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KRIEG/1382: Afghanen verweigern Besatzern den großen Bürgerkrieg (SB)



Die gigantischen Militärstützpunkte im Irak legen ebenso wie die geplanten oder bereits installierten Zentralen massiver Präsenz US-amerikanischer Streitkräfte und Geheimdienste in Afghanistan beredtes Zeugnis von der Entschlossenheit der Besatzer ab, sich in dieser Weltregion festzusetzen und nicht wieder abzuziehen. Zerschlagene und dauerhaft fragmentierte Staaten im Mittleren Osten stellen nur eine Etappe auf dem Weg zur künftigen Konfrontation mit Rußland und China dar, wofür der zentralasiatische Angriffskeil mit Blick auf die Sicherung der Ressourcen, die geostrategische Positionierung und die Verhinderung eines asiatischen Bündnisses unverzichtbare Voraussetzung ist.

Was von den Alliierten im Irak als Erfolg verkauft wird, ist weder Frieden noch Wohlstand für die Iraker, von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ganz zu schweigen. Angestrebt ist vielmehr die Gewährleistung einer dauerhaften Präsenz westlicher Mächte mit schrittweise reduziertem Truppenaufwand, während sich von der Okkupationsmacht angestachelte und aufgerüstete regionale Fraktionen gegenseitig zerfleischen und in Schach halten. Im Zweistromland allenfalls im Ansatz gelungen, soll das zum Erfolgsmodell hochstilisierte Verfahren auf Afghanistan übertragen werden, wo es noch weniger funktioniert. Offenbar eint die Menschen am Hindukusch ungeachtet ihrer sonstigen Zerwürfnisse insbesondere die traditionelle Feindseligkeit gegen fremde Besatzungsmächte sowie die Überzeugung, daß ihr Land wie in der Vergangenheit auch künftig ein Friedhof der Imperien sein wird.

Wie wollen die Amerikaner und ihre Verbündeten diese Lektion vergessen machen? Daß man den Krieg mit den bereits eingesetzten Mitteln nicht gewinnen kann, spricht inzwischen jeder offen aus - allen voran die Generalität, die ihrer ewigen Logik folgend auf Brachialgewalt setzt und dem gefürchteten zweiten Vietnam mit der Vietnamisierung Afghanistans begegnen will. Sich im Kreis zu drehen, ist freilich nicht allein das Problem der Militärs, wie Obamas ratloses Zögern dokumentiert, der die Demaskierung des Raubtiers so lange wie irgend möglich zu vertagen sucht. Will man die europäische Kumpanei in den rückhaltlosen Dienst pressen, muß man den kriegslüsternen Regierungen der alten Welt Zeit lassen, ihre Untertanen über den Tisch und in den Panzer zu ziehen.

Wo die stärksten Waffen sind, sitzt auch das meiste Geld, was die Besatzer längst auf den Gedanken gebracht hat, in Afghanistan zu kaufen, was man mit Raketen und Granaten nicht auf Kurs bombardieren kann. Also bezahlt man "die Taliban" dafür, daß sie Konvois passieren lassen, Feldlager ignorieren und Verkehrswege nicht verminen, was den Eindruck erwecken mag, man habe bestimmte Regionen unter Kontrolle. Insurgenten zu finanzieren, ist dabei kein Fehler im System, sondern bewährtes und unverzichtbares Mittel im Stellvertreterkrieg. Problematisch ist für die Besatzer allerdings, daß die Afghanen ihre aus westlichen Töpfen gesponsorte Aufrüstung nicht im erhofften Umfang in blutige Bruderkriege ummünzen, sondern stärker denn je in den zurückliegenden acht Jahren gegen die Okkupationstruppen richten.

Deren jüngster Geistesblitz auf der Suche nach einem Durchbruch in ausweglosem Terrain ist die Rekrutierung von Stammesmilizen gegen "die Taliban", wogegen man allerdings sofort einwenden kann, daß es sich keinesfalls um eine neue Idee handelt. Angeblich überrascht von dem Phänomen, daß sich im entlegenen Hinterland einige Dörfer mit Waffengewalt gegen nicht ortsansässige Kämpfer wehren, die sie in Kriegshandlungen einbeziehen wollen, verkauft die US-Propaganda dies bereits als Community Defense Initiative, die man als Keimzelle und Modell einer innovativen Strategie für das Kernland "der Taliban" im Süden und Osten des Landes propagiert.

Wie die New York Times (22.11.09) angetan berichtet, gebe es offiziellen Angaben zufolge bereits "Hunderte" Afghanen, die auf eigene Faust gegen fremde Insurgenten vorgehen. Sollte das der langersehnte Umschwung in Gestalt des schmerzlich vermißten Bürgerkriegs sein? Könnte man nur aus den Hunderten bald Tausende einheimische Kämpfer im ganzen Land machen, hätte man Milizen, welche die amerikanischen Soldaten und afghanischen Sicherheitskräfte unterstützen, ja womöglich sogar die vielbeklagte Lücke zwischen beiden schließen. Hätten die Afghanen erst einmal begriffen, daß sie für ihre Sicherheit selbst verantwortlich sind, käme der Stein ins Rollen, der sich zur Lawine auswächst und "die Taliban" unaufhaltsam niederwalzt.

Indessen stellt sich sofort die Frage, ob man mit diesem Verfahren nicht schlichtweg neue Kriegsherren heranzüchtet, die kurzerhand den Platz der verdrängten Insurgenten einnehmen und zudem die Bevölkerung drangsalieren. Das dürfe selbstverständlich nicht geschehen, weshalb man die Milizen einerseits regional kleinhalten und andererseits der Regierung in Kabul unterstellen will, heißt es dazu aus US-Militärkreisen in der afghanischen Hauptstadt, wobei die Doppelstrategie natürlich ein Widerspruch in sich ist. Das Kernproblem bleibt ohnehin ungelöst: Was hindert die Milizen daran, ihre Waffen gegen afghanische Soldaten, die noch verhaßteren Polizisten und insbesondere die Amerikaner und sonstigen Okkupationstruppen zu richten, die in ihrem Stammesgebiet am allerwenigsten zu suchen haben?

22. November 2009