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KULTUR/1010: "Elphi" auf den Trümmern der neoliberalen Stadt (SB)



Das macht der Freien und Hansestadt Hamburg so schnell keiner nach - wie sich innerhalb nur kurzer Zeit das Skandalon Elbphilharmonie in eine rauschende Erfolgsgeschichte verwandelte, ist wahrhaft ein Meisterstück modernen Reputationsmanagements. Wenn der angeblich beste Konzertsaal der Welt heute unter Anwesenheit der höchsten Repräsentanten der Republik mit einem im Internet und auf Arte live übertragenen Event eröffnet wird, mag niemand als Spielverderber abseits stehen. Seit Tagen wird "Elphi" auf allen Kanälen mit Superlativen ästhetischer, architektonischer und kultureller Art gefeiert, als gebe es kein gestern. 15 Jahre lang schleppte sich das Projekt von einem Planungs- und Finanzierungsdesaster zum andern, um sich schließlich mit einem Kostenbedarf, der von anfänglich geplanten 77 Millionen Euro auf 789 Millionen Euro anwuchs, in den illustren Kreis überflüssiger und überaufwendiger Großprojekte einreihen zu können.

Nun, da bürgerliche Hochkultur in einem Kunsttempel der Extraklasse zelebriert werden soll, will niemand kleinkrämerisch erscheinen, scheint der Makel des "Provinzverdachts", unter den die Stadt Ende 2001 von der Unternehmensberatung McKinsey gestellt wurde, doch erfolgreich abgewendet worden zu sein. Daß Hamburg gerade erst als wesentlicher Ausgangspunkt für die Anschläge von 9/11 weltweit ins Gespräch gekommen war, wollte man im Rathaus offensichtlich nicht als Empfehlung verstanden wissen, endlich in die Liga der Global Cities [1] aufzusteigen.

1983 gab der damalige Erste Bürgermeister Klaus von Dohnanyi den Startschuß zur Verwandlung einer Stadt, in der sich leben und arbeiten ließ, weil Mieten noch erschwinglich und Jobs keine Mangelware waren, zu einem neoliberalen Profit Center namens "Unternehmen Hamburg". Ob SPD oder CDU im Rathaus den Ton angaben, die gentrifizierungsbedingte Verteuerung des Wohnens bei gleichzeitiger Optimierung der Standortbedingungen für Unternehmensansiedlungen sind seitdem Regierungsprogramm. Zentrales Merkmal der neoliberalen Stadt [2] ist seitdem, daß insbesondere in der Hafenregion kein Stein auf dem anderen bleibt. Unter dem 2002 zum "Leitbild" erklärten Projekt "Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" wurde in der Hafencity [3] noch mehr von dem bereits überreichlich vorhandenem Büroraum gebaut, um einen attraktiven Standort für jene global operierenden Unternehmen zu schaffen, die den organisatorischen, juristischen und logistischen Saum transnationaler Konzerne bilden, und natürlich für deren Firmensitze selbst. Das Hafenbecken wurde unter dem Motto "Sprung über die Elbe" als Erschließungsgelände für Bodenspekulanten und Immobilieninvestoren deklariert, so daß den Menschen nicht mehr nur im Schanzenviertel und auf St. Pauli, sondern auch auf der Veddel und in Wilhelmsburg die Mieten so teuer gemacht wurden, daß sie ins weitere Umland ausweichen mußten [4].

Über all dem soll die Elbphilarmonie als neues Wahrzeichen der Stadt thronen und als "Leuchtturm" die ganze Strahlkraft der neoliberalen Stadt entfachen. Quasi als Gipfelerlebnis eines innerstädtischen Kolonialismus, der die Stadt mit der schieren Macht des Geldes seinem räumlichen und ästhetischen Willen unterwirft, wurde ein bauliches Wunderwerk auf den sozialen Trümmern errichtet, die ihre schöpferische Zerstörung hinterlassen hat und ihre disparate sozialräumliche Struktur bis heute prägt. Wo alles von der Kinder- und Jugendarbeit über Stadtteilkultur und Drogenhilfe bis zu Obdachloseneinrichtungen unter Finanzierungsvorbehalt steht, sticht der teuerste Konzertsaal der Welt um so mehr als Ausweis der Großzügigkeit der eigenen Klasse gegenüber hervor.

Winkt Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz auch noch so demonstrativ mit dem sozialen Feigenblatt niedriger Eintrittspreise für den hochsubventionierten Konzertbetrieb, heftet er dem neuen Stolz der Stadt auch noch so häufig das Attribut "demokratisch" an, so zeigt die ausschließlich Investoren zugute kommende Verteuerungslogik des Stadtmarketings, welche Lustbarkeiten hier auf wessen Rücken ausgetragen werden. Der Trumpismus kam schon in der Hansestadt an, lange bevor der Immobilienmagnat als US-Präsident im Gespräch war, wie die Übernahme der Bauherren- und Eigentümerschaft für das in der Elbphilharmonie angesiedelte Fünf-Sterne-Hotel 2006 zeigt. Norbert Hackbusch von der Ratsfraktion der Linken bezeichnet diese Entscheidung in einem Minderheitsbericht [5] des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses "Elbphilharmonie" gar als "die entscheidende politische Weichenstellung im Projekt", die "zugleich ein Schlüssel zum Verständnis der Projektstrukturen und Strategien im Kostenskandal Elbphilharmonie" sei.

Wo die günstigste Übernachtungsmöglichkeit in den 244 Zimmern des von einem weltweit tätigen Anbieter von Luxushotels betriebenen "The Westin Hamburg" 220 Euro pro Nacht beträgt, während für gehobenere Ansprüche eine Maisonette mit besonders großer Fensterfront für 1400 Euro pro Nacht gebucht oder in den exklusivsten Suiten ab 3000 Euro pro Nacht aufwärts vom Bett aus ein 270-Grad-Panorama auf Hafencity und Hafen genossen wird, wenn man sich nicht gerade in der eigenen Sauna oder einem der zwei Badezimmer tummelt [6], da zeigt sich, welche Klientel das "Unternehmen Hamburg" vor allen anderen mit ihrem Besuch ehren soll. "Nur nicht neidisch werden", ruft der Gast vom 20. Stockwerk aus dem Plebs am Fuße der Elbphilharmonie zu, der sich froh und glücklich schätzen darf, kostenlos die Aussichtsplattform betreten zu dürfen, die auf dem ehemaligen Kaispeicher unterhalb des Neubaus eingerichtet wurde.

Von vorgeblichen Sachzwängen aller Art belagert, durch selbstauferlegte Schuldenbremsen in ihrem haushaltspolitischen Handlungsvermögen amputiert und von den Lobbyisten des Unternehmens- und Bankenkapitals genötigt, gibt sich die politische Spitze gerne kulturvoll. Hier kann der Bevölkerung noch vorgemacht werden, es gehe um anderes als profane Marktlogik, hier darf der Mensch noch Mensch sein und behaupten, es gebe keine Klassen, sondern nur eitel Freude und Sonnenschein. Die durchgängige Begeisterung, mit der "Elphi" massenmedial und kunstsinnig gefeiert wird, zeugt von einer bürgerlichen Vergessenskultur, die ihre Hoffnungen an die himmelsstürmende Symbole eines Wachstums heftet, dessen Fundament kaum brüchiger sein könnte. Dort, wo die Menschen sich den Michel als Wahrzeichen ihrer Stadt nicht nehmen lassen wollen und sich in der Hafencity so fremd wie auf einem anderen Planeten fühlen, wo sie sich um Pfandflaschen als letzte Krümel vom Tisch der Reichen balgen und am Monatsende Kohldampf schieben, sind die Bruchlinien, denen dieses Hochamt bourgeoisen Distinktionsstrebens wie ein Abwehrzauber entgegengehalten wird, längst tägliche Wirklichkeit.


Fußnoten:

[1] BERICHT/010: Planspiel Stadtbereinigung - Hamburg im Umbruch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0010.html

[2] BERICHT/132: Kapitalismus final - Goldrausch urban (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0132.html

[3] BERICHT/011: Planspiel Stadtbereinigung - Metropolengeburt Hafencity (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0011.html

[4] BERICHT/012: Planspiel Stadtbereinigung - Öffnet die Tore der neuen Zeit (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0012.html

[5] http://www.linksfraktion-hamburg.de/wp-content/uploads/2016/11/PUA_Elbphilharmonie_Minderheitsbericht_DIE_LINKE.pdf

[6] http://www.deutschlandfunk.de/luxushotel-in-der-elbphilharmonie-schlafen-im-konzerthaus.1769.de.html?dram:article_id=376132

11. Januar 2017


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