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KULTUR/1006: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Facebook - eine Mesalliance? (SB)



Den Finger stets am Puls gesellschaftlicher Streitfälle wurde auch in der Debattensendung kontrovers des Deutschlandfunks nach der "dunklen Seite des Internets" gefahndet. Wie die titelgebende Frage "Bedrohen Cyberangriffe, Lügen und Hass im Netz unsere Demokratie?" [1] verrät, geht die Dlf-Redaktion, ihrem Verständnis als lineares Medium adäquat, von einem einseitigen Verlauf dieser Bedrohung aus. Die Gefahr kommt irgendwo anders her, wenn nicht aus Rußland, dann aus den Reihen deutscher Neonazis oder wahnhafter Verschwörungstheoretiker. Wer anderes mutmaßt, kommt schnell unter die Räder nämlichen Verdachts, wie Mitdisputantin Petra Sitte von der Linkspartei erleben mußte. Als sie die durch das IT-Sicherheitsgesetz ermöglichte Zusammenarbeit von Polizei, Geheimdiensten und Bundeswehr und die dabei freigesetzten Überwachungspotentiale im Kontext des gegen andere Staaten gerichteten Vorwurfes informationstechnischer Unterwanderung kritisierte, verwies der CDU-Politiker Thomas Jarzombek ihre Stellungnahme umstandslos ins Reich verschwörungstheoretischer Fantasterei.

Wo Bürgerinnen und Bürgern, die datenelektronische Eingriffe des Staatsschutzes nicht ausschließlich als zur Sicherung des eigenen Wohls gedacht begreifen wollen, mit flinker Hand ein rhetorischer Strick gedreht wird, da liegt die Frage nahe, ob nicht die Demokratie selbst Bürgerrechte bedroht, wenn sie Staat und Justiz beauftragt, die Freiheit des Wortes einer Gesinnungskontrolle zu unterwerfen. Der blinde Fleck des dagegen gerichteten Einwurfes, so rede man rassistischen Hetzern und nazistischen Demagogen das Wort, entspricht der in BRD-Zeiten gerne gegen Kommunisten und andere Staatsfeinde gerichteten Parole "Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit". Die systemische Logik einer normativ beschränkten und strafbewehrten Rede-, Meinungs- und Pressefreiheit führt zielsicher in die Enge einer auf spezifische Zwecke hin formierten Gesellschaft, in die der Mensch sich auf Gedeih und Verderb zu integrieren hat, will er nicht schwerwiegende Nachteile in Kauf nehmen.

Nun wird der Ausschluß abweichender Meinungen heute eleganter geregelt. An die Stelle des platten und offenkundigen Verbots treten Algorithmen, die ganz<- nach Belieben der jeweiligen Plattformbetreiber herabstufen, selektieren oder löschen, was ökonomisch uninteressant, politisch mißliebig oder moralisch fragwürdig ist. Suchmaschinen und soziale Netzwerke sind schließlich kein öffentlicher oder gar demokratischer Raum, sondern Angebote kommerzieller Dienstleister, die im Tausch gegen die Inanspruchnahme ihrer Plattformen die dabei anfallenden Kundeninformationen verwerten. Die Nutzer liefern den "Content", und die Betreiber schöpfen ihn und die dabei anfallenden Metadaten zur weiteren profitträchtigen Verwendung ab. "User Generated Capitalism" nennt der IT-Experte und Autor Timo Daum diese im kognitiven Sinne zwar virtuelle, in ihren sozialen und materiellen Bedingungen aber um so gegenständlichere Verwertungssphäre. Wo sie den Anschein eines offenen Raums erweckt, der gleichberechtigte und demokratische Partizipation möglich macht, wird über ein Geschäftsmodell, das mit dem konventionellen Verständnis von gesellschaftlicher Öffentlichkeit nichts gemein hat, absichtsvoll hinweggesehen:

"Schaut man sich Strukturen, Nutzungsbedingungen und bevorzugte Aktivitäten an, drängt sich eher der Vergleich mit der Gated Community oder der Shopping-Mall auf. Es handelt sich um Privatgelände, das Konzernen gehört, Öffentlichkeit und Transparenz wird nur simuliert. Wie in einem Shopping-Paradies werden Waren und Werbung strategisch platziert, unerwünschte Personen und fragwürdiges Verhalten werden strukturell und aktiv ausgeschlossen." [2]

Die selbstverständliche Inanspruchnahme sozialer Netzwerke nicht nur durch Privatpersonen, sondern Medien und öffentliche Institutionen aller Art wirft gerade im Kontext der Debatte um "Fake News" Fragen auf. So machte eine Zuhörerin im Dlf ihrem Unverständnis darüber Luft, daß die Moderatorin im gleichen Atemzug mit der Problematisierung des ungeregelten Geschehens auf sozialen Netzwerken wiederholt auf die Facebook-Seite des Deutschlandfunkes hinwies, auf der Hörermeinungen eingingen, die sie auch zitierte. Daß Zeitungsverlage ihre Produkte als Instant Articles auf Facebook präsentieren, damit den Umsatz des Plattformbetreibers steigern und ihrerseits an den Werbeeinnahmen beteiligt werden, ist eine unternehmerische Entscheidung, so kurzsichtig sie in Hinsicht auf das individuelle Profil ihrer Marken auch sein mag. Daß öffentlich-rechtliche Angebote nicht anders verfahren, obwohl sie gebührenfinanziert und vor allem einem demokratischen Credo verpflichtet sind, bietet hingegen Anlaß, ein großes Fragezeichen zu setzen.

So kommen auf Facebook Löschregeln zur Anwendung [3], die kein Ergebnis eines demokratischen und transparenten Verfahrens sind, sondern der Definition des Unternehmens entspringen. Wie bei der Wissenverwaltung durch die Algorithmen von Suchmaschinenbetreibern, die alle möglichen Kriterien in das Ranking von Suchanfragen einfließen lassen, von denen die Nutzer nichts wissen, so schränken der Verweischarakter Facebooks, das affirmative Liken und die durch die Auswahl der jeweils präsentierten Kommentare vorgebahnten Sozialkontakte das selbstbestimmte Handeln der Nutzer ein. Sich in diesem Umfeld als Körperschaft öffentlichen Rechts, der ein Staatvertrag zugrundeliegt, zu präsentieren ist fragwürdig nicht nur im Sinne eines gesetzlichen Auftrages, der unter anderem die Förderung der "freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung" [4] vorsieht.

Was also "unsere Demokratie" bedroht, sollte in diesem Licht noch einmal genauer untersucht werden. Social Media sind keine auch nur vom Anspruch her neutralen und objektiven Organe gesellschaftlicher Kommunikation, sondern privatwirtschaftliche Geschäftsmodelle. Allein die Vorstellung, der Dlf nähme nicht die Dienste eines US-Unternehmens, sondern eines entsprechenden russischen Anbieters in Anspruch, läßt die Untiefen und Abgründe der Inanspruchnahme derartiger Dienstleistungen durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ahnen.


Fußnoten:

[1]http://www.deutschlandfunk.de/die-dunkle-seite-des-internets-bedrohen-cyberangriffe.1784.de.html?dram:article_id=374114

[2] User Generated Capitalism: Mythos Social Media - Understanding Digital Capitalism, Teil 12
http://dasfilter.com/gesellschaft/user-generated-capitalism-mythos-social-media-understanding-digital-capitalism-teil-12

[3] https://netzpolitik.org/2016/facebooks-loeschregeln-asylanten-raus-ist-erlaubt-christen-raus-ist-verboten/

[4] http://www.presserecht.de/index.php?option=com_content&task=view&id=545

19. Dezember 2016


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