der Panzerhaubitze 2000, mit denen sich die Taliban auch dann bekämpfen lassen, wenn sie sich nicht in unmittelbarer Nähe der Bundeswehrsoldaten befinden, würde den Blutzoll, den die Bundeswehr der afghanischen Bevölkerung abverlangt, sprunghaft ansteigen lassen.

Die vor allem aus juristischen und verfassungsrechtlichen Gründen geführte Debatte um die Benennung einer Situation, die nach menschlichem Ermessen nichts anderes als ein Krieg ist, den ausländische Truppen gegen eine einheimische Guerilla führen, fiele damit ganz zum Vorteil der deutschen Besatzer aus. Während die Taliban und andere bewaffnete Besatzungsgegner weiterhin als Nichtkombattanten gelten sollen, verschaffte sich die Bundeswehr eine Art abgeschwächtes Kriegsrecht, das sie zu Offensivhandlungen ermächtigte, obwohl sie weiterhin nicht im Krieg stände.

Da die Genfer Konventionen nach den Befreiungskriegen der Länder des Südens gegen die europäischen Kolonialmächte auch Guerillakämpfer in ziviler Kleidung, wenn sie ihre Waffen offen tragen, als Kombattanten anerkennen, krankt die von der Bundesregierung vertretene Behauptung, bei den Taliban handele es sich um Terroristen, mithin um Kriminelle, an dem Problem, das die Ausweitung der eigenen Handlungsvollmachten theoretisch auch den dagegen gerichteten Widerstand rechtlich aufwertete. Während man sich also der Anerkennung dessen annähert, daß die Bundesrepublik am Hindukusch Krieg führt, muß sie eben dies nicht nur aufgrund der Problematik, daß ein solcher nach wie vor an den Verteidigungsfall gebunden wäre, unbedingt vermeiden.

So entstehen aus der politischen Strategie, imperialistische Kriege zu führen und diese als ordnungspolitisch notwendige Polizeioperationen auszuweisen, rechtliche Hybridformen, mit denen in der Grauzone zwischen Krieg und Frieden Möglichkeiten staatlicher Gewaltanwendung geschaffen werden, die viel weiterreichende Auswirkungen haben könnten, als daß sie die Bundesregierung nur ermächtigen, die Bundeswehr zu Kampfeinsätzen in fremde Ländern zu schicken. Auf die Usurpation der Definitionsgewalt über den Status eines einheimischen Widerstands in von der Bundeswehr besetzten Ländern folgt die Aufhebung grundrechtlicher Barrieren gegen die Anwendung militärischer Gewalt im eigenen Land auf dem Fuße.

Wie sich die Vollmacht, unerklärte Kriege zu führen, die völkerrechtlich nicht als solche bezeichnet werden und die aufgrund ihres beanspruchten polizeilichen Charakters wie des als nichtstaatlich ausgewiesenen Gegners territorial entgrenzt sind, auf die rechtliche Verfaßtheit westlicher Demokratien auswirkt, haben die USA mit der Entrechtung ihrer Gegner als "illegale feindliche Kombattanten", mit der präsidialen Vollmacht, diese foltern zu lassen, und dem Vorrecht ihrer Streitkräfte, überall auf der Welt mit tödlicher Gewalt zuzuschlagen, demonstriert. Dabei wurden auch US-Bürger in Administrativhaft gesteckt und im Einzelfall jahrelang unter Mißachtung ihres Rechts auf die gerichtliche Überprüfung ihrer Freiheitsberaubung festgehalten. Indem der militärische Gegner nicht als Kombattant anerkannt wird, sondern als Terrorist alle Rechte verwirkt hat, wird er zum Nichtmenschen, der der Willkür staatlicher Gewalt ohnmächtig ausgeliefert ist. Abstrahiert man von Einzelfällen auf den Rechtsstatus der Gesamtbevölkerung, denn wird der Volkssouverän im Terrorkrieg durch die Exekutive entmachtet und entrechtet, also einer virtuellen Diktatur unterworfen.

10. Dezember 2009