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KRIEG/1317: Werte zu Bomben ... NATO-Überfall auf Jugoslawien (SB)



Mit der Erteilung des activation order durch den damaligen NATO-Generalsekretär Javier Solana am 24. März 1999 war die Nachkriegszeit in Europa endgültig beendet. Abgesehen von der Bombardierung der Stellungen bosnischer Serben Ende August 1995, mit der die NATO eine bloße Machtdemonstration ablieferte, da die Weichen für die Beendigung des bosnischen Bürgerkriegs bereits zuvor gestellt waren, sollte nun ein ausgewachsener Krieg gegen einen Staat beginnen, der sich den Forderungen der Hegemonialmächte EU und USA nicht beugen wollte.

Die Art und Weise der Kriegführung, mit der die NATO die Regierung der Bundesrepublik Jugoslawien zur Aufgabe zwingen wollte, unterschied sich allerdings stark von den klassischen Staatenkriegen, die den europäischen Kontinent bis dahin heimgesucht hatten. Mehr noch als der Krieg gegen den Irak 1991, den die Allianz der Angreifer weitgehend aus der Luft führten und in dem sie fast keine Opfer zu beklagen hatten, während Zehntausende von Irakern starben und die zivile Infrastruktur des Landes weitgehend zerstört wurde, handelte es sich um eine höchst einseitige Form der militärischen Gewaltanwendung. Das größte Militärbündnis der Welt setzte fast ausschließlich auf die Luftwaffe, die neben Tausenden getöteten Zivilisten umfassende Schäden an allem anrichteten, was für eine moderne Industriegesellschaft von unerläßlicher existentieller Bedeutung ist.

Das Abwerfen von Bomben und Abfeuern von Raketen aus für die Luftabwehr der Angegriffenen kaum erreichbarer Distanz verabsolutiert die klassische Kanonenbootpolitik der Kolonialmächte zu einem Strafgericht von gottgleicher Unberührbarkeit, mit dem nicht nur die militärische, sondern auch technisch-zivilisatorische Überlegenheit der Angreifer unterstrichen wird. Indem diese Angriffe unter der Prämisse vollzogen wurden, daß es sich nicht um einen Krieg, sondern eine Polizeiaktion handelte, mit der eine sich der internationalen Gemeinschaft widersetzende Regierung zum Einlenken gebracht werden sollte, paarte sich die Brutalität des totalen, die Zivilbevölkerung des Gegners nicht schonenden Bombenkriegs mit dem ethischen Anspruch eines humanitären Interventionismus, der die Opfer auf jugoslawischer Seite als Preis bilanzierte, den die Belgrader Regierung für ihre angeblich menschenfeindliche Politik im Kosovo zu entrichten habe. Wie es um das Verhältnis zwischen serbischen Sicherheitskräften und kosovoalbanischen Milizen, zwischen serbischer Minderheit und albanischer Mehrheit im Kosovo tatsächlich stand, interessiert bis heute nicht. Man möchte keinesfalls eine Debatte initiieren, die zu einer Revision des Kriegsvorwands führen und womöglich das Ergebnis der Abspaltung des Kosovo von Serbien in Frage stellen könnte.

In diesem Ensemble aus militärischer Allgewalt und ideologischem Anspruch erwirtschafteten die Aggressoren eine exekutive Legitimität, die sich, von den Regeln des angeblich überkommenen Völkerrechts unbeeinträchtigt, zur Einsatzdoktrin für künftige Kriege verallgemeinern läßt. Im Selbstverständnis einer Wertegemeinschaft, die Kriege als Ergebnis eines politischen Prozesses führt, dessen Unterstützung mit dem eigenen dabei entrichteten Blutzoll steht und fällt, wird die eigene Kriegführung gerade dadurch aufgewertet, daß sie sich den Anstrich des demokratischen Zustandekommens gibt. Die Brutalität der Gewaltanwendung affirmiert den hochrangigen zivilisatorischen Entwicklungsstand einer Gesellschaftsordnung, deren kapitalistischer Charakter nicht umsonst Blüten ethischer Wertschätzung hervorbringt, die ohne die Voraussetzung räuberischen Gegeneinanders verwelken müßten. Indem dieses System letztendlich vom besiegten Gegner übernommen wird, schließt sich der Kreis einer positiven Referentialität, aus dem zu entkommen nur unter Strafe des Ausschlusses möglich ist. Wie im Falle der Iraker, die nur zu ihrem Besten niedergemacht wurden, sollten auch die Jugoslawen mit aller Gewalt darüber aufgeklärt werden, daß es nicht nur zwecklos ist, sich der Suprematie der Angreifer zu widersetzen, sondern daß die Einsicht in die höhere Vernunft der Neuen Weltordnung schlußendlich belohnt wird.

So ergeben waffentechnische und ideologische Totalität ein im wahrsten Sinne des Wortes mörderisches Gemisch, das die bürgerliche Moral europäischer Konvenienz auf den Stand einer Transformationslogik bringt, deren liberalistisches Freiheitspostulat in kapitalistischer Ausbeutung, repressiver Ordnung und imperialistischer Expansion seinen angemessenen Ausdruck findet. Es bedarf keiner verwerflichen Flächenbombardements, wenn man die gesellschaftliche Reproduktion durch Embargos und Bombardements so umfassend lahmlegt, daß die Angegriffenen schon mit kleinen Handreichungen wie etwa dem EU-Programm "Öl für Demokratie" erpreßt werden. Man muß keinen verlustreichen Häuserkampf führen, wenn man die Verteidigungsfähigkeit des Gegners mit Distanzwaffen dezimieren, mit ökonomischen Sanktionen schwächen und mit propagandistischen Mitteln unterminieren kann.

Der Jugoslawienkrieg 1999 hat, gerade weil er in der Hegemonialsphäre der EU geführt und ihm die Unvermeidlichkeit einer nicht anders zu bewältigenden Regulation widriger, das Verhängnis der Staatenkonkurrenz des 19. Jahrhunderts reflektierender Verhältnisse zugeschrieben wurde, die Möglichkeiten moderner Kriegführung immens erweitert. Indem deutlich gemacht wurde, daß man auch innerhalb Europas nicht davor zurückschreckt, als Nationalitätenkonflikte larvierte Sozialkämpfe gewaltsam zu beenden, dokumentierte man die Verwendungsfähigkeit der NATO für bürgerkriegsartige Auseinandersetzungen aller Art. Indem der humanitäre Anspruch des Überfalls auf Jugoslawien unwidersprochen blieb, wurde die Legitimationsgrundlage künftiger Kriege über den Vorwand der Terrorismusbekämpfung hinaus durch ein zivilgesellschaftliches Dispositiv erweitert. Indem man das Primat staatlicher Souveränität zumindest im Fall potentieller Gegner für überholt erklärte, stärkte man die Formierung suprastaatlicher Exekutivorgane, die lokale und regionale Widerständigkeit mit aller Rechtmäßigkeit, derer es kaum mehr bedarf, zerschlagen können. Indem das Völkerrecht der UN-Charta mit der Selbstmandatierung der NATO für verzichtbar erklärt wurde, wertet der Jugoslawienkrieg das Militärbündnis als Institution globaler Stabilitätssicherung auf, deren Regulative so unhinterfragbar wie ihre Ziele verletzlich sind.

23. März 2009