Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1381: Mexikos Debakel an der Brust der Gringos (SB)



Die Tausende Kilometer lange Südgrenze der Vereinigten Staaten manifestiert die weltweit signifikanteste Demarkationslinie zwischen Reichtum und Armut, woran auch der Umstand nichts ändert, daß Millionen Bürger des wohlhabendsten Landes hungern. Nicht umsonst wird das Sperrwerk auf nördlicher Seite fortgesetzt aufgerüstet, als gelte es eine zutiefst verfeindete Macht fernzuhalten. Während nämlich der Warenverkehr zum Zweck der Ausbeutung und Profitmaximierung reibungsarm passieren soll, will man sich gegen die Opfer der Plünderung und Folgen der Verheerung abschotten.

Das gilt um so mehr in der endzeitlich anmutenden Epoche weltweiter Hungerrevolten, in der die Eliten ihren Zugriff auf die nur für eine Minderheit ausreichenden und zunehmend knapper werdenden Ressourcen zu Lasten einer Mehrheit der Menschheit, die der Vernichtung preisgegeben wird, vervollkommnen und konsolidieren. Da die USA ihre Häfen und Flughäfen nahezu hermetisch gegen unerwünschte Migranten abschotten, bleibt die in schwindenden Abschnitten noch nicht vollkommen überwachte Südgrenze das verbliebene Tor für Migranten aus Mexiko, ganz Mittelamerika und der Karibik, ja selbst Südamerika, Afrika und Asien.

Dem Nachbarland Mexiko kommt in diesem Zusammenhang eine besondere und höchst zwiespältige Funktion zu. Indem es sich dem größten Räuber in der Hoffnung andient, dank treuen Vasallentums bevorzugt von den Brocken zu profitieren, die von der Tafel des Herrn fallen, wird es mit einem Ritterschlag geadelt, dessen Segen seine herrschenden Klassen abschöpfen, während der Fluch auf das gemeine Volk umgelastet wird. Als weitaus schwächstes Mitglied der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) mit den USA und Kanada, ist Mexiko in diesem Pakt der Juniorpartner, der mit seiner Substanz die Ökonomien des Nordens nähren muß.

Die zentrale Aufgabe Mexikos im Dienst seiner nördlichen Nachbarn ist eine Pufferfunktion gegen den Süden, die wie ein Filter durchschleust, was immer die unstillbare Gier des weltweit größten Verschlingers begehrt, jedoch Hungerleidern und mörderischen Kriegen um den letzten Schluck Wasser und Bissen Brot die Passage verwehrt. Gegessen wird im Norden, gestorben im Süden, lautet die Faustregel der Überlebenssicherung, in deren Verfolgung die Mexikaner um ihres erhofften Konkurrenzvorteils willen die Tore für ihren traditionellen Erzfeind sperrangelweit aufgetan haben, der dies keineswegs mit derselben Öffnung und Freizügigkeit honoriert.

Unter den brutalen Folgen dieser Wächterfunktion im Dienst des Imperiums ist der Krieg gegen die Kartelle das augenfälligste Szenario bellizistischer Vorwandslagen zur Durchdringung des Südens mit einem legalistischen Kontrollregime, das die Souveränität von Staaten pulverisiert und die Intervention zum Normalfall weltpolizeilich vorgetragener Innenpolitik erklärt. Die Kulmination des Schlachtens in Mexiko, dem längst mehr Menschen pro Jahr zum Opfer fallen als im Irak und Afghanistan, verdankt sich dem zwangsläufigen Stau der mit dem Drogengeschäft verbundenen Eskalation der Konkurrenz um Pfründe und Einkünfte in einem Umfeld wachsender Verelendung, die sich die Hegemonialmacht mit militärischen, geheimdienstlichen und administrativen Mittel vom Leib hält. Obgleich der größte Drogenkonsument, verlagern die USA das Hauen und Stechen um die Produktion und Distribution der insbesondere durch ihre Illegalisierung aufgewertete Ware auf den Rücken vorgelagerter Hilfsvölker, deren Wanderbewegung sich an dem Sperrwall bricht und in tosender Brandung zurückschlägt.

Mexikos Präsident Felipe Calderón, der sich die Doktrin des "Antidrogenkriegs" in der Hoffnung qualifizierter Herrschaftssicherung der nationalen Eliten zu eigen gemacht hat, wird für den grausamen Preis, den er seine Landsleute bezahlen läßt, von Washington mit milliardenschwerer Rüstungshilfe alimentiert. Die Parallelen zu Kolumbien sind frappant und geradezu zwangsläufig, unterwirft sich die politische Führung Mexikos doch demselben strategischen Kalkül der Übermacht, die den Konflikt mit dem Ziel der Destabilisierung, Fragmentierung und Verfügbarmachung finanziert und schürt.

Das aufgrund seiner leidvollen Erfahrungen mit dem imperialistischen Nachbarn traditionell auf Abgrenzung bedachte Mexiko, welches seine Ressourcen bis in die Verfassung hinein vor fremden Plünderern schützte und seine politischen, juristischen und administrativen Strukturen abschottete, gehört endgültig der Vergangenheit an. Von dem Heilsversprechen der Öffnung überwältigt und zugleich von den Verlockungen der Teilhaberschaft in den Bann geschlagen, wurde die mit dem NAFTA-Beitritt von langer Hand auf den Weg gebrachte Überantwortung insbesondere unter den konservativen Präsidenten Vicente Fox und Felipe Calderón forciert, die mit den Luftschlössern von Aufstieg und Wohlergehen an der Brust der Gringos hausierten, als sei man ausgerechnet dort am sichersten vor den unablässig rauchenden Colts.

19. November 2009