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KRIEG/1340: Wie leistet man "konstruktive Kritik" an der Bundeswehr? (SB)



Wie leistet ein Antimilitarist und Kriegsgegner "konstruktive Kritik" an der Bundeswehr? Diese Frage stellt sich nach dem Gerichtsbescheid, mit dem eine Demonstration gegen die Gelöbnisfeierlichkeiten am 20. Juli vor dem Berliner Reichstag untersagt wurde. Wie das Komitee für Grundrechte und Demokratie in einer Pressemitteilung (20.07.2009) bekanntgab, habe das Gericht den Bürgern, die gegen die öffentliche Rekrutenzeremonie hör- und sichtbar Protest einlegen wollten, lediglich ein "Kommunikationsgrundrecht" attestiert, bei dessen Wahrnehmung auf lautstarke Mittel, die eigene Ansicht kundzutun, zu verzichten sei. Anstatt darauf aufmerksam zu machen, daß nicht alle Bundesbürger der Ansicht der Bundeskanzlerin und ihres Verteidigungsministers sind, die Streitkräfte des Landes weit über ihren defensiven Auftrag hinaus in ferne Kriege zu schicken, sollen sich Demonstranten künftig darauf beschränken, lautlos Plakate hochzuhalten, auf denen lediglich "konstruktive Kritik" geübt wird.

Was also ist "konstruktive Kritik" an der deutschen und EU-europäischen Kriegspolitik? Sollte man etwa darauf verweisen, daß die Schützenpanzer doch lieber durch die Straßen deutscher Großstädte als über afghanische Feldwege patrouillieren sollen, um die vielbeschworenen terroristischen Anschläge abzuwehren? Sollte man vorschlagen, die Taliban und ihre sie deckenden Clans mit Flächenbombardements auszurotten, um anschließend dazu überzugehen, die pakistanischen Atombomben mit einem nuklearen Präventivschlag zu zerstören? Oder sollte man, wie die humanitären Bellizisten im Bundestag, mehr Investitionen in den Aufbau der Zivilgesellschaft fordern, auf daß die Afghanen endlich am Wesen der NATO-Suprematie genesen können? Sicherlich leuchtet es ihnen ein, daß politische Versammlungen so gesittet wie der Besuch einer Moschee zu erfolgen haben, wenn man nicht riskieren will, von durch deutsche Ausbilder geschulten Polizisten auf schmerzhafte Weise über die Tugenden der Demokratie lektioniert zu werden.

"Konstruktive Kritik" ist ein Widerspruch in sich. Wenn Kritik nicht frei von jeder Vorbedingung artikuliert werden kann, sondern normativen Vorgaben unterworfen wird, ist es keine, sondern eine mehr oder weniger weichgespülte Form von diskursethischem Opportunismus. Anhand des Verbots der solchermaßen konstruierten destruktiven Kritik läßt sich ermessen, daß den Richtern die ganze Linie der Demonstranten nicht paßt. Man ist mit diesem Urteil in gefährliche Nähe zu Verschwörungstheorien wie jener von dem Dolch, der den Frontsoldaten des Ersten Weltkriegs in der Heimat in den Rücken gestoßen worden wäre, geraten. Wenn deutsche Soldaten im Feld stehen und sterben, verbietet sich jeder Defaitismus, grenzt es doch an Landesverrat, in der Stunde der Entscheidung oder gar der Not nicht zur kämpfenden Truppe zu stehen. Wie die Schatten nie gebannter Gespenster warten Ideologeme wie diese nur darauf, hervorgezogen und gegen die angeblichen Feinde des Staates gerichtet zu werden.

Wenn es nach den Interessen der Herrschenden ginge, könnte man die Versammlungsfreiheit gleich ins Internet verlegen, wo das "Kommunikationsgrundrecht" auf irgendeiner der Millionen Webseiten praktiziert würde, auf denen man sich so lange um sich selbst dreht, bis eine Internetsperre verhängt wird, um das lose Treiben zu unterbinden. Eine Demonstration in unmittelbarer Nähe eines weihevollen Akts zu verbieten, mit dem an historischem Datum vor der demokratischsten aller Verfassungsinstitutionen die Kriegsbereitschaft der Nation gefeiert wird, zeigt, daß noch vor den Augen einiger Kriegsteilnehmer jeder staatspädagogische Anspruch auf das "Niemals wieder!", der erklärtermaßen aus der von Deutschland vom Zaun gebrochenen Katastrophe des Zweiten Weltkriegs hervorging, entsorgt wurde. Gingen in den 50er Jahren noch Millionen gegen die Wiederbewaffnung auf die Straße, so werden heute einige Tausend Kriegsgegner in die Ecke von Staatsfeinden gestellt, marschieren 1500 Polizisten auf, um beim öffentliche Rezitieren der Gelöbnisformel durch 400 Rekruten geballte Staatsmacht zu demonstrieren. "Might makes right", lautet die dazu passende englische Kurzformel, mit der jeder Widerspruch gegen diese Anmaßung im Keim erstickt wird.

21. Juli 2009