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KRIEG/1386: Großmachtambitionen ... Jungs Rücktritt, Guttenbergs Aufstieg (SB)



Mit dem Rücktritt des Ministers für Arbeit und Soziales, Franz Josef Jung, wegen seiner irreführenden Informationspolitik als ehemaliger Verteidigungsminister zur Bombardierung zweier von den Taliban entführter Tanklastzüge wurde der politische Preis für die Teilnahme der Bundesrepublik an der Besetzung Afghanistans weiter erhöht. Wenn drei hochrangige Amtsinhaber, neben Jung der Generalinspekteur der Bundeswehr Wolfgang Schneiderhan und Verteidigungsstaatssekretär Peter Wichert, den Hut nehmen müssen, obwohl sich an der positiven Bewertung dieses Luftangriffs bisher nichts geändert hat, dann wird die öffentliche Aufmerksamkeit auf einen Nebenkriegsschauplatz gelenkt, um an der Hauptkampflinie, dem Aufbau der Bundesrepublik zu einem Akteur in imperialistischen Kriegen, für Ruhe zu sorgen.

Als strahlender Sieger aus diesem politischen Kehraus geht Jungs Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg hervor. Sein Auftritt vor dem Verteidigungsausschuß des Bundestags war von allgemeiner Zustimmung ob der Ankündigung geprägt, den Abgeordneten "ein Höchstmaß an Transparenz anzubieten", indem er ihnen auch bisher geheimgehaltene Informationen und Dokumente zum Luftangriff am Kunduz-Fluß verfügbar machen will. Mit der Aussage, ihm seien insgesamt neun Berichte und Einschätzungen zu dem Luftangriff vorenthalten worden, stellt sich Guttenberg als Opfer der schlechten Amtsführung seines Vorgängers dar und erweckt den Eindruck, seine bisherige Behauptung, der Luftangriff wäre erforderlich gewesen, beruhe auf einem lückenhaften Kenntnisstand.

Dem ist zweifellos nicht so, wie die allgemein verfügbaren Informationen über die Immobilität der Tanklaster, die falsche Angabe des kommandierenden Bundeswehroffiziers, von diesen gehe eine unmittelbare Bedrohung aus, seine Weigerung, die bei den LKWs befindlichen Menschen nicht durch einen Tiefflug vor der Bombardierung zu warnen, und die von den Taliban eingeschlagene, vom Bundeswehrlager wegführende Fahrtrichtung belegen. Daß nun detaillierte Informationen über zivile Opfer verfügbar sind, hat mit der nach militärischer Maßgabe getroffenen Entscheidung, die Tanklaster aufgrund der angeblich von ihnen ausgehenden Bedrohung zu zerstören, nichts zu tun. Schon der Überraschungscharakter des Luftangriffs und der Verzicht auf weniger aggressive Maßnahmen zur Zurückeroberung oder Zerstörung der Tanklaster belegt, daß man, um möglichst viele Taliban zu treffen, Opfer unter der Zivilbevölkerung im Zweifelsfall in Kauf nimmt.

Die nun vorliegende Erkenntnis, daß es gar nicht möglich war, mit Hilfe der Luftbilder und des nicht vor Ort befindlichen afghanischen Informanten zuverlässige Aussagen über die Anwesenheit von Zivilisten zu treffen, bestätigt dies. Es war schon kurz nach dem 4. September klar, daß von den Tanklastern schlimmstenfalls eine mittelbare Bedrohung ausging, die durch defensivere Maßnahmen wie eine Bodenoperation beherrschbar gewesen wäre. Die in der selektiven Kritik an Oberst Klein enthaltene Suggestion, man wähle üblicherweise die am wenigsten zerstörerische Option, wird durch zahlreiche Bombenangriffe mit zivilen Verlusten widerlegt, die unter ISAF-Kommando erfolgten.

Dementsprechend produzierte die strafrechtliche Verfolgung des kommandierenden Offiziers Georg Klein lediglich ein weiteres Bauernopfer. Der Eskalation der Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan liegt das Problem zugrunde, daß der offizielle Schutzauftrag der Besatzungsmächte zusehends mit dem Widerwillen der einheimischen Bevölkerung, ihre politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse durch ausländische Akteure bestimmen zu lassen, kollidiert. Sollte es zu einer negativen Neubewertung des Luftangriffs kommen, dann hätte dies bestenfalls Folgen für die Rules of Engagement, an denen die Vorgehensweise der Bundeswehr orientiert ist. Selbst wenn diese defensiver ausgelegt würden, wäre die Bundeswehr in Kämpfe mit Besatzungsgegnern verstrickt, die immer auch zivile Opfer zur Folge hätten. Letztendlich führt die weitere Verrechtlichung des Afghanistaneinsatzes zu einem Zugewinn an Legitimation, der die Gültigkeit der acht Jahre alten UN-Mandate, die schon damals sehr großzügig zugunsten der Invasoren und Besatzer ausgelegt wurden und deren Ausgangsbedingungen sich inzwischen stark gewandelt haben, zugunsten der NATO bestätigte.

Die politischen Kosten für die Fortsetzung der Besetzung Afghanistans fallen mit drei Rücktritten weit geringer aus, als wenn sich eine breite Bewegung unter den Bundesbürgern gegen diesen Krieg formierte. Mit dem Aufstieg des moderat wirkenden Krisenmanagers Guttenberg, der seinen Soldaten die Stange hält und als medial gefeierter Shooting Star über hohe Sympathiewerte verfügt, wird dieser ohnehin entlegenen Möglichkeit wirksam entgegengetreten. Mit diesem Verteidigungsminister, der den Afghanistankrieg weit überzeugender zu verkaufen weiß als sein Vorgänger und über beste Kontakte nach Washington verfügt, sind ideale Voraussetzungen für eine noch aggressivere deutsche Außenpolitik gegeben.

Mit der Aufstockung der US-Truppen in Afghanistan auf bis zu 100.000 Soldaten wird der Bundesregierung, wenn sie nicht auf Gegenkurs zur Obama-Administration gehen will, die Marschrichtung in diesem Krieg noch verbindlicher vorgeben werden. Es wird ihr kaum die Möglichkeit bleiben, die ihr von den Verbündeten seit jeher negativ angelastete Zurückhaltung bei der militärischen Durchsetzung der Ziele der NATO in Afghanistan beizubehalten. Auf jeden Fall wird das Argument, man müsse in der Kriegführung eng mit den USA zusammenarbeiten, mehr Gewicht erhalten, so daß operative Anpassungen in diese Richtung, zumal mit einem PR-Experten vom Schlage Guttenbergs, überzeugend verkaufen zu sein werden. Die Ambitionen der Bundeskanzlerin Angela Merkel, Deutschland zu einem gewichtigen Akteur auf dem Feld der internationalen Politik zu machen, sind ohne die Adaption der Methoden und Strategien der US-amerikanischen Hegemonialpolitik nicht zu verwirklichen. Der aktuelle Eklat eignet sich bestens dazu, auf diesem Feld aufzuschließen und nach vorne zu preschen.

27. November 2009