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KULTUR/1028: USA - zurück ins 18. Jahrhundert ... (SB)



"Build that wall, build that wall!" - die Sprechchöre aus dem Wahlkampf, angeheizt vom Immobilien-Impresario höchstselbst, noch im Ohr besteht der US-Präsident darauf, eine Milliarden Dollar verschlingende blutige Mauer an der Südgrenze nach Mexiko zu errichten. Das war die wichtigste Forderung in seiner State of the union-Rede vor dem Repräsentantenhaus, denn damit schickte er eine weitere Kampfansage in Richtung Demokraten, deren Nichteinwilligung in die Finanzierung der Mauer den längsten Government shutdown der US-Geschichte zur Folge hatte. Indigene AktivistInnen halten dieser Forderung ohnehin entgegen, daß die Weißen doch am besten zurück nach Europa gingen. Wären sie nicht an erster Stelle gekommen, um das Land zu erobern und seine Bevölkerung zu massakrieren, dann bräuchten sie heute keine Mauer zu errichten, so der tiefere Sinn der "Back to Europe"-Meme.

Einen Donald Trump, der MexikanerInnen auf klassisch rassistische Weise als Drogenkuriere, Krankheitsträger und Verbrecher diffamiert, um gerade noch zu ergänzen, daß es auch einige gute Leute unter ihnen gebe, mit einem Amtsenthebungsverfahren in die Wüste zu schicken wäre in den Augen vieler Menschen eine höchst wünschenswerte Lösung des Problems. Doch damit haben sie die Rechnung ohne dessen Vizepräsidenten Michael Pence gemacht. Wer am Ende von beiden schlimmer wäre ließe sich wohl nur im direkten Vergleich herausfinden. Es ist keineswegs auszuschließen, daß der ergebene Anhänger einer besonders aggressiven Strömung des evangelikalen Fundamentalismus das Rennen machte.

Pence glaubt, wie Michael D'Antonio and Peter Eisner in ihrem Buch The Shadow President: The Truth About Mike Pence berichten [1], fest daran, Teil eines göttlichen Plans zu sein, in dem alles, was geschieht, Ergebnis des Willens Gottes sei, als dessen Werkzeug er sich verstehe. Das ihn insbesondere betreffende Ziel dieses Planes bestehe darin, eine Regierung in den Vereinigten Staaten zu bilden, die der spezifischen Auslegung der Bibel zur Anwendung verhilft, die seine Glaubensrichtung des Dominionismus vertritt. Dessen Doktrin fußt vor allem auf den Schriften des Theologen R. J. Rushdoony, der unter anderem behauptet, im Buch Genesis sei dem Menschen aufgetragen worden, die Erde und Natur zu beherrschen und sich untertan zu machen. Diese anthropozentrische Ideologie resultiert im Zusammenhang mit extremer Wissenschaftsfeindlichkeit unter anderem in der Leugnung des Klimawandels und der Gutheißung aller Formen von Naturausbeutung, die heute aus gutem Grund als zerstörerisch und potentiell katastrophal kritisiert werden.

Der Dominionismus wird von seinen KritikerInnen als ein geschlossenes Glaubenssystem beschrieben, das einen hohen Grad an Kontrolle entwickelt hat, mit dem die Anhängerschaft bei der Stange oder besser dem Kreuz gehalten wird. Der gesellschaftspolitische Kern der dominionistischen Doktrin solle darin liegen, der christlichen Ideologie durch die Eroberung der Zentralen der Macht hier auf der Erde zur Vorherrschaft zu verhelfen. Wie zielgerichtet Pence diese Absicht verfolgt, geht unter anderem daraus hervor, daß er auf dem Tiefpunkt der Wahlkampagne im Oktober 2016, als die Washington Post Trumps frühere Aussage veröffentlichte, er könne Frauen nach Belieben zwischen die Beine greifen, versucht habe, sich selbst auf Platz 1 der Bewerbung der Republikaner um die US-Präsidenschaft zu manövrieren [2]. Obwohl die Parteiführung nahe dran war, Trumps Nominierung als Präsidentschaftskandidat zurückzuziehen und Pence an seine Stelle zu setzen, kam es nicht so weit. The Donald vermochte es einmal mehr, mit rhetorischem Geschick und demagogischer Intelligenz, die Aufmerksamkeit von sich auf Bill Clintons sexuelle Verfehlungen als US-Präsident zu lenken.

Laut D'Antonio und Eisner hat Trump Pence vor allem deshalb zu seinem Kandidaten für die Vizepräsidentschaft gemacht, um seine Beziehungen zur evangelikalen und extremen Rechten zu festigen. Es dürfte dem Moralisten Pence nicht leicht gefallen zu sein, die potentiellen WählerInnen angesichts der vielen beleidigenden und sexistischen Ausfälle Trumps immer wieder zu besänftigen, aber er tat es. Schließlich wußte er, daß es zur Erfüllung von Gottes Plan auch unkonventioneller Schachzüge bedurfte, so einen pragmatischen Umgang mit moralischen Verfehlungen, die den eigenen Sittenkodex in Frage stellen. Das hat sich im Wahlkampf sehr ausgezahlt, als Pence immer wieder als Trumps Ausputzer fungierte und so den gemeinsamen Erfolg sicherte.

Der besteht auch darin, daß im Weißen Haus schon jetzt evangelikale Prediger nicht nur ein und aus gehen, sondern auch Gehör finden. So beschreiben D'Antonio und Eisner, wie der selbsternannte Prophet Ralph Drollinger für die wöchentliche Gebetsstunde dort zuständig wurde, bei der Vizepräsident Pence häufig anwesend war. Laut den beiden Pence-Biographen vertritt Drollinger dort Ansichten wie die, daß es die gottgegebene Verantwortung und der wichtigste Auftrag der US-Regierung sei, die moralisch verderbte Welt auch mit dem Einsatz von Gewalt auf einen besseren Weg zu bringen. Was das bedeutete, wenn Pence selbst Herr im Weißen Haus wäre, ist angesichts der Geschichte kriegerischer US-Aggressionen unschwer vorstellbar.

Bis dahin kämpft Pence an jeder moralischen Front, die sich vor ihm auftut, so zuletzt in Verteidigung seiner Ehefrau Karen. Diese nahm eine Stelle als Lehrerin an einer christlich-fundamentalistischen Schule in Virginia an, die offiziell die Politik vertritt, ihre SchülerInnen und das Lehrpersonal auf eine der christlichen Sittenlehre adäquate Sexualmoral und Geschlecherordnung festzulegen. Verboten sind und Anlaß zum Ausschluß geben alle außerehelichen und gleichgeschlechtlichen Sexualkontakte wie alle Formen nicht heteronormativer Identität, so daß LGBTIQ-Menschen grundsätzlich vom Besuch der privat betriebenen Schule ausgeschlossen sind. Zudem wird Frauen laut der offiziellen Schuldoktrin aufgetragen, sich ihrem Ehegatten zu unterwerfen, wie sich die Kirche Christus unterwirft. Als Kritik an dem Entschluß der Second Lady laut wurde, den bereits zuvor an dieser Schule, an der auch ihre Tochter unterrichtet wurde, ausgeübten Job wiederaufzunehmen, machte Pence in einer öffentlichen Rede unter Verweis auf einen konservativen Soziologen geltend, daß die Zerstörung von Ehe und Familie quasi gesetzmäßig den Zerfall der Gesellschaft einleite.

Da mögen junge Menschen entsetzt sein über den zerstörerischen Umgang, der im fossilen Kapitalismus mit Mensch und Natur betrieben wird, sie mögen sich über epochale, von den USA angezettelte Kriege mit Millionen Todesopfern wie in Vietnam und im Irak empören oder die Armut im eigenen Land, das 40 Millionen Menschen dem Hunger aussetzt, beklagen - wenn sie nur folgsam bleiben, eine nette EhepartnerIn wählen und eine Familie gründen, in der neue SoldatInnen und ArbeiterInnen in die Welt gesetzt werden, dann ist alles zum Besten. Schließlich entsprechen all die Grausamkeiten in der Welt dem Willen und Plan des Herrn. Sie haben ihren Sinn, und selbst wenn dieser verborgen bleibt, ist die Unterwerfung unter den weißen Mann im Himmel ein selbstevidenter Glaubensakt, sprich bedarf keiner weiteren Begründung.


Fußnoten:

[1] https://www.counterpunch.org/2019/01/30/a-theology-of-power-mike-pence-and-the-dominionists/

[2] https://www.theatlantic.com/magazine/archive/2018/01/gods-plan-for-mike-pence/546569/

6. Februar 2019


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