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KRIEG/1360: Augen zu und durch ... Regierungserklärung zu Afghanistan (SB)



"Jeder in Afghanistan unschuldig zu Tode gekommene Mensch ist einer zu viel." Angela Merkel redet in ihrer Regierungserklärung an dieser Stelle dankenswerterweise Klartext. Indem sie den Tod Unschuldiger prinzipiell verwirft, bejaht sie den Tod angeblich Schuldiger explizit. Damit gibt auch sie positiv zu erkennen, daß die Bundeswehr Krieg führt, daß sie über den Auftrag verfügt, den Feind nicht nur in Selbstverteidigung zu töten, sondern ihn in der Absicht, ihm eine Niederlage zuzufügen, umzubringen.

Die Schuld der Taliban ergibt sich in dieser Sprachregelung aus ihrem Widerstand gegen eine Besatzungsmacht, die die Kompetenz, über Recht und Unrecht zu bestimmen, schlicht aus der Überlegenheit ihrer Waffen bezieht. Dementsprechend rechtfertigt die Bundeskanzlerin den Krieg mit der Behauptung, er trage dazu bei, "die internationale Sicherheit, den weltweiten Frieden und Leib und Leben der Menschen hier in Deutschland vor dem Übel des internationalen Terrorismus zu schützen". Acht Jahre Krieg, Tausende ziviler Opfer, Milliarden für Waffengewalt - der Aufwand ist nicht nur beträchtlich, sondern dementiert Merkels Kriegsgründe auf direktem Weg. "Internationale Sicherheit" durch die Provokation einer Bevölkerung zum bewaffneten Widerstand gegen ausländische Besatzer oder zumindest durch die Einmischung in einen Bürgerkrieg, dessen Beendigung auf diese Weise verhindert wird, zu schaffen ist das Programm einer Weltordnungsdoktrin, die in der Destabilisierung ganzer Regionen den eigenen strategischen Vorteil sucht.

Nach Afghanistan wird, wie behauptet, Stabilität exportiert, indem man seiner Bevölkerung eine Ordnung aufoktroyiert, die nicht anders als die angeblich zu verhindernde der Taliban auf Gewalt basiert. Daß der sich dagegen formierende Widerstand schlimmstenfalls auch die Länder betreffen könnte, die sich als Exporteure ihrer Ordnung zu den Sachwaltern universaler Werte erklären, liegt auf der Hand. Eben darum erklärt die Bundeskanzlerin kategorisch: "Deshalb sollte niemand die Ursachen verwechseln. Der Afghanistan-Einsatz ist unsere Reaktion auf den Terror, er ist von dort gekommen und nicht umgekehrt".

Das muß den Bundesbürgern schon gesagt werden, könnten sie doch vergessen haben, daß ein schattenhafter Osama bin Laden, von dem man längst nicht mehr weiß, ob er überhaupt lebt, angeblich in einer afghanischen Berghöhle hochkomplexe Anschläge geplant hat, deren konkrete Ausführung niemals mit unbezweifelbarer Beweiskraft aufgeklärt wurde. "Unsere Reaktion" betrifft zudem ein Geschehen, das sich in den USA ereignet hat, die mit den Bin Ladens und Saddam Husseins dieser Welt stets einen ganz besonderen, zwischen Instrumentalisierung und Dämonisierung wahlweise changierenden Umgang pflegten.

Die von Merkel als Beleg für die Deutschland nicht auslassende Gefahr des Terrorismus angeführte Sauerlandgruppe ist kaum geeignet, diese von ihr konstatierte Kausalität des Geschehens zu belegen. So handelt es sich nicht um Afghanen, sondern um hauptsächlich in Deutschland aufgewachsene Männer, die sich als Gotteskrieger verstehen oder verstanden haben, um das unter anderem in Guantanamo und durch die Aktivitäten US-amerikanischer Truppen in islamisch geprägten Staaten an Muslimen begangene Unrecht zu sühnen. Auch wenn sie sich in sogenannten Terrorcamps unterweisen ließen, sind ihre Anschlagsplanungen Produkte einer Sozialisation in der Bundesrepublik und einer Sicht auf die Welt, die bereits vom Terrorkrieg bestimmt war, bevor sie sich dem Jihad zuwandten wie Jugendliche, denen der Sinn nach einem außergewöhnlichen Abenteuer steht. Gerade dieses Beispiel weist zu viele Widersprüche auf, als daß es sich für die genuine Verortung des Terrorismus in Afghanistan nutzen ließe.

Zwar ist eine Regierungserklärung eine politische Stellungnahme, deren Argumente nicht der Beweiskraft einer Aussage in einer Gerichtsverhandlung genügen müssen. Es ist jedoch nicht nebensächlich, wenn die Regierungschefin die Kriegführung der Bundesrepublik mit in vielerlei Hinsicht brüchigen Argumenten verkauft, während sie über die politischen Zwänge und Interessen, die ihr zugrundeliegen, kein Wort verliert. Das Drohbild eines obskuren Feinds, über den man nichts Genaues weiß und der deshalb um so entschiedener bekämpft werden muß, ist jedenfalls nicht dazu geeignet, einen verheerenden Luftangriff auf rationale Weise zu begründen. Merkels Warnung, laut der "die Folgen von Nichthandeln" ebenso beobachtet würden "wie die Folgen von Handeln", verortet die Motive ihrer Kriegführung vollends im Numinosen. Die Frage danach, wer und was genau mit einem Terrorismus gemeint ist, der die Welt angeblich so sehr bedroht, daß gigantische Militärapparate zu seiner Bekämpfung aufgefahren und die Grundrechte der angeblich gefährdeten Gesellschaften geschliffen werden, bleibt auch nach dieser Regierungserklärung unbeantwortet.

8. September 2009