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KRIEG/1336: US-Offensive begünstigt Ausweitung der Kampfzone nach Nordafghanistan (SB)



Die Großoffensive der US-amerikanischen Streitkräfte in Afghanistan ist, allen schönen Worten von der damit angeblich intendierten Schaffung einer Grundlage für den Wiederaufbau zum trotz, eine Vernichtungsoperation. Die Taliban sollen in ihrer Hochburg, der Provinz Helmand, eliminiert werden, fehlt den Besatzern doch für eine dauerhafte Sicherung der Provinz einfach das Personal. Zu diesem Zweck wurde das in den pakistanischen Grenzgebieten gelegene Rückzugsgebiet hermetisch von den Truppen Islamabads abgeriegelt. Die 9000 US-Marines, deren Hauptquartier Camp Leatherneck inmitten einer Wüstenregion in Helmand in den letzten Monaten aus dem Boden gestampft wurde, sollen sich zwar zur Schonung der Zivilbevölkerung nicht mehr in gleichem Ausmaß wie früher massiver Luftunterstützung bedienen können, um ihre Schlagkraft zu erhöhen, doch diese Entscheidung ist vornehmlich zur Beschwichtigung der Proteste gegen die großen Verluste gedacht, zu denen es bei Offensiven der US-Truppen immer wieder kommt, und daher rein politischer Art.

Ganz praktisch hingegen ist das Wissen der militärischen Führung der US-Besatzungstruppen um die stets hochgradige Gefährdung der Zivilbevölkerung bei jedem Angriff, der mit größerer Feuerkraft einhergeht. Die Behauptung, die Taliban benutzten die Bevölkerung als Schutzschild, gehört zu den Standardausreden jeder Besatzungsmacht, die den einheimischen Widerstand am Boden hält, indem sie seine wichtigste Basis, die Bevölkerung, in Angst und Schrecken versetzt. Da die gegen die Besatzungstruppen kämpfenden Afghanen unterschiedlichen Gruppen angehören, die selbst, wenn sie die Bezeichnung Taliban tragen, ihre orthodoxe Moral keineswegs mit der gleichen Rigidität durchsetzen wie die notorischen Gegner einer Mädchen nicht diskriminierenden Schulbildung, da sie von unterschiedlichen, häufig in lokalen Problemen angesiedelten Motiven angetrieben werden, ist ihre Verankerung in der paschtunischen Bevölkerung Helmands nach wie vor groß.

Die insbesondere für Offensivoperationen in anderen Ländern ausgebildeten US-Marines verfügen über ein großes Arsenal an Waffen, mit denen sich auch am Boden aus einiger Distanz erheblicher Schaden beim Gegner anrichten läßt. Sollte sich die US-Luftwaffe zurückhalten, dann ist noch längst nicht gewährleistet, daß der Blutzoll der Bevölkerung nicht durch Artillerie, schwere Maschinenwaffen und Kampfhubschrauber in die Höhe getrieben wird. Nicht von ungefähr beklagt sich der Oberbefehlshaber der US-Marines in Helmand, Brigadegeneral Lawrence Nicholson, darüber, daß in den sechs Monaten, in denen er Camp Leatherneck aufgebaut und die Offensive vorbereitet hat, keinerlei Verstärkung der afghanischen Regierungstruppen in der Region eingetroffen ist (Washington Post, 01.07.2009). Präsident Hamid Karzai will seinen Konkurrenten nicht einen Monat vor der Präsidentschaftswahl durch allzu bemühte Unterstützung der Besatzer Wähler zutreiben, indem er sich an der Dezimierung der eigenen Bevölkerung beteiligt.

Die Offensive in Helmand wird die Intensität des Krieges in Afghanistan deutlich verschärfen, und vor allem wird sie zur Ausweitung der Kampfhandlungen auch auf das von der Bundeswehr kontrollierte Gebiet im Norden des Landes beitragen. Da die den US-Truppen waffentechnisch weit unterlegenen Taliban üblicherweise dem Druck der Angriffe ausweichen, werden sie sich, sollte der Weg nach Pakistan tatsächlich versperrt sein, neue Aktionsfelder suchen, zu denen naheliegenderweise der Norden des Landes gehört.

Die von deutschen Sicherheitsbehörden verbreitete Behauptung, man habe hierzulande mit Anschlägen der Taliban zu rechnen, um den Ausgang der Bundestagswahl zu beeinflussen, zeugt davon, daß den Bundesbürgern keine Ungereimtheit zu billig sein soll, um sie zur Unterstützung dieses Krieges zu bewegen. Viel wirksamer, das wissen auch die Strategen der Taliban, sind Angriffe auf die im Land stationierte Bundeswehr. Die anläßlich der letzten vier Gefallenen ausgelöste Diskussion um die deutsche Beteiligung an diesem Krieg beweist besser als alle Terrorpropaganda, daß die ohnehin geringe Bereitschaft der Bundesbürger, sich auf Kriegsabenteuer einzulassen, am wirksamsten dadurch in aktive Opposition verwandelt wird, daß mehr Verluste unter den Bundeswehrsoldaten zu beklagen sind. Terroristische Anschläge auf Zivilisten in der Bundesrepublik hätten, wie das Vorbild 9/11 zeigt, den gegenteiligen Effekt - die direkt betroffene Bevölkerung ließe sich in großem Maße in eine Vergeltungslogik einbinden, die einen größeren Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan rechtfertigte.

Der Afghanistankrieg könnte aufgrund der US-Offensive in Helmand noch vor der Bundestagswahl zu einem wichtigen Wahlkampfthema werden, das den Kriegsgegnern hierzulande Zulauf bescherte. Auch dagegen richtet sich die Unterstellung, die Bundesbürger wären durch in Afghanistan lebende Besatzungsgegner gefährdet. Die Opposition gegen Krieg soll durch die gleichen Sicherheitsbehörden, die die antimilitaristischen Kräfte im Land observieren, in Unterstützung terroristischer Aktivitäten umgemünzt werden - das Beispiel zeigt, daß der Krieg nicht nur am Hindukusch, sondern auch in Hindelang geführt wird, allerdings auf eine ganz andere Weise als von deutschen Kriegsministern behauptet.

5. Juli 2009